"Leadership Revisited" lud ins Wiener Palais Todesco (v.l.): die Initiatoren Martin Engelberg (Vienna Consulting Group) und Barbara Heitger (Heitger Consulting), Mathias Lohmer referierte.

Foto: Regine Hendrich

Spannungen, Druck, Personalabbau und Ängste, die Mitarbeitern zu schaffen machen: "Führung wird turbulenter", sagt Organisationsberater und Psychoanalytiker Mathias Lohmer. Gefragt ist Navigationsfähigkeit - und zwar mehr denn je. Vor allem in volatilen Zeiten brauche es in der Mitte eine ruhige Stelle, um den Überblick zu bewahren. Lohmer nennt sie das "Auge des Orkans", also eine weitgehend windfreie Schaltstelle, die sich den Turbulenzen der unmittelbaren Umgebung entzieht. Ein Blick von außen. Der Arbeitsmarkt sei in Bewegung, Führung ist gefordert. Fusionen stehen auf der einen Seite, fragile Beschäftigungsverhältnisse auf der anderen. Und in der Mitte? Beschäftigte, die verunsichert sind.

Lohmers Ansatz ist das psychodynamische Konzept des "Containments", es fußt auf Überlegungen der Psychoanalyse der 1960er-Jahre. Bei "Leadership Revisited", einer Veranstaltungsreihe von Heitger Consulting und der Vienna Consulting Group in Kooperation mit dem Standard, stellte er es Anfang November in Wien vor. Im Zentrum des vom britischen Psychoanalytiker Wilfred Bion verwendeten Begriffs "Containing" steht die Frage, wie unerträgliche Inhalte in erträgliche transformiert werden können. Als Drehscheibe fungieren Führungskräfte, sie sollten sich außerhalb des Systems bewegen, sagt Lohmer, um den Blick auf das Ganze nicht zu verlieren. Ein innerer Abstand führe zu einer besseren Wahrnehmung.

Emotionalen Aufruhr kanalisieren

Richtige Entscheidungen könnten leichter im "Auge des Orkans" getroffen werden. Führungskräfte müssten den emotionalen Aufruhr, der innerhalb der Belegschaft herrsche, so gut wie möglich kanalisieren. Die Emotionen aufnehmen, halten und verstehen. Und schließlich müssten sie diese zu einem geeigneten Zeitpunkt als Mitteilungen oder Anweisungen an die Mitarbeiter zurückgeben. Mit dem Ziel, Spannungen und Konflikte zu lösen. Führungskräfte übernehmen stellvertretend für ihre Mitarbeiter die Rolle des emotionalen Erlebens.

Der Prozess des Containments folgt einer gewissen Struktur, sie besteht aus zwei Komponenten: einer persönlichen, direkten und einer strukturellen, indirekten. Erstere sei dazu da, den Spannungszustand der Mitarbeiter wahrzunehmen, Abstand zu gewinnen und dann aus der "Helikopterperspektive" zu analysieren. Hypothesen zu bilden und den anderen zu helfen, in die Überblickszone zu kommen, sind weitere Punkte.

Rahmen für Fusion schaffen

Parallel dazu läuft die strukturelle Ebene. Sie dient Führungskräften, um für Orientierung zu sorgen und Klarheit in die Abläufe zu bringen. Ein wichtiger Faktor, ohne den es nicht funktioniere: Raum für Reflexionen schaffen - etwa mithilfe regelmäßiger Besprechungen. Wie das Containment im beruflichen Alltag angewendet werden kann, skizzierte Lohmer anhand von Fusionsplänen zweier in Konkurrenz befindlicher Kliniken in Deutschland - und der damit verbundenen Befürchtungen, die im Spiel waren; sowohl auf der Seite der Leitungsebene als auch innerhalb der Belegschaft. Führungskräfte seien die "Angstträger im System", sie werden am schnellsten infiziert, sagt er. Fusionieren könne schmerzhaft sein, es solle nicht überfallsartig, sondern Schritt für Schritt erfolgen.

 Um zuerst die Führungskräfte ins Boot zu holen, brauche es vor allem eines: Informations- und Überzeugungsarbeit. Aufgabe der Manager sei es dann, ihre Filterfunktion aktiv und bewusst auszuüben. Ängste zu identifizieren, lösungsorientiert zu arbeiten. Innerhalb eines strukturellen Rahmens und mit viel Reflexion, so Lohmer. (Oliver Mark, DER STANDARD, 23.11.2013)