Wenn Robin Hood auf Antiimperialismus trifft, dann kommt die Blekingegade-Gruppe heraus: In den 1970er- und 1980er-Jahren unterstützten dänische Linksaktivisten Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. Das wäre an sich nichts Verwerfliches, hätte diese Gruppe nicht Banken, Postämter, Geldtransporter und Waffendepots ausgeraubt, um unter anderem der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) Millionenbeträge zuzuschießen. 1989 flog die Blekingegade-Gruppe eher zufällig auf, es folgte ein aufsehenerregender Prozess, der nicht nur mit langen Haftstrafen endete, sondern auch die dänischen Behörden in einem schlechten Licht erscheinen ließ. Nun, mehr als 20 Jahre später, beschäftigen mögliche Ermittlungspannen immer noch die dänische Politik. Und die Täter, die wollen von Reue nichts wissen. Stattdessen verweisen sie auf den Irakkrieg 2003.

Dritter November 1988, fünf Männer flüchten mit rund 14 Millionen Kronen (entspricht heute knapp 1,9 Millionen Euro) von einem Postamt in Kopenhagen. Es ist die bis dato größte Beute in einem Raubüberfall in Dänemark. Bei ihrer Flucht schießen die Täter auf einen Streifenwagen, sie treffen einen 22-jährigen Beamten, der kurze Zeit später im Krankenhaus stirbt.

Heutiger Eingang zum Postamt in Kopenhagen, das im November 1988 überfallen wurde. (Foto: Rebecka Söderberg)

Sechs Monate später nimmt die Polizei in Kopenhagen vier Männer und eine Frau fest. Die linken Aktivisten gelten als Hauptverdächtige im Postamt-Raub, allerdings können die Ermittler trotz Wohnungsdurchsuchungen und zahlreicher Verhöre keine belastenden Beweise finden. Ein Rätsel geben identische Schlüssel auf, die drei Festgenommene bei sich tragen. Erfolglos werden diese an tausenden Kopenhagener Wohnungstüren getestet.

Im Mai 1989 lichtet sich schließlich der Nebel für die dänische Polizei. Sie wird zu einem Autounfall gerufen, der schwer verletzte Lenker entpuppt sich als weiterer Verdächtiger im Fall des Postamt-Überfalls. Auch er trägt die Schlüssel bei sich, zudem eine Telefonrechnung, ausgestellt auf eine Wohnung in einer unscheinbaren Kopenhagener Straße: Blekingegade 2. Dort findet die Polizei Panzerabwehrraketen, Sprengstoff, Handgranaten, Masken, falsche Bärte, Polizeiuniformen, gefälschte Dokumente, Notizen zum Postamt-Überfall und anderen illegalen Aktivitäten. Dänemark steht am Anfang seines größten Kriminalfalls, der am Ende auch zu einem Politikum werden sollte. Und die Medien verleihen der Bande den etwas einfallslosen Namen "Blekingegade-Gruppe".

Im ersten Stock der Blekingegade 2 fand die Polizei vor 14 Jahren eine Tür, die zu gewissen Schlüsseln passte. (Foto: Rebecka Söderberg)

Die Entdeckung der Blekingegade-Wohnung führt zu weiteren Verhaftungen und einem Mammut-Prozess, der von September 1990 bis Mai 1991 dauern sollte. Den Angeklagten werden dabei nicht nur der Postamt-Raub, sondern auch Überfälle in den 1970er- und vor allem 1980er-Jahren zur Last gelegt, in denen weitere Millionen und diverse Waffen erbeutet wurden. Letztere findet man in besagter Wohnung, vom Geld hingegen fehlt allerdings jede Spur. Im Laufe des Prozesses stellt sich heraus, dass die Blekingegade-Gruppe im Sinne ihrer linksgerichteten Ideologie und explizit im Sinne der "Schmarotzerstaatentheorie" gehandelt hat. Und das Geld einfach an Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt spendete. Nutznießer dieser Finanzspritzen waren neben besagter PFLP auch die Volksfront zur Befreiung Omans (PFLO), der Afrikanische Nationalkongress in Südafrika (ANC) oder die Afrikanische Nationalunion von Simbabwe (ZANU). Dabei wusste lediglich die palästinensische PFLP vom illegalen Ursprung der Gelder.

Der "Schmarotzerstaatentheorie" zufolge ist die dänische Arbeiterklasse durch den Kapitalismus korrumpiert worden, sie vom Sozialismus zu überzeugen, hätte kaum Chancen auf Erfolg. Um eine Revolution in der westlichen Welt zu erreichen, müssten unterdrückte Völker und Nationen im Kampf gegen den Kapitalismus unterstützt werden. Kurzfristiges Ziel dieser Theorie war es also, den Ländern der Dritten Welt ökonomische und politische Selbstbestimmung zu ermöglichen. Langfristig sollten dadurch die Profite der westlichen Welt schrumpfen und so der Widerspruch zwischen Kapitalisten und Arbeitern wieder deutlicher zu Tage treten. Erst dann sei eine Revolution auch im Westen möglich.

Niels Jorgensen (links) und Torkil Lauesen, Teil der Blekingegade-Gruppe, gemeinsam mit Lauesens Ehefrau Lisa 1982 in einem Pariser Café. (Foto: privat)

Entstanden ist die "Schmarotzerstaatentheorie" im Kommunistischen Arbeitskreis (KAK), der Anfang der 1960er-Jahre von ehemaligen Mitgliedern der Dänischen Kommunistischen Partei (DKP) gegründet wurde. Nach anfangs legalen Unterstützungen diverser Bewegungen in der Dritten Welt - beispielsweise durch eine Spendensammlung für ein Sanatorium für Leprakranke in Nordvietnam - entschied man sich für die illegale Beschaffung von großen Geldsummen. Das war einfach effizienter, so das simple und klare Argument.

Ende der 1970er-Jahre spaltete sich der KAK nach Meinungsverschiedenheiten auf, die Manifest - Kommunistische Arbeitsgruppe (M-KA) setzte nun die Raubzüge fort. Die M-KA bestand aus nie mehr als 15 Mitgliedern, angesichts ihrer illegalen Aktivitäten war ein großes Maß an Vertrauen und Diskretion angesagt. Nicht einmal die engsten Verwandten wussten etwas davon. Die Überraschung bei den Festnahmen war dementsprechend groß.

Der Prozess gegen die Blekingegade-Gruppe geriet zu einer Blamage für die Behörden. Sechs Personen wurden zahlreicher Verbrechen angeklagt, allerdings sprach sie die Jury in fast allen Punkten frei, auch weil sich Polizei und Staatsanwaltschaft einige Pannen leisteten. Die Terrorismus-Anklage wurde noch vor Prozessbeginn fallen gelassen, da die damaligen dänischen Gesetze nur Angriffe gegen den Staat als terroristischen Akt definierten. Freisprüche gab es zudem im Mordfall des dänischen Polizisten, da weder der konkrete Täter noch eine kollektive Tötungsabsicht bewiesen werden konnte. Letztendlich wurden vier Blekingegade-Mitglieder des Postamt-Überfalls für schuldig gesprochen und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Der verurteilte Jan Weimann 1994 im dänischen Staatsgefängnis Vridsloselille. (Foto: privat)

Für weiteres Aufsehen sorgte die Tatsache, dass der dänische Geheimdienst PET Mitglieder der Blekingegade-Gruppe fast zwei Jahrzehnte lang regelmäßig beschattet hatte. Einige Informationen wurden an die Kopenhagener Kriminalpolizei weitergeleitet, denen man aber nicht nachging. Andere Hinweise wurden vom PET zurückgehalten, da er mehr an den internationalen Kontakten als an den kriminellen Tätigkeiten der Gruppe interessiert war. Seit dem Ende des Prozesses hat die Regierung mehrere Untersuchungskommissionen eingerichtet, um die Rolle des PET im Fall der Blekingegade-Gruppe zu untersuchen und Verantwortlichkeiten herauszuarbeiten. Da die Ergebnisse bislang höchst unzufriedenstellend ausfielen, arbeitet derzeit eine weitere, 2010 eingesetzte Kommission an diesem Fall. Im nächsten Jahr soll der Untersuchungsbericht präsentiert werden.

Auf Seiten der Blekingegade-Gruppe kamen die letzten Verurteilten 1995 wieder auf freien Fuß. Und so wie sie es während des Prozesses verstanden haben zu schweigen - um sich nicht gegenseitig zu belasten - so mieden sie auch später die Öffentlichkeit. Erst ab 2007 geriet der Fall wieder ins öffentliche Rampenlicht, als der dänische Journalist Peter Ovig Knudsen das 800 Seiten lange Buch "Blekingegadebanden" veröffentlichte. Zwei Jahre später wurde ein Dokumentarfilm mit dem gleichen Titel ausgestrahlt. Es sollten noch weitere Bücher und ein Theatertück folgen.

Trailer des Dokumentarfilms "Blekingegadebanden":

Höchst unzufrieden mit der Darstellung der Blekingegade-Gruppe, die ihrer Meinung nach zahlreiche falsche Behauptungen beinhaltete, beschlossen die drei ehemaligen Mitglieder Niels Jorgensen, Torkil Lauesen und Jan Weimann, eine Antwort auf die Bücher zu verfassen, die im März 2009 in der dänischen Zeitschrift "Social Kritik" veröffentlicht wurde. Darin rechtfertigen sie ihre Taten damit, dass sie einen Beitrag zur Unterminierung des Imperialismus leisteten. Darauf folgende Interview-Anfragen haben sie zumeist abgelehnt.

Für sein im Oktober erschienenes Buch "Bankraub für Befreiungsbewegungen" konnte Gabriel Kuhn aber mit Torkil Lauesen und Jan Weimann sprechen. Der österreichische Schriftsteller will den Fall der Blekingegade-Gruppe über Dänemark und über das engere linke Milieu hinaus bekannt machen. Im Interview reden Lauesen und Weimann vor allem über ideologische Feinheiten, aber auch über das Leben als KAK-Mitglied: "Wir fühlten uns der Organisation sehr verpflichtet. Man stand rund um die Uhr zur Verfügung. Wenn du gebraucht wurdest, tatest du ohne zu zögern das, was zu tun war."

Disziplinierte Bankräuber

Die Frage, ob man die verschiedenen Organisationen nicht auch legal hätte unterstützen können, beantwortet Weimann folgendermaßen: "Die Fakten sprechen hier eine sehr deutliche Sprache. (...) Ich kann wirklich nicht sehen, wie wir die Beträge, die wir an Befreiungsbewegungen weiterleiten konnten, legal hätten beschaffen können." Außerdem verweist Weimann darauf, dass die Raubzüge ohne Disziplin nicht möglich gewesen wären: "Disziplin ist wichtig, um eine starke Organisation aufzubauen, und sie ist wichtig, um effektive illegale Arbeit zu machen. Wir lernten früh aus eigener Erfahrung, dass ein Mangel an Disziplin weniger Geld bedeuten kann."

In diesem Zusammenhang eine kleine Anekdote aus einem vom PET abgehörten Telefonat, wenige Wochen nach dem Überfall auf das Kopenhagener Postamt: Torkil Lauesen spricht mit seiner Frau Lisa, er meint, er müsse mal wieder zum Zahnarzt. Allerdings könne er sich das im Moment nicht leisten. Privates und erbeutetes Geld und Geld wurden also strikt getrennt.

Plakat des vom KAK gegründeten Kommunistischen Jugendverbandes (KUF) aus dem Jahr 1969: "Ohne Sieg in der Dritten Welt kein Sozialismus hier!" (Foto: privat)

Auch über ihre Festnahme reden Lauesen und Weimann, und verweisen dabei auf eigene Versäumnisse: "Wir hatten keine Spuren hinterlassen und fühlten uns sicher - vielleicht etwas zu sicher. (...) Unser größter Fehler war zweifelsohne, dass wir uns nicht mehr an unsere eigenen Sicherheitsstandards hielten." Von Reue sprechen sie im Interview nicht. Doch zumindest im Antwortschreiben von 2009 gehen sie auf Fragen persönlicher Moral ein. Auf die Frage, weshalb man kriminell wurde, um terroristische Gruppierungen zu unterstützen.

Die Blekingegade-Mitglieder verweisen auf den Irak-Krieg 2003 und zitieren einige Spitzenpolitiker, denen zufolge das Ziel des Miltäreinsatzes - dem Land Demokratie zu bringen - die zahlreichen Todesopfer rechtfertige. In der Folge definieren sie auch ihre Position: "Nicht alle Zwecke heiligen alle Mittel, aber unter bestimmten Umständen heiligen manche Zwecke manche Mittel." 

Das Schreiben endet schließlich mit folgendem Absatz: "Die globale Ausbeutung und Ungleichheit waren die Hauptmotivationen für unsere politische Tätigkeit. Wir alle wissen, dass Ausbeutung und Ungleichheit nach wie vor existieren. Doch die Bewegungen, die versuchen, die Unterdrückung und das Leiden zu beenden, tun das ebenso. Der Kampf geht weiter." (Kim Son Hoang, derStandard.at, 26.11.2013)