Klangbogen
Der etwas plakativen Inszenierung von Regisseur G. H. Seebach steht eine musikalisch tadellose Umsetzung des stilistisch vielfältigen Werkes durch Dirigent Peter Keuschnig gegenüber. Wien - Die Musik ist toll im wahrsten Sinne des Wortes: schön, wild, kraftvoll, wüst, orgiastisch und expressiv. Nur selten - just bei den beiden Aktschlüssen, dem Gloria und dem Agnus Dei - findet ein doch allzu plakativer akustischer Crash der Zeiten und der Stile statt und schlittert das Klanggefährt denn auch in banale, kitschdramatische Gräben.

In den besten, dichtesten Momenten wähnt man sich allerdings auf einer kurvigen, tempo- und schreckensreichen Geisterbahnfahrt durch die mannigfaltigen Parks der abendländischen Musikgeschichte: Der österreichische Komponist Gerhard Schedl, der im Jahre 2000 im 44. Lebensjahr Selbstmord beging, setzte auf Stilzitate aus Klassik, Barock und Romantik, sie leuchten in dem ausdrucksintensiven, der klassischen Moderne verpflichteten Musiktext auf wie kurz angeblendete Fratzen.

Das Libretto ist leider schlecht: Vier Szenen von August Strindbergs Fräulein Julie bilden die Piloten der zwölfteiligen Textanlage - vier Szenen, die vom Autor Bernhard Glocksin in ein derart schlecht geschnittenes, muffiges, viertelseidenes Sprachkleid gesteckt wurden, dass sich die hundertfünfzehn Jahre alte Kreation Strindbergs dagegen ausnimmt wie eben frisch geschneidert.

Zu dem dialogischen Strindberg-Teil hat Glocksin noch vier dem monologisch Traumhaften verpflichtete Szenen beigemengt, die vielleicht szenisch Sinn machen, inhaltlich aber durchaus enttäuschen. Zu schlechter Letzt musste in das Texthaus auch noch eine dritte Ebene eingezogen werden, auf der sich reichlich gesellschaftsrepräsentierende Choristenschaft zu drängeln hat.

Der Kampf

Ist alles klar? Nicht ganz? Also, da heißt es: Julie & Jean, das Musiktheater von Schedl/ Glocksin, soll "keine Literaturoper" sein, sondern von August Strindbergs Fräulein Julie lediglich "das zentrale Moment des Geschlechterkampfs" übernehmen. Julie ist hier zwar noch "Contessa" und Jean ein "Lakai", der soziale Unterschied ist aber bestenfalls noch sexuelles Stimulans.

Das "Match" interessiert, der emotionale Infight, das "Ritual der Begierde": so weit, so richardburtonelizabethtaylorgut. Aber: Dieses im Zeisigmord gipfelnde Privatissimum der pervertierten Liebe muss nun aber unbedingt vor den gestrengen Augen der (römisch-katholischen) Gesellschaft geschehen, um von dieser dann so prompt wie happigst verurteilt werden zu können.

Das Ordinarium Missae als Gesetzbuch: Darf mal kurz gegähnt werden? Wie es der Theaterteufel will, sind die Chorszenen auch die schwächsten im mediokren inszenatorischen Wirken G. H. Seebachs. Da hat ihm Hartmut Schörghofer ein nettes XS-Amphitheaterchen ins Semper-Depot gebaut, und Seebach kommt nicht auf die Idee, den Chor qua (eh schon über den Köpfen des Publikums montierter) TV-Geräte zuspielen und dieses so flugs zu fiesen (Mit)tätern mutieren zu lassen.

Nein, die jungen Damen und Herren in Adiletten, Asi-Smoking und mit dem Gotteslob in der Hand (zu plakativ, viel zu plakativ) müssen partout im engen Bühnenrund herumstehen und sich die langen Pappnasen (ebenfalls!) anstoßen. Julie (Maria Husmann) und Jean (Wolfgang Koch) geben alles, und das ist nicht wenig: bravo für eine tadellose Leistung!

Härte und Strenge

Maria Husmann erinnert in ihrer Strenge und Härte ein wenig an Ingrid van Bergen, Wolfgang Koch ist die strizzihafte Verschlagenheit des jungen Lukas Resetarits eigen. Im Zusammenspiel mit dem Dirigenten Peter Keuschnig und dem Festivalorchester leisten beide Protagonisten Unerhörtes und machen die postume Uraufführung des Musikdramas von Gerhard Schedl, das hier als Koproduktion zwischen Salzburger Landestheater und Klangbogen-Festival entstand, in jedem Fall zum musikalischen Ereignis. (DER STANDARD; Printausgabe, 06.08.2003)