69 Jahre lang hat die Sowjetunion existiert, eine Supermacht, die die Welt nachhaltig verändert hat. 1922 mit großen revolutionären Plänen gegründet und 1991 überraschend in viele Einzelteile zerfallen, prägte sie ein Jahrhundert der Menschheitsgeschichte mit. Dieser umfangreiche Eintrag in die Geschichtsbücher konnte einem vergleichsweise kleinen Konflikt im Südkaukasus relativ wenig anhaben. Armenien und Aserbaidschan kämpften in der präsowjetischen Ära um die Region Bergkarabach (Nagorny-Karabach). Und sie machen es auch in der postsowjetischen Zeit. In Wien wurde nun ein neuer Anlauf gestartet, um diesen kaukasischen Knoten zu lösen

Die etwa 4.400 Quadratkilometer große gebirgige, leicht dreieckige Region Bergkarabach zwischen dem Sewansee und den beiden Flüssen Kura und Aras liegt im Südwesten Aserbaidschans, etwa acht Kilometer von der Grenze zu Armenien entfernt. Rein geografisch betrachtet wäre die Sache also eindeutig, da sich Bergkarabach mitten in Aserbaidschan befindet. Auch völkerrechtlich gibt es dazu keine zwei Meinungen, die UNO hat die Region mit derzeit rund 150.000 Einwohnern Aserbaidschan zugesprochen. In der Realität entstand hier aber bereits 1918 ein Krisenherd, der in den 1990er-Jahren wieder aufflammte und bis heute andauert. 


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Stepanakert, Hauptstadt der umkämpften Region Bergkarabach.

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall des Osmanischen Reiches bzw. des russischen Zarenreichs proklamierten Armenien und Aserbaidschan in besagtem Jahr 1918 ihre Unabhängigkeit. Während die christlich geprägten Armenier ihre Gebietsansprüche an Bergkarabach damit begründeten, dass die dortige Bevölkerung zu einem Großteil aus Armeniern bestanden - mehr als 90 Prozent -, argumentierten die weitgehend muslimischen Aserbaidschaner mit der Untrennbarkeit des geografischen Raumes. Nach zahlreichen Kämpfen kam es zu einem provisorischen Abkommen, das Aserbaidschan Bergkarabach unter der Bedingung zusprach, dass die dort lebenden Armenier weitgehend autonom leben konnten. Nachdem sich die neugeborene Sowjetunion beide Länder einverleibte und Bergkarabach 1923 als autonomes Gebiet Aserbaidschan zusprach, wurde es lange Zeit still in dieser Gegend. Die versprochene Autonomie wurde allerdings nie realisiert.

In den folgenden Jahrzehnten protestierte die armenische Bevölkerung gegen das Fehlen der Autonomie, in den 1960er-Jahren kam es vereinzelt auch zu gewalttätigen Übergriffen. Eine erneute Eskalation erfolgte dann wieder im Jahr 1988. In Bergkarabach protestierte die armenischstämmige Bevölkerung - auf rund 74 Prozent geschrumpft - und forderte eine Vereinigung mit Armenien. Es kam zu Auseinandersetzungen, die nach dem Ende der Sowjetunion 1991 in einen offenen Krieg mündeten, als sich die Republik Bergkarabach nach einem Referendum für unabhängig erklärte. Als Hauptstadt wurde Stepanakert auserkoren. 

Schmutziger Krieg

Der Konflikt forderte insgesamt bis zu 30.000 Todesopfer, an der Zivilbevölkerung wurden von beiden Seiten zahlreiche Massaker verübt. Internationale NGOs warfen Armenien und Aserbaidschan schwere Menschrechtsverstöße vor. Außerdem wurden durch den Krieg mehr als eine Million Menschen vertrieben, vorwiegend Aserbaidschaner.  

Im Zuge dieses Krieges behaupteten die Truppen Bergkarabachs mithilfe großer Unterstützung Armeniens nicht nur das eigene Territorium, sondern eroberten auch noch sieben zusätzliche Bezirke Aserbaidschans im Grenzgebiet, wodurch ein direkter Zugang von Armenien nach Bergkarabach geschaffen wurde. 1994, nach sechs Jahren des Konlikts, erklärten sich beide Seiten zu Friedensverhandlungen bereit. Das Ergebnis war ein Waffenstillstandsabkommen, dem eine dauerhafte Friedensvereinbarung folgen sollte. Darauf wartet man allerdings noch heute. 

In der Nachkriegszeit kam es lange Zeit nicht zu weiteren Gesprächen. Aserbaidschan beharrte auf der Rückkehr von Bergkarabach und verwies dabei auf seine "territoriale Integrität" und das Völkerrecht. Seitdem gab es zahlreiche internationale diplomatische Bemühungen, dem Krisenherd ein Ende zu bereiten. Vier UN-Resolutionen, eine Resolution der UN-Vollversammlung und allen voran eine Kontaktgruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) blieben bislang ohne Erfolg.

Soldaten der Republik Bergkarabach bei einer Militärübung. Sie wollen für einen möglichen Angriff Aserbaidschans gerüstet sein. (Foto: AP/Karen Minasian)

Stattdessen kam es immer wieder zu kleineren Gefechten im Grenzgebiet. 1999 folgten größere Spannungen, Armenien fühlte sich nämlich durch den Kosovokrieg bestätigt, dass das Volk selbst über sein Schicksal bestimmen könne. Es folgten auch zahlreiche Drohgebärden von beiden Seiten. Aserbaidschan konnte dank seiner riesigen Gas- und Ölvorkommen Milliarden Euro in die Rüstung investieren, aus diesem Gefühl der Stärke heraus wurde in den letzten Jahren offen mit einem erneuten Krieg gedroht.

Zudem weiß Baku mit Ankara einen starken Verbündeten hinter sich. Aserbaidschan und die Türkei mit ihren muslimischen Turkvölkern stehen sich traditionell näher als die christlich geprägten Armenier mit ihrer indogermanischen Sprache. Auch die Genozid-Debatte spielt hier eine Rolle: Die Türkei weigert sich, Massaker des Osmanischen Reiches an Armeniern als Völkermord anzusehen. Dazu passend hält Ankara die Grenze zu Armenien aus Solidarität zu Aserbaidschan seit 1993 geschlossen.

Auf der Gegenseite gilt Russland als größter Verbündeter Armeniens. Im Krieg schickte Moskau Truppen zur Unterstützung im Kampf gegen Aserbaidschan. Mittlerweile hat Armenien auch eine wichtige geostrategische Funktion für Moskau, da Aserbaidschan und Georgien prowestliche Positionen bezogen haben. Deshalb haben beide Länder auch ein Militärabkommen abgeschlossen, wodurch Russland in Armenien mit Soldaten und Militärstützpunkten vertreten ist. Auch mit dem Iran unterhält Armenien gute Beziehungen. Da das Land kaum über natürliche Ressourcen verfügt, ist die 2007 eröffnete Erdgas-Pipeline von Iran nach Armenien für Eriwan von überaus großer Bedeutung.

Serzh Sarksjan und Ilham Aliyev haben sich seit 2008 oft unterhalten. Einig geworden sind sie sich bislang nicht. (Foto: Reuters/Ria Novosti)

Schließlich melden auch die USA und die EU mittlerweile Energieinteressen im Südkaukasus an. Dadurch wuchs der Druck auf Russland, als ehemalige Schutzmacht der Region vermittelnd einzuwirken. Nach weiteren schweren Auseinandersetzungen im März 2008 kam es daher wenige Monate später mithilfe Moskaus zu einem ersten Gespräch zwischen den Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans, Serzh Sarksjan und Ilham Aliyev. Dem sollten noch zahlreiche weitere in verschiedenen Städten folgen, die ohne nennenswerte Annäherungen endeten. Die jüngste Gesprächsrunde fand am Dienstag in Wien statt. Eine Fortsetzung ist wahrscheinlich. Und der Konflikt um Bergkarabach wird damit weit mehr als nur die Sowjetunion überstehen. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 19.11.2013)