Wien - Auf der Bühne der Wiener Kammerspiele steht eine beeindruckende Ledercouch. Sie dominiert die Landschaft wie das Wrack eines Panzerkreuzers die hohe See (Ausstattung: Armella Müller von Blon). Ein Saxofon bläst milde, Marianne Faithful erhebt ihre zertrümmerte Stimme. Eine schöne, schlanke Frau in mittleren Jahren (Leslie Malton) findet nur schmeichelnde Worte für den bebrillten Mann vor ihr.
Mehr als um die verführerische Dame bemüht sich Richard (Peter Kremer) leider um die Zubereitung seines Drinks. Der Drink ist der stille Gesellschafter des Paares. Wegen seiner Trunksucht will mit Richard, dem gestandenen Schauspieler, niemand mehr arbeiten.
Aus alter Anhänglichkeit an ihn atmet Lies (Malton) nach zehnjähriger Unterbrechung wieder Bühnenluft. Der letzte Vorhang ist ein Stück im Stück. Geschrieben hat es die Niederländerin Maria Goos. Es ist eine bezaubernde Reminiszenz an eine halb gute, halb schlechte Zeit. Erinnern soll es an das Schauspielerehepaar Elizabeth Taylor und Richard Burton. Das einzige Haushaltsgerät für die beiden von Wert war der Shaker. Die jüngst erschienenen Tagebücher des Walisers mit den strahlend blauen Augen belegen es eindrucksvoll. Andere Paare werden vom Priester getraut. Die Ehe Taylor/Burton schloss niemand Geringerer als Johnny Walker (Wodka und Sambuca nicht zu vergessen). Dafür heirateten sie auch gleich zweimal.
Während andere Paare sich über das Gedeihen ihrer Kinder austauschen, sprechen Richard und Lies über die Eiswürfel in ihren Gläsern. Sie spielen einander etwas vor, meinen es aber zugleich auch bitterernst. Das Stück im Stück wird äußerst wirkungsvoll durch die Edward-Albee-Mangel gedreht (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?). Der echte Richard fischt während der Spielunterbrechungen das Fläschchen aus der Brusttasche seines Staubmantels. Im Grunde möchte er Lies, die ihr Herz an einen kunstsinnigen Gynäkologen verloren und sich nach Frankreich verheiratet hat, wieder zurückhaben. Was er aber schon hat (den Alkohol), das will er auch behalten. Aus dieser Zwickmühle gibt es leider kein Entrinnen.
Der gebremste Dampf
Nicht entronnen, sondern ausgeronnen ist die Inszenierung von André Pohl (im Hauptberuf Mime). Goos' Stück schreit nach der großen Geste, nach haltloser Übertreibung. Rund um die Sätze und Repliken glaubt man, Dampfwolken aufsteigen zu sehen. Wirklich große Trinker sind immer auch Wahrsprecher, Anwälte ihrer selbst, enthemmte Wortführer der Anarchie. Kremer, den man in der Serie Siska kennen und schätzen gelernt hat, ist einfach viel zu maß- und taktvoll, zu anständig, zu bescheiden und nett.
So kommt es auch, dass die Bühnenschauspielerin Malton gar keine Überredungskünste gebrauchen muss, um ihren alten Liebhaber in die Schranken zu weisen. Die handelnden Personen hätten das Zeug dazu, ordentlich Krawall zu schlagen. Im Falle der österreichischen Erstaufführung von Der letzte Vorhang bildet die Bühne der renovierten Wiener Kammerspiele bloß eine Flüsterkneipe.
Fast scheint es so, als hätte unsere Gesellschaft vergessen, wie das früher war. Als alle nach Herzenslust soffen, die Partner wechselten und zwei Zigarettensorten besonders mochten: die davor und die noch berühmtere danach. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 23.11.2013)