In keinem Land der Welt unterliegt man so lückenloser Beobachtung durch Überwachungskameras wie in Großbritannien. Jeder Besucher der Innenstädte wird dutzendfach registriert. Datenschutz spielt keine prominente Rolle. In der Londoner Innenstadt wird jeder Passant im Durchschnitt 300 Mal pro Tag gefilmt; die Kameras gehören 30 unterschiedlichen Betreibern, darunter Polizei und Verkehrsbehörde, aber auch Händler und Banken. Freudig benützen Millionen Briten die Rabattkarten großer Einzelhandelsketten und liefern ein genaues Profil ihres Konsumverhaltens – was wiederum gezielte Produktwerbung zur Folge hat.

Einzelhandels-Marktführer Tes­co will den Zwischenraum zwischen Datenerhebung und Werbung dramatisch verkürzen: In den landesweit 450 Tankstellen sollen Spezialkameras die Gesichter der Kunden scannen. Auf den Fernsehschirmen der Filialen werden dann maßgeschneiderte Anzeigen auftauchen, je nachdem, ob es sich um einen Vater mit kleinen Kindern oder eine sportliche junge Frau handelt.

Behörde verschlampt Daten

Dem Datenschutz-Beauftragten der Regierung, Christopher Graham, ist diese Ankündigung keine Erwähnung wert; ohnehin bleibt Grahams Behörde in der Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar. Gleichzeitig legen Regierung und Behörden einen laxen Umgang mit brisanten oder privaten Daten an den Tag. Beim bisher schlimmsten Fall steckte die für Kindergeld zuständige Behörde 2007 die Daten aller erfassten 7,25 Millionen Familien des Landes mit Kindern unter 16 Jahren in die Post – Namen, Geburtsdaten, Versicherungsnummern, Bankkonten von 25 Millionen Menschen. Die beiden Daten-CDs sind bis heute spurlos verschwunden.

Auch in der Affäre um die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden im "Guardian" kommen Datenschützer in der öffentlichen Debatte kaum zu Wort. Dass die Zeitung im Sommer von der Regierung zur Zerstörung von Computern gezwungen wurde, wurde achselzuckend zur Kenntnis genommen.

Das robuste Boulevardblatt "Daily Mail" bezeichnete den Konkurrenten als "Feind Großbritanniens", auch seriöse Zeitungen wie "Times" und "Telegraph" übernehmen erstaunlich kritiklos die Vorgaben der Geheimdienste. Damit scheinen sie die Stimmung in der Bevölkerung widerzuspiegeln.

So hat es der Geheimdienst-Kritiker Stephen Dorril beobachtet: Selbst junge Menschen hätten "absolut apathisch" auf die Snowden-Enthüllungen reagiert, berichtet der Journalismus-Dozent der Uni Huddersfield. Auch dass große Firmen wie Google und Apple Daten über ihre Konsumenten horten, werde "einfach so hingenommen". (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 23.11.2013)