Bild nicht mehr verfügbar.

Die EZB enteignet keine Sparer, sagt Asmussen.

Foto: Reuters

STANDARD: Die Hypo Alpe Adria musste im Dezember 2009 notverstaatlicht werden - bisher kostete das Fiasko Österreich 3,4 Milliarden Euro. Die Eurozone bastelt gerade an einer Bankenunion, die Steuerzahler sollen nicht bei jeder Bankenpleite einspringen müssen. Wenn alles klappt: Wie würde eine Hypo-Rettung im Jahr 2020 aussehen?

Jörg Asmussen: Wenn wir es schaffen, eine vollständige Bankenunion zu errichten, wird es in Zukunft eine gemeinsame Aufsicht bei der Europäische Zentralbank (EZB) geben, die die 130 größten Bankengruppen direkt überwacht. Diese Aufsicht wird beurteilen, ob eine angeschlagene Bank lebensfähig ist, oder nicht: Ist eine Bank lebensfähig, aber unterkapitalisiert, würde man ihr höhere Kapitalanforderungen auferlegen. Wenn die Bank nicht zu retten ist, würde man sie an die europäische Abwicklungsbehörde übergeben.

STANDARD: Hier wird es für die Steuerzahler spannend.

Asmussen: In Zukunft wird es klare Regeln auf europäischer Ebene darüber geben, wer in welcher Reihenfolge für Lasten bei einer Bankeninsolvenz aufkommen muss. Das wichtigste Fachwort dabei ist "Bail-in": Das bedeutet, dass in Zukunft Aktionäre und Gläubiger einer Bank in erster Reihe herangezogen werden, um Verluste zu tragen. In Zukunft gibt es hoffentlich auch einen europäischen Bankenabwicklungsfonds, der aus Beiträgen der Banken gespeist wird und der im Krisenfall eingreifen kann, um Kapitallücken zu schließen. Das heißt, die Steuerzahler wären deutlich besser geschützt, als sie es heute sind.

STANDARD: In den europäischen Gesetzesvorschlägen steht, dass ein "Bail-in" eingesetzt werden soll, zwingend ist es nicht. Ist das eine Beruhigungspille, und wenn es um die Verteilung realer Verluste geht, muss wieder der Steuerzahler ran?

Asmussen: Es ist klar, dass künftig Aktionäre und Gläubiger zuerst herangezogen werden sollen, und zwar zur Deckung von bis zu acht Prozent der Bilanzsumme einer Bank. Nur wenn dann überhaupt noch erforderlich ist, kommen öffentliche Mittel von bis zu weiteren fünf Prozent der Bilanzsumme dran. Was die Bankenrettungen betrifft, hat sich die ganze Philosophie in Europa gedreht.

STANDARD: Nach Zypern?

Asmussen: Nein, der Prozess begann schon früher, nach der Lehman-Pleite 2008. Banken-Bail-outs sind out, Bail-ins sind in. Aber man soll sich keine Illusionen machen: Es geht immer um die Verteilung realer finanzieller Lasten. Es wird also auch künftig kein Spaziergang, wenn man eine Bank abwickelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Steuerzahler künftig eingreifen müssen, wird wesentlich geringer sein - aber sie ist nicht gleich null.

STANDARD: Über die einzelnen Punkte der Bankenunion tobt ein Streit. Die EZB will, wie Sie gesagt haben, eine zentrale Abwicklungsbehörde schaffen, die entscheidet, was mit Pleitebanken geschieht. Die Finanzminister der 18 Euroländer legen sich quer und wollen, dass nationale Behörden entscheiden. Warum wäre das ein Problem?

Asmussen: Weil das meine ganz persönliche Erfahrung aus dem Jahr 2008 war (Asmussen war damals deutscher Finanzstaatssekretär, Anm.): Was die Hypo Alpe Adria für Österreich ist, war die Hypo Real Estate für Deutschland. Wir haben damals gesehen, dass eine geordnete Rettung oder Abwicklung einer Bank über ein Wochenende erfolgen muss. Sie brauchen eine schnelle Entscheidung und haben in der Regel 48 Stunden Zeit, um einen Banken-Run zu verhindern. Das ist mit einem Entscheidungsnetzwerk, das aus 18 Aufsichtsbehörden, 18 Finanzministerien und 18 nationalen Rettungsfonds besteht, einfach nicht zu bewerkstelligen.

STANDARD: Deutschland legt sich auch bei einem weiteren Punkt quer und pocht darauf, dass künftig jedes Land seinen eigenen Krisenfonds für Banken betreibt?

Asmussen: Ich halte diesen Vorschlag für suboptimal. Die großen Banken sind heute grenzüberschreitend im ganzen Binnenmarkt tätig. Eine effektive Finanzmarktregulierung muss in derselben Reichweite operieren wie eine Bank: Es hat keinen Sinn, wenn eine Bank, die beispielsweise in zwölf Ländern tätig ist, letztlich auf zwölf verschiedene Abwicklungsfonds zugreifen muss. Das System der Bankenabwicklung funktioniert nur, wenn alle wesentlichen Elemente wie Krisenfonds und Abwicklungsbehörde auf europäischer Ebene eingerichtet werden. Man kann nicht beliebig ein Instrument herausgreifen, sonst schafft man sich neue Probleme.

STANDARD: Welche?

Asmussen: Bankenaufsicht und Bankenabwicklung sollten Hand in Hand auf europäischer Ebene organisiert werden. Wenn wir nur die Bankenaufsicht bei der EZB bündeln und unklar bliebe, was genau mit einer nicht lebensfähigen Bank geschehen soll, wer dafür zuständig ist und wer zahlt, dann ist die Hürde für die Aufsicht, eine Bank zur Abwicklung zu übergeben, zu hoch, und das wüssten die Banken auch. Das heißt, dann wäre die Aufsicht ein zahnloser Tiger, und das wollen wir nicht sein.

STANDARD: Warum legen sich die Deutschen eigentlich überall quer?

Asmussen: Ich kann nicht für die deutsche Bundesregierung sprechen. Aber die Bankenunion ist meiner Meinung nach das wichtigste europäische Integrationsprojekt seit der Euroeinführung. Es ist klar, dass es hier Vorbehalte gibt. Zudem gibt es in allen Ländern im Jahr fünf oder sechs der Krise eine gewisse Reformmüdigkeit. Aber ich glaube, wir sollten das jetzt durchhalten. Wir haben in den vergangenen 24 Monaten Erfolge erzielt, stehen besser da als zuvor. Das sollte man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

STANDARD: Als großes Problem gilt "too big to fail", dass also Kreditinstitute so groß sind, dass man sie gar nicht pleitegehen lassen kann. Wird die EZB dies nicht noch verschärfen: Die 130 direkt beaufsichtigten Großbanken könnten sagen: Sparer, kommt zu uns, wir sind EZB-geprüft?

Asmussen: Wir haben in Zukunft die gleichen Aufsichtsregeln für alle Banken, also sowohl für die 130 Institute, die von uns beaufsichtigt werden, als auch für die 5800 anderen Banken, die von den nationalen Aufsehern geprüft werden. Nur weil diese von den nationalen Aufsehern beaufsichtigt werden, darf man nicht schlussfolgern, dass dies eine Aufsicht erster oder zweiter Klasse ist.

STANDARD: Man darf nicht. Aber wenn es trotzdem passiert?

Asmussen: Aber eine Bank, die unter der nationalen Aufsicht verbleibt, könnte ja auch damit werben gehen, dass die nationalen Aufseher besonders streng waren. Die EZB wird außerdem keine Prüfsiegel verteilen.

STANDARD: Die EZB hat die Leitzinsen auf 0,25 Prozent halbiert. Dabei sind die Inflationsraten in Europa völlig unterschiedlich: Griechenland steckt in der Deflation, in Österreich liegt die Inflationsrate bei 1,5 Prozent. Wem also nützt die Zinssenkung?

Asmussen: Die EZB hat das Mandat, Preisstabilität im ganzen Euroraum zu sichern. Das heißt, wenn wir entscheiden, haben wir die Inflation in Europa im Blick und nicht die Inflation in einzelnen Ländern oder Subregionen. Unser Mandat verpflichtet uns zu diesem Blick. Wir hatten im Euroraum im Oktober eine Inflation von 0,7 Prozent - und die EZB hat ein Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent. Das allein ist Maßstab unseres Handelns.

STANDARD: Wenn alle das Mandat der Notenbanker so strikt auslegen würden, dann hätte der Beschluss in der EZB einstimmig ausfallen müssen. Das war nicht der Fall.

Asmussen: Ich kann nicht für die Kollegen sprechen. Sie können Österreichs Gouverneur Nowotny fragen. (Laut Medien war Nowotny gegen die Zinssenkung, Anm.) Es kann halt auch sein, dass man Daten unterschiedlich interpretiert.

STANDARD: Ich frage, weil man das Gefühl hat, dass die politische Spaltung zwischen Nord- und Südländern auch den EZB-Rat durchzieht. Ein Teil der Notenbanker aus dem Norden war gegen die Zinssenkung.

Asmussen: Diese Spaltung sehe ich nicht. Aber ein Teil des Problems ist, dass wir als EZB keinen Einblick in unsere Diskussionen geben. Ich plädiere daher für mehr Transparenz, also eine Veröffentlichung der wesentlichen Argumentationslinien unserer Beratungen im Rat. Man sollte dann sehen, wer für was gestimmt hat. Das würde unser europäisches Mandat schärfen. Ich glaube, dass wir, so wie wir das in der EZB derzeit handhaben, nicht mehr zeitgemäß sind und dass es notwendig ist, mehr Rechenschaft abzulegen, warum wir wie entscheiden.

STANDARD: Deutsche Ökonomen wie Hans-Werner Sinn werfen der EZB vor, Sparer mit den niedrigen Zinsen zu enteignen. Die Politik der EZB nütze nur den Krisenländern.

Asmussen: In diesen Debatten wird mit vielen Halbwahrheiten argumentiert. Entscheidend für die Sparer ist nicht der Leitzins der EZB, sondern der Zins, den er beispielsweise für eine zehnjährige Bundesanleihe bekommt oder den ihm die Bank bietet. Während die EZB die kurzfristigen Zinsen stark beeinflussen kann, entscheiden bei langen Laufzeiten Angebot und Nachfrage über den Zinssatz. Solange also Deutschland als sicherer Hafen angesehen wird und viel Kapital aus Europa dorthin abfließt, werden die Kapitalmarktzinsen niedrig bleiben. Die Situation wird sich erst normalisieren, wenn es den Ländern in der Peripherie ein Stück weit besser geht.

Jörg Asmussen (47) studierte Volkswirtschaft in Bonn, arbeitete ab 1996 im deutschen Finanzministerium, wo er rasch aufstieg. Er leitete die Abteilung Finanzmarktpolitik (2003 bis 2008), wurde dann Finanzstaatssekretär. Seit 2012 sitzt er im EZB-Direktorium. Der SPD-Mann gilt als Bindeglied zwischen EZB-Chef Draghi und der deutschen Regierung. Es wird spekuliert, dass Asmussen nächster deutscher Finanzminister wird. (András Szigetvari, DER STANDARD, 21.11.2013)