Wegen einer Stauballergie musste der 1964 in Erlangen geborene Jürgen Teller seine Lehre abbrechen. Stattdessen wurde er Fotograf. Kate Moss drapierte er in einer Schubkarre, Vivienne Westwood dagegen auf dem Sofa.

Foto: Galerie Tarasieve

Josef Hoflehner, "Jet Airliner #61, St. Martin" (2010). Nikolaus Ruzicska verkaufte bei der "Paris Photo" nicht weniger als 23 Arbeiten Hoflehners (3.500 bis 7.000 Euro).

Foto: Galerie Nikolaus Ruzicska

Der Umzug der Paris Photo vom wortwörtlich erdrückenden Carrousel du Louvre in das lichtdurchflutete Grand Palais vor zwei Jahren diente als Basis für kleinere und größere Veränderungen, die auch vor einem neuen Selbstverständnis der Messe selbst nicht haltmachten: Unter der Leitung Julien Frydmans entwickelte sich die Paris Photo zur wichtigsten Plattform für künstlerische Fotografie überhaupt und fand auch der wachsende Stellenwert des Mediums Fotobuch Anerkennung und Förderung. 28 Fotobuchhändler und -verleger säumten heuer den Pfad Richtung VIP-Lounge und Ausstellungen.

Damit ging aktuell das Angebot von mehr als 200 Signierstunden teils berühmter Fotografen wie Martin Parr, Mitch Epstein oder Sebastião Salgado einher. Auf klassischen Kunstmessen wäre derlei undenkbar, in Paris aber lockt es ein begeistertes Publikum, das sich vielleicht nicht immer die Kunst für die Wand, sehr wohl aber jene fürs Bücherregal leisten kann und will. Es zeigt außerdem, dass für Fotografen selbst das Buch als adäquates Medium an Bedeutung gewinnt - und eben nicht per se der einzelne Abzug.

Etablierte Stimmungsmacher

Im Mittelpunkt der 17. Auflage (14.-17. 11.) stand das Angebot der 136 Galerien, wobei das Spektrum auch hier erweitert wurde: Frydman holte mit Larry Gagosian und David Zwirner die beiden großen amerikanischen Galeristen für Zeitgenössisches nach Paris. Zwar boten sie nur Etabliertes, trugen jedoch zur guten Stimmung und Ausstrahlungskraft der Messe bei, zu der die spezialisierten Sammler, Kuratoren und Verleger aus der ganzen Welt pilgerten. Die preisliche Spannweite der gezeigten Arbeiten reichte dabei von 49 Euro für einen Rudolf-Bonvie-Abzug in 1000er-Auflage (Priska Pasquer, Köln) und ging bis zu einer Million für den perfekt erhaltenen Vintageabzug des legendären Konditormeisters von August Sander (Galerie Feroz, Bonn).

Auf Klassiker der Schwarz-Weiß-Fotografie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - von Otto Steinert über André Kertész, Edward Weston und Walker Evans bis Rudolf Koppitz - traf man in den Kojen überhaupt häufig - ganz im Gegensatz zu Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert, bei denen sich das Angebot stark reduzierte: Vor zehn Jahren waren es noch rund zehn Händler, die auf dieses Segment spezialisiert waren, nun reduzierte sich deren Anzahl auf zwei. Einer davon ist Hans P. Kraus (New York), der unter anderem die fotogene Zeichnung eines Frauenhaarfarns aus dem Jahr 1839 von William Henry Fox Talbot (450.000 Dollar) anbot. "Das Publikum hat sich stark gewandelt", erklärt seine Mitarbeiterin Chantal Paule. Das Grand Palais ziehe zwar die Massen an, Fotografie des 19. Jahrhunderts verstünden jedoch immer weniger Besucher.

Gleichzeitig öffnet sich die Messe aber auch für neue Aspekte. Susanne Zander war es zuvor nie in den Sinn gekommen, sich mit ihrer auf Art brut spezialisierten Galerie hier zu beteiligten. Von Frydman umworben, durchforstete die Kölnerin ihr Portfolio und fand Passendes: Nun präsentierte sie eine Soloshow mit vollgeschriebenen Polaroids von Horst Ademeit, der das Medium zur Dokumentation seines von Wahnvorstellungen geprägten Alltags nutzte (800 bis 19.000 Euro).

Insgesamt überwog dennoch die klassisch-künstlerische Fotografie der Gegenwart. Jürgen Tellers großformatige Abzüge der nackten Vivienne Westwood (35.000 Pfund) nahmen die gesamte Koje von Suzanne Tarasieve (Paris) sowie noch mehr Aufmerksamkeit der Besucher ein. Neben den Wienern Miryam Charim (u. a. Valie Export, Lisl Ponger), Westlicht (u. a. Diane Arbus, Trude Fleischmann) und Johannes Faber (u. a. Rudolf Koppitz, Dennis Hopper) gastierte heuer auch Nikolaus Ruzicska (Salzburg) im Grand Palais. Er stellte Arbeiten von Josef Hoflehner in den Mittelpunkt seiner Präsentation, etwa die Jet Airliner-Serie, für die er Menschen am Strand unter Flugzeugen im Landeanflug fotografierte (3500 bis 7000 Euro).

Die Galerie M+B (Los Angeles) zeigte hingegen Abzüge aus Mike Brodies fulminanter Serie A Period of Juvenile Prosperity (5500 bis 10.000 Dollar). Der gelernte Mechaniker ist eine Art fotografierender Jack Kerouac und dokumentierte mit einer Polaroidkamera das Leben seiner Weggefährten, mit denen er illegal auf Güterzügen quer durch die USA reiste. Das zugehörige Buch nahm jetzt auch am First Photobook Award der Messe teil. Daran war erkennbar, dass sich die Kraft einer Fotoserie manchmal eben doch zwischen zwei Buchdeckeln bessern entfalten kann als an der Wand. (Damian Zimmermann, Album, DER STANDARD, 23.11.2013)