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Kein Rettungsschirm für LGBT-Rechte: Die geplante Zollunion Armeniens mit Russland.

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So sah das D.I.Y. in der armenischen Hauptstadt vor dem Brand aus.

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Die Fassade des ehemaligen Cafés ist heute mit Hakenkreuzen und homophoben Sprüchen beschmiert.

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"Der Club brennt, komm schnell!". Am 8. Mai 2012 um 5 Uhr Früh wird die Künstlerin und Barbesitzerin Tsomak Oganezova aus dem Schlaf gerissen, ein Freund schreit aufgeregt ins Telefon. Als Tsomak in der Perpetsi Straße im Zentrum von Yerevan aus dem Taxi springt, hat die Feuerwehr die Flammen bereits gebändigt. Doch der kleine Künstlerclub D.I.Y.- "Do it yourself"- hat das Inferno nicht überlebt. Eine brennende Zigarette könnte es gewesen sein oder ein Kurzschluss. Aber die Überwachungskameras des kleinen Geschäfts gegenüber zeigen etwas anderes: die Molotowcocktails, die das Lokal in Flammen aufgehen lassen und die zwei Männer, die die Brandsätze von der Straße aus auf die Bar werfen. Sie sind Anhänger einer nationalistischen Gruppierung, wie sich später herausstellen wird. Die Bar ist ihnen ein Dorn im Auge, weil sie "liberal" ist  und die Besitzerin lesbisch. Tsomak Oganezova kennt die Täter:

"In der Nähe des D.I.Y. gab es eine Bar, die bei Anhängern konservativer Gruppen besonders beliebt war. Sie hassten es, mich als Nachbarin zu haben. Nicht nur, weil ich lesbisch bin, sondern weil ich in der Lesben-,Schwule-,BI- und Transgender-Bewegung (LGBT) aktiv bin. Als ich als Armenierin an einer Gay Pride-Veranstaltung in der Türkei teilnahm, erklärten sie mich endgültig zur Feindin."

Zum Medienereignis geworden

War der Alltag in Yerevan als geoutete Lesbe vor dem Attentat schwierig, so wurde er nach dem 8. Mai für Tsomak unerträglich. In der Öffentlichkeit zeigte man mit dem Finger auf sie, die Überreste der Bar wurden mit Hakenkreuzen und sexistischen Sprüchen beschmiert, ihre Schwester verlor den Job. Von einem Tag auf den anderen waren sie, ihre Bar und vor allem ihre Homosexualität das Hauptgesprächsthema in den armenischen Medien.

Zwei Tage vor dem Attentat waren in dem ex-sowjetischen Land Parlamentswahlen abgehalten worden. Unter der Bevölkerung regte sich Unmut, NGOs warfen der regierenden Republikanischen Partei von Präsident Serzh Sargsyan Stimmenkauf vor. Nach dem Anschlag auf D.I.Y. redete davon plötzlich niemand mehr.

Und genau damit sei der Plan der Politik aufgegangen, vermutet Artur Sakunts, Direktor der Organisation Helsinki Citizen Assembly mit Sitz in Vanadzor im Norden des Landes. "Die Regierung schürt den Hass unter der Bevölkerung gegen Homosexuelle, um von den eigentlichen Problemen abzulenken. Alle schauen gebannt auf die LGBT-Bewegung und vergessen dabei die Wahlmanipulation, die Korruption und die Abhängigkeit von Russland." Laut Mamikon Hovsepian von PINK Armenia stehen die Gruppen, die für Attacken auf LGBT-AktivistInnen verantwortlich sind, oft in direkter Verbindung mit der Regierungspartei und werden von ihr unterstützt.

Europa will den Osten "schwul" und "pädophil" machen

Der Grundkonflikt speist sich daraus, dass für große Teile der armenischen Gesellschaft die LGBT-Bewegung europäische und damit liberale Werte verkörpert. Oft sind damit Ängste vor dem Verlust von Traditionen, der Unabhängigkeit der Frau und der Auflösung der Kernfamilie verbunden. Europa wolle den Osten schwul und pädophil machen, lautet ein immer wiederkehrender Vorwurf in nationalistischen und konservativen Internetforen.

Abkehr von der EU

Diese Ängste kommen den Plänen der Regierung gelegen: im September dieses Jahres kündigte Präsident Sargsyan einen Kurswechsel an - man wolle sich von Europa wegbewegen und strebe nun eine Zollunion mit Russland an. Armenien galt als aussichtsreicher Kandidat für ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Mit dem möglichen Beitritt zur eurasischen Zollunion der Ex-Sowjetstaaten sind die Verhandlungen mit der EU nun Geschichte: denn die Zollunion versteht sich als klares Gegenmodell zur EU.

Aus Sicht der Menschenrechtsorganisationen ein folgenschwerer Schritt: "Die Armenier haben rein gar nichts von einer Union mit Russland. Die Politiker profitieren davon, die Menschenrechte leiden darunter. Russland erfindet jeden Monat  ein neues Gesetz, um Homosexuelle zu diskriminieren. Der Beitritt zur Zollunion würde unsere Arbeit um 20 Jahre zurück werfen", so Sakunts.

Streit um "Gender" in Gesetz

Mit dieser Sorge steht Artur Sakunts nicht allein da. Die Organisationen "Women's Resource Center" (WRCA) und PINK Armenia in Yerevan beobachten einen gesellschaftlichen Trend in Richtung Nationalismus und Traditionalismus – der auf Kosten der Rechte von Frauen und LGBT-Personen geht. Im August dieses Jahres wurde eine Erweiterung des Paragraphen 57, des sogenannten "Law on Gender Equality", diskutiert. Der Gesetzestext des Artikels 3 beinhaltete auch im Armenischen das englische Wort "Gender" und definierte es als "erlerntes, sozial festgeschriebenes Verhalten von Personen unterschiedlichen biologischen Geschlechts". Von konservativen Gruppen, allen voran dem pro-russischen "Pan-Armenian Parental Committee", kam ein empörter Aufschrei: die Definition stelle die traditionellen Rollen von Mann und Frau in Frage und gefährde die Werte der Gesellschaft. Es entflammte ein emotionaler Streit: religiöse Gruppen wie zivilgesellschaftliche Bewegungen, BloggerInnen wie Popstars und vor allem die Massenmedien nahmen an dieser Diskussion mit Leidenschaft teil.

Aber bei den Diskussionen blieb es nicht: MitarbeiterInnen des WRCA, die an der Debatte beteiligt waren und sich für die Beibehaltung der Bezeichnung einsetzten, bekamen Drohungen. Im Internet wurden falsche und hetzerische Berichte verbreitet, vorgebliche JournalistInnen versuchten, an Informationen über die Arbeit des WRCA zu gelangen. Der Regierung wurde das Thema schließlich zu heiß: sie ersetzte den Begriff "Gender" mit "men and women".

Nach dem Anschlag auf den D.I.Y. –Club vor über einem Jahr gingen ähnliche Botschaften von der Regierung an die Bevölkerung. Die beiden Attentäter wurden zwar ausgeforscht und kamen ins Gefängnis. Zwei Parlamentsabgeordnete der nationalistischen Partei kauften sie aber gegen eine Kaution wieder frei. Selbst der Sprecher der regierenden Republikanischen Partei verurteilte in Fernsehauftritten den Anschlag nicht – der Anschlag sei Ausdruck der sozialen und nationalen Ideologie.

Flucht nach Schweden

Tsomak Oga konnte mit der Billigung der Attacke von Politik und Gesellschaft nicht leben. Als die Situation in Armenien für sie untragbar wurde, packte sie ihre Sachen und flüchtete mit ihrer Freundin und ihrer Schwester nach Europa. Inzwischen lebt sie in Schweden, ist mit der armenischen LGBT-Bewegung aber nach wie vor verbunden. "In Armenien habe ich alles verloren. Der Neuanfang in Schweden war eine Katastrophe, aber jetzt bin ich frei- von hier aus kann ich die Bewegung in meinem Land besser unterstützen".

In der Parpetsi Straße in Yerevan hat neben dem ausgebrannten D.I.Y.-Club eine neue Bar aufgemacht. Sie trägt den bezeichnenden Namen "Patriot". (Caroline Haidacher, dieStandard.at, 24.11.2013)