Lustvoll aufpolierter Gemüsestängel in der Ausstellung der Britin Sarah Lucas.

Foto: Wolfgang Thaler

Wien - So niedlich wie ihre Titcats, die man 2012 in der Londoner Galerie von Sadie Coles auf dem Franz-West-Diwan sitzend kraulen und kneten konnte, sind Sarah Lucas' Arbeiten für die Secession nicht. Im Vergleich zu den weichen Nylonstrumpfmiezen schon eher gewaltig und hart. Denn schließlich ist das Sujet ja eines, bei dem es tatsächlich auf die Größe ankommt: Kürbisse. Und die Frage, wer den größten Kürbis hat, ist laut Lucas in England auch eher eine der Männer. Manch einer soll aber nicht nur beim Gemüse gern das Maßband anlegen.

Es wäre nicht Sarah Lucas, wenn diese Späßchen in ihrer Doppeldeutigkeit nicht auch ein wenig schlüpfrig wären. Denn freilich erinnert der glänzende Bronze-Zucchino im Hauptraum an einen - um im unverblümten Sarah-Lucas-Sprech zu bleiben - "Schwengel". Während ein anderes Gewächs aus der Kürbisfamilie, das hinter einer Nippel-Plakatwand hervorlugt, an eine weibliche Brust denken lässt.

Denn Ironie und Freude am sexuellen Wortwitz lässt die 51-jährige Künstlerin beiderlei Geschlechter spüren. Berühmt geworden ist ihr Akt Frau im Bad, den sie 1992 auf einem simplen Küchentisch mit zwei Spiegeleiern und einem Kebab nachstellte. Später posierte Boyfriend Gary Hume mit spritzender Bierdose vorm Geschlecht oder griff für die spontane Geschlechts-Collage zu zwei Fünf-Uhr-Tee-Biscuits und einer Milchflasche (Exkurs: Zwecks Größenvergleich werden im Internet erigierte Penisse gern gemeinsam mit Zahnpastatube, Duschgelflache oder ähnlichem inszeniert!). Um der Vielfalt zu entsprechen, kamen auch runzlige Erdäpfel oder Bananen zum Einsatz. Und die Chicks? Die Weiblichkeit reduzierte sie oft auf meterlange Beine (ausgestopfte Feinstrümpfe) oder auf ein aufgespreiztes, festgezurrtes Brathuhn.

Inzwischen sind mehr als 20 Jahre vergangen, und Lucas hat sich vom einstigen Young-British-Artists-Schocker zu "einer der besten britischen Künstlerinnen aller Zeiten" (Guardian) gemausert. Im Vergleich zu Lucas, so der Kolumnist, könnten sich Bildhauer wie Henry Moore oder Barbara Hepworth - frei übersetzt - brausen gehen. Die Retrospektive zu Sarah Lucas' drastischer, sinnlich-frecher Körperkunst in der Londoner Whitechapel-Gallery (bis 15. 12.) war also überfällig. Mit Penissen geizt die Ausstellung nicht, denn Lucas attestiert diesen augenzwinkernd "eine Glorifizierung des kreativen männlichen Prinzips".

Last der Lendenkraft

Wer die Londoner Schau besucht, wird sich in der Secession womöglich langweilen: Auch in Wien zeigt Lucas ihre neuesten Objekte, darunter die Betonguss-Schwänze, die schwer auf ihrer Penisverlängerung lasten. Diese PS-starken Spielzeuge hat Lucas allerdings in der Schrottpresse auf ein handlicheres Format gebracht. So viel Gemeinheit gegenüber dem Machismo gehört bestraft: Und so hat Lucas den eigenen Popo mit "Complete Arsehole" beschriftet und abgelichtet. Mit Louise Bourgeois und anderen kunsthistorischen Ikonen habe die Lust an der phallischen Form wenig zu tun, lenkt Lucas ein, zumindest nicht bewusst. "Das ganze Leben dreht sich um Sex", daher sei er Teil so vieler künstlerischer OEuvres.

Wären ihre aufpolierten Gemüsestängel nicht glänzend, sondern in mattem Zuckerlrosa oder in Babyblau lackiert, sie gingen als Arbeiten von Franz West durch. Mit dem österreichischen Bildhauer arbeitete Lucas bis zu dessen Tod an Gemeinschaftsarbeiten (auch die Idee der bronzenen Kürbisse war Teil ihrer Gespräche). Dass West bei der Realisation womöglich nicht mehr dabei sein würde, erzählte Lucas in einem Interview, wollte er bis zuletzt nicht akzeptieren.

Auch ihre jüngsten metallischen Potenzbrocken - nicht nur ihre animalisch aussehenden "Tittenkatzen" - seien so wie alle ihre Arbeiten "Kreaturen". Warum? "Weil sie einen Charakter haben", so Lucas. "Sie sind meine Freunde", erklärt sie dem Standard das Subjektwerden ihrer Objekte.

Für ihre Lebendwerdung sorgen allerdings andere Freunde: Lucas hat die Gelatin-Familie geladen und sich damit für die Kollaboration während der Ausstellung Lucas Bosch Gelatin 2011 in Krems revanchiert. Gelatin holt zu Lucas' regelmäßig wiederkehrendem Spiegelei-Motiv, das auch die Einladungskarte zur lustvollen Personale zitiert, das echte Federvieh dazu und verwandelt die Secession so in einen gackernden Hühnerstall. Die Chicks machen sie allerdings erst später klar, nach dem Trubel der Eröffnung.

Mitgemischt haben Gelatin aber auch am Katalog, der sich als ABC des Dirty Talks liest. Vom Fiedler über den Knüppel bis zu Strandschnecke und Fut wühlt man sich herrlichst durch den Vulgär-Morast: Ein bildgestütztes Buchstabieren, das in der Machart ein wenig vom Gelatin’schen Kakabet inspiriert scheint. (Anne Katrin Feßler, Langfassung, DER STANDARD, 22.11.2013)