Wien - Die 72-Jährige ist ein stolze Erscheinung: löwenhaft das graue Haar, aufrecht der Gang, ebenmäßig die Gesichtszüge. Die Mimik ist zumeist arretiert im schmalen Zwischenbereich von Stoizismus und Härte, dann und wann entwischt daraus ein Anflug eines Lächelns. Ihre Akzente sind Pistolenschüsse, ihre Fortissimo-Passagen Kriegserklärungen. Zwischen die mit herber Ungerührtheit präsentierten, knallharten Dreschflegeleien streut die gebürtige Argentinierin immer wieder samtzarte Klangdelikatessen, innige, elastische melodische Wendungen. Martha Argerich, die rasante Königin der Gegensätze.

Die Königin brachte einen Mitregenten in den Musikverein, Gidon Kremer. Dieser wiederum entflammt seit Jahren für den erst spät entdeckten Komponisten Mieczyslaw Weinberg. 1919 in Warschau geboren, 1996 in Moskau verstorben, von den Nationalsozialisten vertrieben und vom Sowjetregime inhaftiert, waren die Kompositionen des Schostakowitsch-Jünger für Stalins Kulturpolizisten zu fortschrittlich; Jahrzehnte später, an seinem Lebensende, schienen sie der komponierenden Avantgarde Europas wiederum zu rückwärtsgewandt.

Weinberg, der fast vergessene Tonsetzer und versierte, bienenfließige Handwerker der Kompositionskunst, schrieb unter anderem sieben Opern, 22 Symphonien, 17 Streichquartette und auch etliche Filmmusiken. Die Bregenzer Festspiele erinnerten 2010 mit einem Schwerpunkt erstmals in umfangreicher Form an ihn: Neben der Oper Die Passagierin blieb vor allem das Musiktheaterwerk Das Portrait mit seinem reaktionsschnellen, farbigen Kompositionsstil in Erinnerung.

Bei Weinbergs 1953, im Jahr seiner Inhaftierung komponierten, fünften Violinsonate op. 53 enttäuschte Kremer noch ein wenig, er interpretierte das abwechslungsreiche, gemäßigt moderne Tonmaterial nicht mit letzter Klangschönheit, Intensität und Sauberkeit. In der einsätzigen Solosonate für Violine op. 126 meint Kremer, wie er im Programmheft erläutert, eine Familiengeschichte Weinbergs zu erkennen; in diesem expressionistischen, radikalen Werk bewies sich der Lette als großer Erzähler, der die Schrecknisse und Freuden der Familiensaga spannend vortrug.

Die zwei G-Dur Violinsonaten Ludwig van Beethovens (op. 96 und op. 30/3) ergänzten das Weinberg-Programm: Furiose Tempi, perlende Läufe, humoristische Zwiesprachen und intime, entspannte lyrische Passagen unterhielten und fesselten das Publikum im Großen Musikvereinssaal. Nach zwei Zugaben heftige, überschäumende Begeisterung und stehender Beifall. (Stefan Ender, DER STANDARD, 20.11.2013)