Wallner: "Das ist nicht einfach nur 'Holladrio'."

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Ihre Linie fand Nadine Wallner auch in Neuseelands Bergen ... und genoss den "Schnee und das freie Fahren".

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St. Anton / Wien - Die Valluga West startet vom höchsten Gipfel des Arlberggebietes (2809 Meter) und ist eine Tiefschneeabfahrt, die geübten Tourengehern oder Freeridern in Begleitung eines Skiführers vorbehalten ist. Der atemberaubende Rundblick ist das eine, die steile Abfahrt vorbei an Felsen das andere.

Nadine Wallner war sechs Jahre alt, als sie die Valluga West mit ihrem Vater, einem Bergführer, erstmals bewältigte. "An den Tag kann ich mich genau erinnern", sagt die 23-jährige Vorarlbergerin. "Papa ist losgefahren, ich bin hinten nach. Erst später ist mir klar geworden, dass diese Abfahrt nicht jedes Kind macht." Das Leben in den Bergen zu schätzen, mit all seinen Risiken, mit Demut vor der Natur und den Gefahren, die lauern: Das hat sich bei Wallner ganz fest verankert. Und daran hat sich auch nichts geändert, als sie sich im März 2013 den Weltmeistertitel bei der Freeride World Tour (FWT) geholt hat - in ihrer Premierensaison.

Zwei Tore genügen

Anders als die Skirennfahrer kommen die Freerider bei ihren Bewerben mit nur zwei Toren aus. Eines steht oben am Berggipfel, eines am Ende des Hanges. Was die Athleten in bis zu 70 Grad steilen Flanken dazwischen machen, ist ihnen überlassen: Schwünge im Tiefschnee, Sprünge über meterhohe Felsen. Waghalsige nützen die Zeit in der Luft für Rückwärtssalti und Drehungen. "Das ist nicht einfach 'Holladrio'. Wir kalkulieren alles so weit wie möglich ein: Lawinengefahr, Restrisiko, Sprünge, Landung", sagt Wallner dem Standard. Sicherheitsausrüstung und Lawinenairbag sind immer dabei.

Das mit dem Beruf im Pulverschnee hat sich zufällig ergeben. Wallner steuerte auf eine Karriere im alpinen Skirennsport zu, war im Landeskader des Skiverbandes ÖSV, als mit 15 Jahren ein schwerer Unfall passierte.

Milzriss, Not-OP

Beim Slalomtraining am Neujahrstag 2004 rammte sie sich nach einem Sturz den eigenen Stock in den Bauch, bei der anschließenden Notoperation musste die Milz entfernt werden. Wallner kämpfte ums Comeback. Als es wieder losgehen konnte, kamen wachstumsbedingte Knieprobleme.

Wallner sattelte auf eine Skilehrerkarriere um, mit 21 war sie staatlich geprüfte Skilehrerin und -führerin. Vom Rennfahren kam Wallner aber nicht los, sie verband ihre Leidenschaften mit Starts bei lokalen Freeride-Events.

Um sich das Sportmanagement- und Wirtschaftsstudium in Innsbruck zu finanzieren, lieferte sie sommers Pizzas aus, kellnerte in Bars und stand in einer Fabrik am Fließband. Das hat sich mit dem Weltmeistertitel geändert. Sponsoren, die bisher mühsam aufgestellt werden mussten, klopften plötzlich von selbst an. Und sie ermöglichten ihr im Sommer einen Monat in Neuseeland. "Wir haben nur ein kleines Fotoprojekt umgesetzt. Sonst habe ich den Schnee und das freie Fahren genossen." Dazu kamen in der Heimat alpine Hochtouren, Bergsteigen und Klettern. "Mein Hobby im Sommer ist meine Vorbereitung für den Winter."

Am 18. Dezember folgt im kanadischen Revelstoke der Saisonauftakt der FWT, bis dahin nützt Wallner die Prüfungswochen auf der Uni und trainiert - vorerst noch - auf den Gletschern. Der Heimevent in Fieberbrunn steigt am 1. Februar 2014. Ebenfalls ein Fixpunkt im Februar ist für Wallner auch ein Kurs mit "geländetauglichen" Kids zwischen elf und 15 Jahren im Freeride Center in Stuben am Arlberg. "Da kann ich ihnen Sicherheitsrichtlinien zeigen und beweisen, dass wir Freerider nicht wie die Wahnsinnigen überall drüberhupfen." Das Lehrergen hat sie vom Vater. "Wenn ich mit dem Papa heut Ski fahren gehe, zeigt er noch immer auf die Berge und den Schnee und fragt: 'Was siehst du dort drüben? Windeinfluss? Schneedeckenaufbau?'" (David Krutzler, DER STANDARD, 22.11.2013)