Den Chef der Westbahn sucht man passenderweise am Wiener Westbahnhof auf. Schmuckloses Gebäude, 6. Stock. Wer in die nüchternen Räume eintritt, ist gleich mittendrin. Zugbegleiter in Westbahnblau gehüllt kommen und gehen. Im Eingangsbereich wird geschäftig telefoniert. Beantwortet werden Kundenanfragen, wie zu hören ist. "What‘s your Problem", das wäre nicht die richtige Ansage, rät ein Mitarbeiter einer Kollegin. "Can I help you", käme besser an, sagt er ihr in freundschaftlichem Ton. Der Chef ist noch in einer Besprechung, heißt es zur Begrüßung. Opulente Eingangsbereiche gibt es hier nicht. Alles schön nüchtern. Dann kommt der Chef: Erich Forster. Das ÖBB-Urgestein stieß 2011 als Vertriebsleiter zur Westbahn. Nach Stefan Wehingers Abgang im Vorjahr übernahm der promovierte Psychologe die Spitze. Zum Interview mitgebracht haben wir derStandard.at-LeserInnen-Kritik. Die bekommt Erich Forster zum Nachtisch – nach gewissenhafter Beantwortung der Standard-Fragen.

Eine kleine Blitzumfrage in Sachen Westbahn hatte zuvor ergeben, dass das Thema die Leser und Leserinnen heftig bewegt. Erich Forster kennt sich da aus: "Waren Sie noch nie im Eisenbahnforum? Wir sind der erste, der im Wettbewerb gegen die ÖBB antritt. Manche ÖBB-Mitarbeiter fühlen sich in der Seele getroffen, weil es jetzt Konkurrenz gibt." (Foto: derStandard.at/Bruckner)
Foto: Bruckner

derStandard.at: Sie hatten für das Jahr 2013 den Break-Even angepeilt. 2014 steht vor der Tür – wie schaut es aus?

Forster: Das haben wir geschafft, was nicht heißt, dass wir insgesamt profitabel sind. 2015 wollen wir EBT (Gewinn vor Steuern, Anm.) erreichen. Dort werden wir auch hinkommen, wenn nicht noch mehr an staatlichen Eingriffen in das Wettbewerbsspiel stattfinden. Zum Beispiel beim Infrastrukturbenützungsentgelt (IBE). Vor unserem Markteintritt ist das jedes Jahr um 2,5 Prozent gestiegen. Mit der Ankündigung unseres Markteintritts hat man sich im Ministerium überlegt, das zu ändern. 2012 stieg es auf fünf, 2013 auf zehn Prozent. Nächstes Jahr wären das 14 Prozent gewesen, hätte das nicht der Regulator gestoppt. Die ÖBB trifft das im Verhältnis kaum, weil drei Viertel ihrer Zugleistungen durch gemeinwirtschaftlichen Leistungsvertrag bestellt sind. Und der ersetzt zu 100 Prozent plus Gewinnaufschlag das IBE. Das ist Wettbewerbsverzerrung.

derStandard.at: Sie könnten sich bei den Wettbewerbshütern beschweren ...

Forster: Wir werden das machen. Das muss man allerdings sehr detailliert vorbereiten.

derStandard.at: Dass Sie sich als Privater mehr Wettbewerb wünschen ist klar. Dann wollen aber alle nur die lukrativen Streckenabschnitte wie die Westbahn.

Forster: Da muss man ausschreiben, wie etwa in Bayern. In Österreich hat die Republik 2011 fast alles, was die ÖBB fährt, in einem Vertrag bestellt. In Deutschland hätte das so ausgeschaut: Man hätte das über mehrere Jahre durchgeplant. Zunächst die Südbahn ausgeschrieben, ein Jahr später den Tauern, dann die Strecke zwischen Salzburg und Graz. Dann hätte man den besten Anbieter mit den günstigsten Konditionen für den Staat gesucht. In Bayern hat man erreicht, mehr Leistungen zu bestellen mit weniger Subventionen. Deswegen sagt ja die EU-Kommission, es muss aus sein mit Direktvergaben. Bei uns gibt es oftmals große Diskussionen wegen 100.000 Euro. Dieser Vertrag ist sechs Milliarden wert.

derStandard.at: Sie erwarten also einiges vom vierten Eisenbahnpaket, das derzeit in Brüssel verhandelt wird?

Forster: Das zielt darauf ab, solche Direktvergaben überhaupt zu verbieten. Geht das durch, ist es aus damit, wie das heute in Österreich gemacht wird. Darauf setzen wir.

derStandard.at: Wenn nicht?

Forster: Dann wird es zumindest Restriktionen geben und mehrheitlich zu Ausschreibungen kommen. Wir gehen davon aus, dass bestehende Ungerechtigkeiten beseitigt werden.

derStandard.at: Noch müssen sie mit den derzeitigen Bedingungen zurecht kommen. Im Vorjahr schrieb das Unternehmen 23 Millionen Verlust. Wie geht’s jetzt dem Geschäft?

Forster: Wir sind extrem zufrieden. Wir haben über 50 Prozent Passagierzuwachs im heurigen Jahr und wir haben fast 60 Prozent mehr Umsatz. Und wir steigern uns Monat für Monat. Das ist wie eine Gerade nach oben und geht fast automatisch: Ein Kunde, der einmal mit uns gefahren ist, trägt die Information weiter. Für uns ist der zufriedene Kunde die entscheidende Komponente.

Wir kommen zur Frage: Wie rechnet, konzipiert und denkt ein Verkehrsunternehmen. Das ist naturgemäß kompliziert. Die Westbahn fuhr im Vorjahr 23 Millionen Verlust ein, heuer soll sich das Ergebnis bei plus/minus Null einpendeln. Man sei auf dem besten Weg in die Gewinnzone, so der Ex-ÖBB-Fernverkehrschef. (Foto: derStandard.at/Bruckner)
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derStandard.at: Die Westbahn-Eigentümer erwarten Gewinn. Was gehört zum Bahngeschäft, um damit Geld zu verdienen?

Forster: Man muss die richtige Balance bekommen zwischen Zugkilometern und Nachfrage. Der entscheidende Punkt ist: Zufriedene Kunden bekommen und deren Menge steigern. Ein vernünftiges Auslastungsniveau liegt bei 50 Prozent. Davon sind wir nicht weit entfernt. Von dort ist man sehr schnell beim Gewinn vor Steuern. Es geht aber um die Frage, wieviel erlöse ich pro Personenkilometer? Wir sind mit einem sehr attraktiven Preis unterwegs und brauchen ein bisschen mehr an beförderten Personen als ein anderes Unternehmen. Die Schweizer SBB fährt über das gesamte Netz mit einer Durchschnittsauslastung von 33 Prozent und hat dafür viel höhere Preise.

derStandard.at: Der Ticket-Preis ist das eine, was gehört noch dazu?

Forster: Der Fahrplan. Im heurigen Dezember ist der komplette Stundentakt fertig. Wir haben heuer einen deutlich besseren Fahrplan bekommen. Es ist zum Beispiel ganz wichtig, wer als erster fährt. Richtung Wien sind jetzt wir die Nummer eins und dahinter kommen drei ÖBB-Züge. Richtung Westen fährt zuerst der Railjet, dann kommt unser Zug, dann kommen zwei ÖBB-Züge. Ganz entscheidend für die Kunden ist die Pünktlichkeit. Pünktlichkeit heißt Westbahn.

derStandard.at: Da müssen sich die ÖBB mit ihren guten Noten aber auch nicht verstecken.

Forster: Ja, aber mit uns kommt sie nicht im entferntesten mit. Das misst übrigens die ÖBB-Infrastruktur. Wir haben rund 96 Prozent Pünktlichkeit. Die ÖBB kommen im Fernverkehr auf ca. 86 Prozent.

derStandard.at: Was macht Sie schneller?

Forster: Unsere breiten Doppeltüren, gleichzeitig haben wir in der Regel in jedem Waggon einen Mitarbeiter. Da hilft man rasch jemand, der mit dem Kinderwagen einsteigen will. Auch ein Einstieg mit dem Rollstuhl funktioniert bei uns ganz flott. Wir zeigen dort, was Menschen am Zug wert sind. Wenn Sie derzeit die europäischen Bahnen anschauen, dann machen fast alle das gleiche: Sie fahren die Anzahl der Mitarbeiter hinunter.

derStandard.at: Der Grund liegt auf der Hand: Mitarbeiter sind für Staatsbetriebe teurer als für Jungunternehmen wie dem Ihren. Jene mit alten Verträgen verdienen einfach viel mehr.

Forster: Auch dort gäbe es Neuanstellungen zu den gleichen Kollektivvertragsbedingungen wie wir sie haben. Trotzdem hat man überall gesagt, wir nehmen die Mitarbeiter runter vom Zug, reduzieren Kassen. Wir haben kein stationäres Personal, sondern wir verkaufen am Zug. Wir haben dadurch nicht mehr Kosten, weil wir uns auf der anderen Seite gewisse Dinge ersparen. Jeder glaubt zum Beispiel, Automaten sind so etwas Tolles. Die können aber zerstört werden. Unser System mit Menschen am Zug ist wesentlich besser. Für den Kunden immer jemanden vor Ort zu haben ist unschlagbar. Deswegen sind wir jetzt auch unglaublich beliebt bei der Zielgruppe Senioren. Die lieben es, wenn ihnen jemand das System erklärt oder auch drauf hinweist, jetzt kommt der Bahnhof, herrichten bitte.

derStandard.at: Weniger beliebt sind sie bei den Pendlern, seit Sie Zuschläge einheben ...

Forster: Die Pendler haben schon verstanden, was unser Problem ist. Wir haben ja nicht überall gesagt, dass wir mit den Einnahmen aus dem Pendlerverkehr ein Problem haben. Der Verbund in Oberösterreich funktioniert zum Beispiel völlig anders als der Verbund in der Ostregion. In letzterer konnten wir nicht Vollmitglied sondern nur "Light"-Mitglied werden. Wir haben keinen Einblick in die Abrechnungen, können dort in den Gremien nicht mitarbeiten. Wir bekommen, wenn jemand mit uns fährt aus den Verbundtarifen mit Zeitkarten nicht einmal zwei Euro für eine Fahrt zwischen Wien und St. Pölten. Um zwei Euro kann nur jemand fahren, der irgendwo anders Subventionen bekommt.

Abtauchen in die (Un-)tiefen der Verkehrspolitik: Da kann sich Erich Forster richtig aufregen. Es sei ja nicht so, dass es zwischen Wien und Salzburg keine Subventionen gäbe. Grob gerechnet würden dort über 40 Millionen landen. Auch das Land Niederösterreich zahle für die Pendler. (Foto: derStandard.at/Bruckner)
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Forster: Wir haben zum Ministerium gesagt, es gibt eine EU-konforme Möglichkeit Höchsttarife zu bestellen und das abzugelten. Das wurde abgelehnt, deswegen haben wir diese Peak-Aufpreise eingeführt. Es gibt eine bestimmte Kundengruppe, für die zählt aber ohnedies W-LAN unterwegs, ein gescheiter Sitz, die Pünktlichkeit, die zahlt das. Das sind täglich etwa 300. Viele haben eine Monatskarte und sehr viele haben zur Jahreskarte gewechselt.

derStandard.at: Wieviele Kunden haben Sie verloren?

Forster: Rund 1000 pro Tag sind abgesprungen.

derstandard.at: Die sind wohl wieder zu den ÖBB zurück gekehrt. Ärgert Sie das? Man sagt Ihnen ja nach, viel besser mit ihrem Ex-Arbeitgeber zu kooperieren, als Ihr Vorgänger, Stefan Wehinger. Das Wort Kuschelkurs ist da gefallen.

Forster: Kuschelkurs ist übertrieben. Aber wir haben durchaus Themen, wo wir uns beim Regulator treffen und um eine gemeinsame Entscheidung bitten. Für heuer hoffen wir, dass das Infrastrukturbenützungsentgelt vom Regulator aufgehoben wird.

Wir plaudern ein bisschen darüber, wie sich ÖBB und Westbahn unterscheiden. Was seiner Ansicht nach der Westbahn noch fehlt, um auf gleich zu kommen mit den ÖBB. Da gibt es vieles was Forster noch ändern will, zum Beispiel den Strom nicht bei den ÖBB kaufen, zum Beispiel für eine Zugwartung nicht nach Linz fahren müssen. Vieles fällt ihm da noch ein. Aber natürlich sei man wesentlich flexibler, wegen der kleinen Struktur. (Foto: derStandard.at/Bruckner)
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Forster: Die Kleinheit bietet auch Vorteile: Sie brauchen nur aus dem Fenster zum Zug zu schauen. Wenn wir eine Wende machen, dann geht unser Rucksackreiniger durch. Wir arbeiten bei der Wartung wie eine Airline, brauchen nirgendwo hinzufahren. Unser Zug wird nur in der Nacht gewartet und fährt untertags. Bei den Einsatzprozenten reden wir von Fabelwerten: Oktober 99,9. Das Eisenbahnfahren an sich machen wir exzellent.

derStandard.at: Fast. Ich habe Ihnen auch LeserInnen-Kritik mitgebracht. (Fragen und Antworten können Sie hier nachlesen). Eine Frage noch. Was macht an der Sache richtig Spaß?

Forster: Der zufriedene Kunde. Ich fahre nicht nur mit, ich bin jeden Tag am Bahnhof. Auch am Wochenende, bei mindestens zwei Zügen. Das geht, glaube ich, meiner Frau schon gelegentlich auf die Nerven. (Regina Bruckner, derStandard.at, 25.11.2013)