Die Polizei ermittel derzeit in der Nachbarschaft zu dem Fall.

Foto: LUKE MACGREGOR

Wie konnte die "Versklavung" dreier Frauen mitten in London dreißig Jahre lang unbeachtet bleiben? Auf diese Frage konzentrierten sich am Wochenende die öffentliche Debatte sowie die Ermittlungen der Sonderkommission. Während die Beamten die Nachbarn in dem Wohnblock befragten, wo Täter und Opfer zuletzt gelebt hatten, warb Innenministerin Theresa May um Zustimmung für ein Gesetz, das Menschenhandel und Zwangsarbeit unter härtere Strafe stellen soll. "Moderne Sklaverei gibt es an vielen Stellen um uns herum", sagte die konservative Politikerin und nannte als Beispiele Arbeiter in der Landwirtschaft, in Branchen wie Restaurants und Beauty-Salons sowie in der Prostitution.

Gefangene mit "unsichtbaren Handschellen"

Im Oktober hatte sich eine 57-jährige Irin bei der Hilfsorganisation Freedom (Freiheit) gemeldet und im Flüsterton als Gefangene mit "unsichtbaren Handschellen" zu erkennen gegeben, berichtete  Freedom-Gründerin Aneeta Prem. Eine Woche später verließen die Anruferin sowie eine 30-jährige Britin die Wohnung im Stadtteil Brixton im Süden Londons. Kurz darauf gelang mithilfe der Polizei einer 69-jährigen Malaysierin die Flucht. Am vergangenen Donnerstag kam es zur vorläufigen Festnahme der mutmaßlichen Täter. Das Paar, beide 67, stammt aus Indien und Tansania. In der Nacht zum Freitag wurden beide gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt.

In den 1970er-Jahren kam der Kontakt mit den späteren Opfern durch gemeinsame politische Arbeit, offenbar in einer linken Gruppierung, zustande. Der Mann und die drei erwachsenen Frauen hätten in einer Weise zusammengelebt, "die man am besten als Kollektiv beschreiben könnte", sagte Rodhouse. Wie sich die Gleichheit der WG-Genossen zu einem Verhältnis von Herr und Bediensteten wandelte, bleibt unklar. Rod­house spricht von einer "kultähnlichen" Atmosphäre. Nach den Angaben von Prem und der Polizei wurde das Trio geschlagen und zur Arbeit verpflichtet, nicht aber sexuell missbraucht. Offenbar handelt es sich bei der 30-jährigen Britin aber um die Tochter der Irin und des Haushaltsvorstands.

Schon länger im Visier

Im Nachhinein unbegreiflich wirkt, dass die junge Frau niemals eine öffentliche Schule besuchte. Das Schulamt schlug keinen Alarm. Laut der Zeitung "Observer" hatte das Sozialamt die "dysfunktionale Familie" seit langem im Visier. Auch habe eine der Frauen einen Ausbruchsversuch unternommen. Offenbar wollten die Angehörigen aber keine Aussagen gegen ihre Peiniger machen.

Ob der Fall zu einer Verurteilung führt, daran hegen Rechts­experten wie Caroline Haughey erhebliche Zweifel. Die Beraterin einer Fachgruppe im Unterhaus hält die einschlägigen Gesetze für "ungünstig formuliert", vor allem in Fällen von "psychologischer Sklaverei". Das Trio muss jetzt mühsam lernen, die "unsichtbaren Handschellen" abzustreifen. Freedom-Gründerin Prem hat den Frauen warme Pullover gekauft und sie mit einem anderen Mitbringsel entzückt, berichtete sie der Sunday Times. "Ich brachte ihnen Make-up. Sie waren absolut begeistert." (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 25.11.2013)