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Touristen machen Fotos an der englisch-schottischen Grenze. Nach den Wünschen der Nationalisten soll das bald eine Staatsgrenze sein. Das sieht die Mehrheit der Schotten anders.

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Das Buch umfasst 170.000 Wörter auf 670 Seiten und wird in einer Erstauflage von 20.000 Stück gedruckt. Letzte Änderungen am Text nahm der schottische Ministerpräsident höchstpersönlich vor, als er kürzlich zu einem offiziellen Besuch in China weilte. Wenn Alex Salmond am Dienstag im ultramodernen Science Museum von Glasgow vor die Kameras tritt, sind alle Zutaten für eine glänzende Inszenierung bereit.

Außer detailreichen Plänen für die von Salmonds Nationalistenpartei SNP (Scottish National Party) angestrebte Selbstständigkeit der britischen Nordprovinz nennt das schwergewichtige Dokument auch gleich das angepeilte Datum: Sollten die Schotten beim Referendum im September kommenden Jahres mit Ja stimmen, will Salmond am 24. März 2016 die Unabhängigkeit feiern. "Dann können wir unser Wirtschaftswachstum ankurbeln, die Bevölkerungszahl vergrößern und Schottlands Reichtum gerecht verteilen", schwärmt der Edinburgher Regierungschef.

Kleinliche Miesmacher

Der Pomp, die großen Worte und Faktenfülle verfolgen allesamt das gleiche Ziel: Den zahlreichen Skeptikern die Loslösung von London schmackhaft zu machen. Konsequent hat Salmond seit seiner Regierungsübernahme 2007 den 5,2 Millionen Schotten Selbstbewusstsein einzuimpfen versucht. Befürworter der Union mit England, Wales und Nordirland werden dabei systematisch als kleinliche Miesmacher dargestellt.

Umgekehrt amüsiert sich Alistair Darling, der Vorsitzende der parteiübergreifenden Kampagne "Besser gemeinsam" (Better together) über Salmonds Chuzpe: Es sei doch "mehr als ein bisschen vermessen", mit dem angepeilten Datum bereits das Abstimmungsergebnis vorwegzunehmen, spottete der Labour-Politiker.

Tatsächlich legen die Umfragen bisher eine solide Mehrheit für den Verbleib bei Großbritannien nahe, wenn sich auch der Abstand zuletzt verringert hat. Dem Institut Panelbase zufolge würden derzeit 47 Prozent der Schotten gegen die Unabhängigkeit stimmen, 38 Prozent dafür. Grund genug für Darling und seine Mitstreiter, vor der besonders in London verbreiteten Apathie zu warnen: Der Ausgang des Wahlgangs sei noch völlig offen.

Rechtzeitig zu Salmonds großem Auftritt hat sich auch einer seiner wichtigsten Widersacher zu Wort gemeldet. Der Liberaldemokrat Alistair Carmichael sitzt am Londoner Kabinettstisch. Offiziell vertritt er dort als "Minister für Schottland" die Sache seiner Heimatregion, doch ist ihm von der liberal-konservativen Koalition auch der Part des Propagandisten wider die nationalistische Verirrung zugedacht.

In dieser Funktion teilte Carmichael vergangene Woche der Zeitung Financial Times mit, im Fall der Unabhängigkeit müssten sich die Schotten eine neue Währung besorgen. Der Verbleib in der Pfundzone sei "äußerst unwahrscheinlich", pflichtet ihm der konservative Finanzminister George Osborne bei.

Die unmissverständliche Warnung an die in Geldangelegenheiten bekanntermaßen zurückhaltenden Schotten soll Zweifel säen an Salmonds Pomp, mit dem der kluge Politiker viele schwierige Fragen beiseite zu wischen versucht.

Dazu gehört die Aufteilung der Ölreserven, der Staatsschulden und der Streitkräfte. Anders als von der SNP gern behauptet könnte ein unabhängiges Schottland auch keineswegs reibungslos und sofort der Europäischen Union beitreten, schließlich fürchten mächtige EU-Mitgliedsländer wie Spanien die Sezession im eigenen Land.

Und Edinburghs Neu-Beitritt würde geltendem Recht zufolge die zwingende Verpflichtung nach sich ziehen, baldmöglichst der Eurozone beizutreten. Das ist selbst im grundsätzlich Europa-freundlichen Schottland wenig populär. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 26.11.2013)