Manche Fehler kann ich wärmstens empfehlen. Jene nämlich, die einen vor weit größeren bewahren. Deswegen bin ich heilfroh, dass ich am Samstag gelaufen bin: 30 Minuten. Im Superregenerationstempo. Also eigentlich nicht ernstzunehmend, nur ein locker-flockiger Wiedereinstieg nach einer mittleren Verkühlung. Dachte ich. Und war dann mehr als happy, den Fehler am Samstag und eben nicht am Sonntag gemacht zu haben. Denn das wäre dann wohl böse ausgegangen.
Aber der Reihe nach: Ums Wochenende der Vorwoche war ich in der Schweiz. Eine Pressereise. Ich flog angeschlagen hin und dachte mir – nix. Ein bisserl Schneeschuhwandern, einen Tag Pistenrutschen. So what? Ich ließ den Kopf den Körper gerne überdribbeln: Am Berg war natürlich alles super. Kaiserwetter. Keine Leute. Ein bisschen Powder. Hurra die Gams! Dass mir meine Mitreisenden sagten, ich sähe aus wie der Tod, war nur Neid und Missgunst. Den tiefen, satten Husten blendete ich aus: Ich würde mich in Wien schon wieder erholen.
Dachte ich. Und fühlte es auch. (Okay, meine Umwelt sagte dann, ich sähe scheintot aus, aber der Husten alarmierte immerhin nur mehr zweimal am Tag die taube Omi nebenan.) Schließlich war ich am Sonntag bei "Laufen hilft" zum Halbmarathon gemeldet. Es waren – wie immer – meine Laufbuddys Helena und Cornelia, die mich stoppten: 21 Kilometer kämen "auf keinen Fall und sicher nicht" in Frage. Und eigentlich sei ich gesperrt. Und ... und so weiter. Natürlich wusste ich, dass die beiden recht hatten. Als Zeichen meines guten Willens meldete ich mich um. Zehn Kilometer. Danach ignorierte ich die "Du bist so ein Koffer"-Mails. Ich lag auf dem Sofa, trank Tee – und spürte, wie ich rapide vor mich hingesundete.
Am Samstag stand Startnummernabholen auf dem Plan. Plus ein ganz kurzer Regenerationslauf. Das Wetter war feinstens. "Bist du sicher, dass es dir gut geht?" Ich fühlte mich blendend. "Du bist richtig blass." Ich? Nö! Husten? Nein, woher denn. Ich wollte raus. Ich musste raus. Ich lief. Eh ganz langsam.
Es tat gut. Nach fünf Minuten fühlte ich mich fein. Nach zehn Minuten super. Aber als ich nach 25 Minuten auf die Uhr sah und Helena und Cornelia ihre Zielzeit für Sonntag sagten, kamen mir gelinde gesagt Zweifel, ob ich die zehn Kilometer morgen würde mithalten können. Die Blicke der Damen sprachen Bände: Normalerweise wäre das morgen mittleres Lauftempo. Saisonstart halt ...
Der Absturz kam Samstagnachmittag: Ich war und hatte fertig. Richtig fertig. Der Tag nach einem Marathon ist nix dagegen. Ich war zuerst sauer – und dann plötzlich sehr, sehr froh. Die Vorstellung, am Sonntag im Adrenalinnebel von 3.000 anderen Leuten die Signale des eigenen Körpers nicht zu hören und ohne Vorbereitung dem Herdentrieb folgend zehn Kilometer k mit 5'00'' bis 5'10'' pro Kilometer anzugehen und im Gruppenwahn vermutlich auch durchzuziehen, war auf einmal gar nicht lustig: So wird Laufen gefährlich. Lebensgefährlich.
Ich zog die Reißleine und tat etwas eigentlich Verbotenes: Ich gab Startnummer und Chip weiter. Marcus hätte sich natürlich auch nachmelden können. Aber die Startnummer aus dem Haus zu haben war keine ganz blöde Idee. Ich kenne mich. Und natürlich ging es mir am Sonntag wieder super.
Ich packte mich winterfest ein, schnappte die Kamera – und gab für die Gang den Sherpa. Eine neue Sichtweise: Elisabeth Niedereder, die zigfache Staatsmeisterin, sehe ich beim Laufen sonst immer nur von hinten. Und auch das nur kurz. Und wo ich und meine Gang in einem Hobbyläuferfeld stecken, kriegt man ja auch nicht mit, wenn man mittendrin ist: Dass wir alle mittlerweile im vorderen Drittel mitlaufen, ist zwar vollkommen wurscht – aber es ist eben doch ein bisserl geil, wenn man sieht, wie locker die eigenen Freunde ins Ziel kommen, während andere hart kämpfen.
Abgesehen davon ist der Perspektivenwechsel wieder einmal ganz fein – auch wenn der im Grunde viel von dem bestätigte, was ich mir auch als Läufer gedacht hätte. Aber eben bei vielem glauben würde, dass das nur mir (oder meinen Freunden) so geht. Etwa dass die Leih-Zeitnehmungschips eine Katastrophe sind, weil man sie nur allzu leicht verliert, wenn das Schuhband nicht durch eine (besser zwei) fixe Öse führt. (Die Veranstalter erklärten, dass nicht sie, sondern die Profis von Pentek die grünen Dinger gestellt hätten – und die tatsächlich von vielen Leuten "ausgestreut" worden seien.)
Oder dass die Teilung einer Strecke (knapp vor der 5-Kilometer-Marke) besser durch mehrere mitten auf dem Weg stehende Vorwarn-Tafeln angekündigt wird, als nur unmittelbar an der Gabelung mit einem Schild, hinter dem unmittelbar die Tretgitter-Teilung erfolgt: Ich saß gemeinsam mit einem Profifotografen vor der Tafel am Boden und knipste – und öfter als einmal kam es vor uns zu hektischen und oft auch gefährlichen Bahnwechseln. Manche Läufer mussten sogar umdrehen und kurz zurücklaufen.
Auch wenn das Peanuts sind, ist es lästig. Und vermeidbar. Ebenso wie der Umstand, dass sich im ohnehin alles andere als breiten Zieleinlauf Läufer und Nordic-Walker in die Quere kamen: Wenn die Fünfkilometerspazierwanderer fröhlich schnatternd in Dreier- bis Fünferreihen mit gemütlich nachschleifenden Stöckchen auf die Ziellinie zustapften, gab es für von hinten ihre Schlusssprints triggernde Läufer gerade hier kein Durchkommen – so was kann die Stimmung nachhaltig verderben.
Doch um der Wahrheit Genüge zu tun: Abgesehen von diesen Kleinigkeiten (und einem Taxi, das über die am Wochenende eigentlich gesperrte Stadionallee daher kam und ungehindert mitten durchs Hauptfeld auf der Hauptallee fahren konnte) war es ein wirklich feiner und sehr gut organisierter Lauf, bei dem nicht nur die meisten Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit einem zufriedenen Lächeln ihre Medaillen heim trugen: Der mittlerweile traditionelle Charitylauf spielte für das St. Anna Kinderspital 10.000 Euro und für das Neunerhaus 2.000 Euro ein. Mindestens, erklärte Event-Mitorganisatorin Marion Lutz stolz: "Das ist der Stand unmittelbar nach dem Lauf – die Summen können sich also noch nach oben verändern." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 5.3.2014)