Die Ackerschmalwand ist die weltweit am besten erforschte Pflanze.

Foto: GMI

Die Wurzeln der Ackerschmalwand wachsen auch unter dem Mikroskop weiter.

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Man findet sie am Straßenrand, auf dürrem Rasen und Schuttplätzen: Arabidopsis thaliana, zu Deutsch Ackerschmalwand, ein unscheinbares Allerweltsgewächs mit kleinen weißen Blüten. Die einjährige Pflanzenart hat sich im Gefolge der Menschen in vielen Erdteilen angesiedelt. Eine Gewinnerin der Globalisierung.

Doch nicht deshalb ist A. thaliana die wohl am besten erforschte Pflanzenspezies. Vielmehr macht ihre unspektakuläre Biologie die Ackerschmalwand zu einem idealen Studienobjekt. Einfachheit ist Trumpf. Die Pflanzen verfügen über nur fünf Chromosomenpaare. Der Lebenszyklus von A. thaliana dauert zudem nur sechs Wochen. Die Art lässt sich im Labor leicht vermehren. Ideale Voraussetzungen also für einen Modellorganismus.

Schlüssel zum Verständnis

"Die Ackerschmalwand ist die Drosophila der Pflanzenbiologen", sagt der Fachmann Wolfgang Busch im Gespräch mit dem Standard. Auch dem am Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) in Wien tätigen Wissenschafter dient sie als Versuchskaninchen - und somit als Schlüssel zum Verständnis grundlegender biologischer Prozesse. Das besondere Interesse von Busch und seinem Team gilt der Entwicklung von Wurzeln. Diese sind bei A. thaliana sehr dünn. Ihr geringer Durchmesser von etwa 0,1 Millimetern ermöglicht erstklassige mikroskopische Beobachtungen.

"Man kann wirklich in das lebendige Gewebe hineinschauen, und in das ganze Organ", berichtet Busch. Dank der robusten Natur der Pflanzen wachsen ihre Wurzeln auch in komplexen Versuchsanordnungen unter dem Mikroskop weiter.

Um die Wurzelbildung genauer zu untersuchen, haben die Forscher eine aufwändige Studie durchgeführt. Sie züchteten mehr als 1500 Ackerschmalwandsämlinge aus insgesamt 201 genetischen Linien heran und stellten hochaufgelöste Bilder vom Wachstum ihrer Wurzeln her. Ermöglicht wurde dies durch den Einsatz automatisierter Mikroskopietechnik. So ließen sich sämtliche Zellen der Wurzelspitze fotografisch erfassen und über Spezialsoftware in 3-D-Aufnahmen darstellen. Der Clou: Die Biologen konnten so die Wachstumsunterschiede zwischen den verschiedenen Pflanzengruppen bis auf die zelluläre Ebene verfolgen und exakt dokumentieren.

Die gewonnenen Daten dienten Busch und Kollegen als Grundlage für eine sogenannte genomweite Assoziationsstudie. Hierbei werden phänotypische Merkmale wie eben Wachstumsstärke und Zelllänge mit dem Auftreten bestimmter genetischer Codes verglichen. Die Genome der 201 verwendeten Herkunftslinien wurden bereits von anderen Forschungsgruppen erfasst. Man kann sie im Internet abrufen.

Deutliches Ergebnis

Der Abgleich zwischen Wachstumsmerkmalen und DNA-Sequenzen erfolgte mathematisch über einen speziellen Algorithmus. Das Ergebnis war erstaunlich deutlich. Unterschiede im Wurzelwachstum von A. thaliana sind stark mit Veränderungen in einem bestimmten Bereich von Chromosom 1 korreliert. Dort, so vermuteten die GMI-Experten, müsste demnach auch ein Schlüsselgen liegen.

Weitere Analysen zeigten, dass in den Zellen der Wurzelspitze nur eine einzige DNA-Sequenz aus der oben genannten Chromosomenregion stark aktiviert ist. Dieser Abschnitt trägt den Code für ein bislang nicht charakterisiertes F-Box-Protein. Solche Eiweißmoleküle sind für ihre Interaktion mit anderen Proteinen bekannt.

Im nächsten Schritt testeten die Wissenschafter eine Ackerschmalwandzuchtlinie mit einer gezielt herbeigeführten Mutation im Bereich der besagten F-Box-Sequenz. Diese Veränderung, so zeigte sich, hemmt die Produktion des Proteins und auch das Wurzelwachstum. Nun war klar: Das unbekannte Gen steuert den Wachstumsprozess. Die Forscher tauften ihre Entdeckung "Kurz und klein", abgekürzt "Kuk". A.-thaliana-Mutanten mit einem künstlich aktivierten "Kuk"-Gen zeigten im Labor ein besonders starkes Wurzelwachstum. Ein detaillierter Untersuchungsbericht wurde online vom Fachmagazin Nature Genetics veröffentlicht.

Um herauszufinden, wo genau "Kuk" seine Wirkung entfaltet, stellte das Team eigens eine Zuchtlinie mit dem eingeschleusten Fluoreszenzgen "YFP" her. Letzteres wurde direkt an "Kuk" gekoppelt, sodass beide Proteine immer gemeinsam produziert wurden. "Kuk-YFP"-Hybridmoleküle zeigten sich unterm Mikroskop im gesamten Wurzelspitzenbereich, aber nicht kontinuierlich in allen Zellen. Anscheinend ist der Wachstumsregulator nur zeitweilig vorhanden. Als F-Box-Protein dürfte sich "Kuk" an andere Eiweißmoleküle binden und leitet so, in Zusammenarbeit mit anderen Botenstoffen, vermutlich deren Abbau ein, sagt Busch. "Kuks" Zielprotein könnte somit ein Wachstumshemmer sein.

Die Wirksamkeit von "Kuk" selbst scheint entscheidend von seiner eigenen Struktur abzuhängen. Unterschiedliche Varianten des Moleküls entfalten eine unterschiedlich starke Aktivität. Das "Kuk"-Gen funktioniert dementsprechend nicht wie ein einfacher Schalter mit An/Aus-Knopf, sondern vielmehr wie ein fein justierbarer Dimmer. Aus evolutionsbiologischer Sicht könnte "Kuk" die Anpassung des Wurzelwachstums an unterschiedliche Bodentypen begünstigen. In zukünftigen Untersuchungen wollen die Forscher klären, welche weiteren Proteine an der Wachstumssteuerung beteiligt sind und wie der Aufbau der "Kuk"-Moleküle ihre Aktivität bestimmt. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 20.11.2013)