Wien - Der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing bezweifelt, dass sich die Europäische Union (EU) rasch zu einer Politischen Union weiterentwickeln wird. Deshalb werde auch die Währungsunion das bleiben, was sie derzeit ist, nämlich eine Gemeinschaft von Staaten, die ihre geldpolitische Kompetenz auf eine supranationale Institution übertragen haben, die Europäische Zentralbank (EZB).

Aus diesen Grund müsse jedes Land die Probleme, die es selbst verschuldet habe, auch wieder selbst verantworten, sprach sich Issing am Mittwochabend in einem Vortrag in Wien für eine Rückkehr zur "No-Bail-Out-Klausel" aus, also dem EU-Prinzip, das Haftungen für einzelne Mitgliedsstaaten ausschließt. Diesem Prinzip müsse wieder Raum gegeben werden, sonst gehe es ins Mark des Projekts Europa.

Wenn die Politische Union auf absehbare Zeit eine Vision bleibe, wovon er ausgehe, da sich dafür plebiszitär in vielen Ländern keine Mehrheit finden würde, so seien die Entscheidungen über Steuern und Ausgaben nach wie vor auf nationaler Ebene zu treffen. Deshalb gehe in diesen Bereichen nichts ohne Parlamentsbeschlüsse, ansonsten würde das "Königsrecht" der Volksvertretung verletzt, nämlich die Budgethoheit. "No taxation without representation", erinnerte Issing an eine Parole der US-Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jahrhundert als Reaktion auf den britischen Teesteuer-Beschluss.

Gegen Euro-Bonds

Euro-Bonds, also Staatsanleihen mit einer gemeinsamen Haftung - in welcher Ausprägung auch immer -, lehnt der Ökonom, der bis 2006 dem EZB-Direktorium angehört hat, strikt ab. Zinsvorteile bei der Refinanzierung von Staatsschulden für womöglich reformunwillige Länder auf Kosten anderer würden zudem das Protestpotenzial in der Bevölkerung fördern.

An die Fiskalunion, deren Errichtung 2011 die Euro-Staaten sowie weitere 8 EU-Länder (außer Großbritannien und Tschechien) beschlossen haben, glaubt Issing nicht. Denn dies würde ja gerade bedeuten, dass man die Entscheidungskompetenz für Steuern und Ausgaben auf eine europäische Institution überträgt - was jedoch wiederum nur in einer Politischen Union ginge."Als konkrete Politik kann ich mir eine wirkliche Politische Union aber nicht vorstellen", blieb der Experte bei einem Vortrag auf Einladung der Hypo Nö. Gruppe skeptisch.

Es müsse darauf geachtet werden, dass der Euro nicht als ein Spaltpilz in der EU wirkt, verwies Issing als Beispiel auf Äußerungen des britischen Premiers David Cameron, der Dinge an EU und Euro auch zu Recht kritisiert, zugleich aber die Frage gestellt habe, ob Großbritannien in der EU bleiben solle - dem Euro versperren sich die Briten ja ohnedies vehement. Das sei eine brisante Stelle, wo sich die Spaltgefahren zeigen, meinte der Ökonom zur Ambivalenz von Camerons Argumentation.

Krise geht weiter

Zu den noch spürbaren Ausläufern der Finanz- und Wirtschaftskrise sagte Issing, es stehe zu befürchten, dass die Krise noch eine Weile weitergehen werde, wenngleich deren Akutheit nachgelassen habe. Die Krise sei Problem und Chance zugleich, so sei es etwa möglich, längst überfällige Reformen anzugehen.

Die Zukunft des Euro und die Größe des Währungsraums, also die Zahl der Mitglieder, werde nicht in Peripherieländern wie Spanien oder Griechenland entschieden, so Issing. Aus Italien kämen die großen Probleme - "etwas später, aber vielleicht mit geballter Wucht, auch in Frankreich". Denn dort würden immer höhere Steuern die Wirtschaft lähmen, das sei "ökonomisch schädlich".

Die Arbeitslosigkeit, vor allem bei jungen Menschen, müsse vordringlich angegangen werden in Europa. An der rekordhohen Zahl junger Arbeitsloser in Spanien sei jedoch nicht der Euro schuld, denn auch davor, in all den Jahren, habe das Land kaum Jugendarbeitslosenraten von unter 30 Prozent aufgewiesen.

Die EZB habe das Versprechen "Preisstabilität" erfüllt, verteidigte Issing den Kurs der Euro-Hüter. In den 14 Euro-Jahren sei die jährliche Inflation niedriger gewesen als davor in den 50 Jahren mit D-Mark.

Erwartungen erfüllt

"So stabil wie der Schilling oder die D-Mark" habe man sich den Euro gewünscht, und er habe diese Erwartungen erfüllt. An die Stelle von Schilling und D-Mark sei eine gleichwertige Währung getreten. "Der Euro steht stark da zum Beispiel gegenüber dem US-Dollar. Der Euro ist im Inneren stabil und nach außen zum Teil stabiler als vielfach gewünscht."

Auf dem Weg zur geplanten Bankenunion sieht Issing noch einige Stolpersteine. Mit der dabei vorgesehenen gemeinsamen Finanzaufsicht über die großen Geldinstitute in Europa sei nun die EZB beauftragt, obwohl es für die Aufsichtsrolle einer Notenbank viele Für und Wider gebe. Die EZB werde es zwar leichter als eine nationale Notenbank haben, bei maroden Banken einzelstaatliche Interessen unberücksichtigt zu lassen - nach Meinung des Experten birgt diese Frage dennoch auch ein Reputationsproblem für die EZB.

Zur Frage der Abwicklung, Restrukturierung und Rekapitalisierung von Instituten, einem wichtigen Punkt der Bankenunion, sei die deutsche Position, es könne ja nicht sein, dass deutsche Staatsbürger dafür haften, was etwa spanische Banken verbrochen haben. Umgekehrt würden ja wohl auch nicht italienische oder französische Bürger für Probleme deutscher Institute à la HRE oder IKB geradestehen wollen, zitierte sich Issing selbst aus einer früheren Diskussion. Die andere Position laute freilich, dass schwache Institute europäisch finanziert werden sollten. Ob ein gemeinsamer Fonds, in den die Banken einzahlen, künftig alle Problemfälle finanzieren könne, zog der Ökonom von der Dimension her in Zweifel; in der jetzigen Krise nütze ein solcher Fonds jedenfalls nichts, denn er sei noch leer. Das Thema werde also heftig diskutiert, "was herauskommt ist offen". (APA, 21.11.2013)