Der Übungsraum für die Rundumprojektion bietet Platz für zehn bis neun Personen

Foto: VRVis

Wie veranschaulicht man Öffi-Lenkern neue Strecken oder schlummernde Gefahren auf Kreuzungen, ohne durch zu viele Schulfahrten den Fahrplan zu durchkreuzen? Die Wiener Linien haben dafür eine kostengünstige Lösung gesucht und gefunden. 

Schulung für 400 Fahrerinnen und Fahrer

Bauarbeiten dauern bis zum letzten Tag. Kein Deut anders war das im Fall der 4,2-Kilometer-Verlängerung der U-Bahn-Linie U2 von Aspern bis zur neuen Endstelle Seestadt. Die Wiener Linien brachten es trotzdem fertig, bis zur Eröffnung am 5. Oktober die Voraussetzung zu erfüllen, dass alle potenziellen 400 Fahrerinnen und Fahrer auf der Strecke eingeschult werden konnten.

Bisher erfolgte die Einschulung des Fahrpersonals auf neuen U-Bahn-Strecken zwei Wochen vorher in einem Probebetrieb. Zwei bis drei Zuglenker wurden dazu in die Fahrerkabine einer passagierlosen Garnitur gequetscht und von dem Ausbildner auf die Besonderheiten aufmerksam gemacht. Da aber bei allen Projekten erfahrungsgemäß die Zeit davonläuft, hatten die Verkehrsbetriebe dieses Mal vorgesorgt: terminunabhängiges Trockentraining mittels einer Rundumprojektion.

Einfache Lösung

Dafür wurde gemeinsam mit einem Team des Wiener Zentrums für Virtual Reality und Visualisierung VRVis eine im Grunde einfache Lösung ausgetüftelt. Drei Beamer und ein Rechner auf der Hardwareseite, eine Videosoftware, die die aufgenommenen Videostreams für die Projektion berechnen und darstellen kann, auf der anderen Seite. Was es dann noch braucht, ist ein Raum mit drei weißen Wänden. Und der war in einem der vielen Gebäude auf dem riesigen Gelände des Erdberger Bahnhofs schnell gefunden.

Der Film, der vor dem U-Bahn-Fahrer abläuft, vermittelt genau jene 270-Grad-Sicht, über die er auf der echten Strecke sonst im Fahrzeugstand verfügt, erläutert Ausbildner Rainer Bartos dem STANDARD bei einer virtuellen Probefahrt. Eingeblendet werden die Haltepunkte, die dem Fahrer sonst auf dem Armaturenbrett anzeigen, in welchen Streckenabschnitt der Zug hineinfährt.

Über Gleiskabel erhält die meist automatisch fahrende U-Bahn Daten über den sogenannten aktuellen Sollwert. Diese informiert den Zugführer, ob der Streckenabschnitt frei und gesichert ist. Ist dies nicht der Fall, wird der Zug abgebremst. Zum Beispiel vor einer Station, wenn der vorherige Zug noch nicht weitergefahren ist.

Nächster Schritt: Fahrsimulator

Ein Fahrsimulator könnte natürlich die ganze Sache noch realistischer abbilden und auch Ereignisse wie die Ein- und Aussteigesituation von Fahrgästen üben lassen. Ein Auftrag für ein derartiges System wurde von den Wiener Linien aber erst dieses Frühjahr ausgeschrieben. Und bis zur Verwirklichung dieses Vorhabens leiste die Videolösung mit einem Kostenpunkt von rund 10.000 Euro in vieler Hinsicht effiziente Dienste, meint Bartos. Geplant ist auch, Videotraining auch für andere Bereiche einzusetzen, etwa um Straßenbahnfahrern die Problematik gefährlicher Kreuzungen zu veranschaulichen.

Bilder und Videos, die räumlichen Eindruck vermitteln, sind heute laut VRVis-Chef Georg Stonawski zwar keine Riesensache mehr. Der nächste Schritt vollzieht sich hier gerade mit kostengünstigen stereoskopischen 270-Grad-Rundumsichten, die unter anderem die Umgebung erlebbar machen können. Zum Beispiel könnten Stadtplaner und Politiker damit auch verschiedene Varianten von Verkehrsberuhigungsprojekten im wahrsten Sinn des Wortes vorher durchschauen. (Karin Tzschentke, DER STANDARD, 26.11.2013)