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Faszinierende Doppelgänger: Nicht immer ist die Plazenta unter eineiigen Zwillingen gerecht verteilt.

Foto: APA/Karl-Josef Hildenbrand

Nirgends gibt es mehr Zwillinge als in der Filmgeschichte: Von "Das doppelte Lottchen" oder Komödien mit den Olsen-Twins bis hin zu Auftritten im Horrorfilm "The Shining" oder der Hauptrolle in "Der Mann mit der eisernen Maske": Menschen, die sich zum Verwechseln ähnlich sehen, faszinieren.

Im echten Leben gibt es freilich weitaus weniger Zwillinge als in Hollywood: 2012 gab es  laut Statistik Austria 1.223 Zwillingsgeburten, 19 Drillingsgeburten und eine Vierlingsgeburt in Österreich. Obwohl es sich bei weniger als zwei Prozent der Gesamtgeburten um eine Mehrlingsgeburt handelt, gibt es heute mehr davon als noch vor 20 Jahren. Ein Grund dafür sind künstliche Befruchtungen, bei denen mitunter mehr als nur ein Embryo eingesetzt wird. Doch auch das steigende Schwangerschaftsalter von Frauen ist dafür verantwortlich.

"Man geht davon aus, dass mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit für das Heranreifen von zwei befruchtungsfähigen Eizellen steigt", erklärt  Philipp Klaritsch von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Graz und Experte für komplizierte Zwillingsschwangerschaften. Wenn also statt einer reifen Eizelle zwei vorhanden sind, können beide befruchtet werden – was zweieiige Zwillinge zur Folge hat.

"Es kann auch familiär eine höhere Neigung zu Zwillingsschwangerschaften geben", so Klaritsch, der auf seiner Abteilung ein Kompetenzzentrum für komplizierte Mehrlingsschwangerschaften leitet. Die Neigung wird auch durch die ethnische Herkunft bestimmt: So gibt es in Afrika häufiger, und in Asien seltener Zwillinge oder Drillinge.

Risiko Zwillingsschwangerschaft

In der Theorie mag es durchaus verlockend klingen: Eine Schwangerschaft ist mühsam – doch mit der Geburt von zwei Kindern ist der Kinderwunsch vieler Familien mit einem Schlag gedeckt. Die Realität sieht aber oft anders aus: Als Irene Rhomberg vergangenes Jahr von ihrem Arzt erfuhr, dass sie statt einem Kind zwei erwartete, war das erst einmal ein Schock für sie und ihren Mann: "Die erste Nacht sind wir größtenteils wachgelegen und haben überlegt, wie wir das angehen sollen." Besonders finanzielle Sorgen standen anfangs im Vordergrund: Das Paar hatte schon ein eineinhalbjähriges Mädchen – und mit dem Familienzuwachs musste ein neues Auto und ein größerer Kinderwagen her.

Dazu kamen Sorgen über die Gesundheit der Kinder. Jede Zwillingsschwangerschaft ist laut Klaritsch als Risikoschwangerschaft anzusehen: Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Fehlgeburten kommt, ist erhöht. Auch Frühgeburten sind weitaus häufiger – 60 Prozent aller Zwillinge, und sogar 90 Prozent aller Drillinge werden laut March of Dimes, einer amerikanischen Non-Profit Organisation, die sich für eine verbesserte Gesundheitssituation von Neugeborenen einsetzt, zu früh geboren: Während Einlingsschwangerschaften rund 40 Wochen dauern, liegt die Zahl bei Zwillingsschwangerschaften durchschnittlich bei 35, und bei Drillingsschwangerschaften bei 32 Wochen.

Feto-fetales Transfusionssyndrom

Auch das Risiko für Wachstumsprobleme ist bei Mehrlingsschwangerschaften höher. Dies ist vor allem bei sogenannten monochorialen Zwillingen, also jenen eineiigen Zwillingen, die sich einen Mutterkuchen teilen, der Fall. Aufgrund dieser gemeinsamen Plazenta – und der Blutgefäße, die die beiden Nabelschnüre direkt miteinander verbinden – besteht für sie das Risiko eines feto-fetalen Transfusionssyndroms, einer Blutdrucks- und Ernährungsstörung, weshalb bei diesen Zwillingen besonders häufige Kontrollen durchgeführt werden sollten.

Doch auch für die Mutter gibt es Risiken. Die Wahrscheinlichkeit, eine Präeklampsie – im Volksmund auch "Schwangerschaftsvergiftung" genannt – zu entwickeln, liegt bei Mehrlingsschwangerschaften laut Klaritsch höher, weshalb in der zweiten Schwangerschaftshälfte regelmäßig der Blutdruck gemessen werden sollte. Auch frühzeitige Wehen und eine Muttermundschwäche seien häufiger, was für die Mütter lange Krankenhausaufenthalte vor der Geburt bedeuten kann, um eine Frühgeburt zu verhindern. "Wirklich wirksame vorbeugende Maßnahmen, um bei Mehrlingsschwangerschaften Frühgeburten zu verhindern, hat man bisher nämlich noch nicht gefunden", so Klaritsch.

Natürliche Geburt oder Kaiserschnitt

Gezwungen zu sein, schon lange vor der Geburt im Krankenhaus zu liegen war auch eine der Sorgen von Irene Rhomberg. "Ich habe mir immer gedacht: Wenn das bei uns so ist weiß ich gar nicht wie ich das machen soll", erzählt sie, denn auch ihre kleine Tochter brauchte sie während der Schwangerschaft. Letztendlich waren die Sorgen unbegründet, und in der 38. Schwangerschaftswoche wurde die Geburt von Ida und Jakob eingeleitet, die auf natürlichem Weg zur Welt kamen.

Das kommt bei Zwillingsgeburten laut Klaritsch zunehmend seltener vor: "Viele Frauen und auch Ärzte sind der Meinung, dass eine Zwillingsschwangerschaft automatisch einen Kaiserschnitt erforderlich macht." Neuere Daten sprächen aber dafür, dass bei günstiger Kindeslage – also wenn sich das erste Kind in Schädellage befindet – ein vaginaler Entbindungsversuch sinnvoll sei, erklärt der Mediziner.

Gemeinsame Plazenta

Bei der Entwicklung von Zwillingen nach der Geburt muss man laut Klaritsch zwischen Zwillingen, die sich im Mutterleib den Mutterkuchen geteilt haben, und jenen, die eine eigene Plazenta hatten unterscheiden. Während sich letztere meist völlig normal entwickeln, gebe es bei monochorialen Zwillingen bei rund 15 Prozent Entwicklungsauffälligkeiten im Alter von zwei Jahren.

"Leichte Rückstände holen sie auf, schwere nicht", stellt Klaritsch klar. Wenn die Plazenta zwischen den Zwillingen ungleich verteilt war, hat das Folgen: Um mit seinem kleineren Teil der Plazenta zu überleben, kann einer der beiden im Mutterleib nur eingeschränkt wachsen. Diesen Rückstand holt er im restlichen Leben kaum mehr auf – und das, obwohl eineiige Zwillinge genetisch völlig ident sind.

Ethische Herausforderung

Während Drillingsschwangerschaften heute laut Klaritsch oft kein großes Problem mehr darstellen, und auch frühgeborene Kinder immer besser versorgt werden können, ist die Situation mit Vier- oder Fünflingen eine andere: "Da ist es häufig so, dass sich die Eltern eine Reduktion wünschen, um die Wahrscheinlichkeit für Schwangerschaftskomplikationen zu senken", so Klaritsch.

Dabei wird einem oder mehreren Kindern in einem frühen Stadium der Schwangerschaft ultraschallgezielt eine tödliche Dosis Kaliumchlorid verabreicht. "Da haben wir moralisch schon ein Problem", gibt Klaritsch zu, der betont, dass man in seiner Abteilung damit äußerst zurückhaltend sei, dieser Fetozid jedoch in anderen Ländern häufiger durchgeführt werde.

"Wir unterstützen immer, dass eine Frau die Mehrlinge austrägt", so Klaritsch. Nur auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern hin werde der Eingriff durchgeführt. "Damit wird natürlich das Risiko der Schwangerschaft reduziert", erklärt er. Aber die Frau müsse  danach auch mit ihrer Entscheidung leben. (Franziska Zoidl, derStandard.at, 25.11.2013)