Wien - August Strindbergs Fräulein Julie ist eigentlich ein Spiel im Spiel: Zwei Menschen spielen darin Rollen, die ihnen niemals zugeschrieben wurden. Das titelgebende adelige Fräulein nähert sich ihrem Diener Jean so direkt und ranschmeißerisch, als wäre sie ein Mann - oder Teil des niederen Standes: "Das habe ich bisher nur bei Tieren und gefallenen Frauen erlebt", stößt Jean einmal aus.

Er wiederum, ihr Lakai, geriert sich wie ein weltgewandter Herr. Weil sie beide am Ende nicht aus ihren Zwängen heraus können und ihre kurze Leidenschaft - es ist ja am Ende doch ein Trauerspiel - böse endet, hat Regisseur René Medvesek sie für das Volkstheater in den Bezirken in eine biedermeierliche schwedische Landhausküche (Bühne: Attila Plangger) gesetzt wie zwei Tiere in den Käfig. Felicitas Madl schwankt als Julie zwischen Kind und aggressiv erotischem Vamp. In lichten Momenten wirkt diese Julie ehrlich und ganz pragmatisch. Im Laufe der endlosen Diskussion mit ihrem Liebhaber aber gerät ihr die Hysterie manchmal zur Karikatur.

Thomas Reisinger legt seinen Jean quasi antizyklisch an: Ist Julie selbstsicher, verrennt er sich verstockt in seinen Plänen. Liegt sie, ob faktisch oder im übertragenen Sinne, auf dem Boden, schwingt er sich aber sogleich zu ihrem Herren auf. Am Ende entpuppt er sich als verschlagener Schwätzer, als Wendehals, der mühelos mit seinen verschiedenen Rollen zu spielen weiß - während Julie sich dabei das Genick bricht. Kristin, die Köchin, souverän und ganz nüchtern gespielt von Jaschka Lämmert, räumt gegen Ende einmal die Flaschen des nächtlichen Gelages auf. Auch im übertragenen Sinne sorgt sie für Ordnung und erklärt, dass es eben zwischen "Leuten und Leuten" einen Unterschied gäbe. Regeln, denen man so wenig entkommt wie Julie ihrem Biedermeier-Gefängnis. (hein, DER STANDARD, 25.11.2013)