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Herbert Kocher ist in der Wolle gefärbt, sieht sich aber für viele Meinungen völlig offen

Foto: apa/bso/Hagen

Wien - Nur wenige Tage nach der einstimmigen Wahl von Herbert Kocher zum neuen Präsidenten der Bundes Sport Organisation (BSO) trug sich noch nicht Dagewesenes zu im Wiener Haus des Sports, das neben der BSO vor allem die Sektion Sport des gerade zuständigen Ministeriums und zahlreiche Fachverbände beherbergt. Kocher, als Nachfolger des seit 2007 im Amt gewesenen SP-Politikers Peter Wittmann Österreichs oberster Sportfunktionär, bat zum Meet & greet, auf dass ihn alle Mitarbeiter kennenlernen konnten - von der Reinigungskraft bis zur Geschäftsführung.

Eine gewisse Hemdsärmeligkeit ist dem Wiener Herbert Kocher auch geblieben, als seine Funktionärslaufbahn immer öfter nach formeller Kleidung verlangte. Vor seinem Sprung an die BSO-Spitze war er schon Vizepräsident des Radsportverbands und Präsidiumsmitglied im SP-nahen Dachverband Askö. Da gerät man schnell in den Ruch, ein Apparatschik zu sein. Kocher steckt das glaubhaft locker weg, verweist lieber auf seinen Führungsstil: "Ich hasse nichts mehr, als dass ein Einzelner glaubt, er ist der Größte, Beste, Gescheiteste." Das Bemühen, verschiedene Meinungen in die eigene Entscheidung einfließen zu lassen, sei aber nicht als Biegsamkeit zu deuten.

Ein Freund offener Worte

Die Fähigkeit, Dinge deutlich anzusprechen, durchaus auch mit deftigeren Worten, ist Kocher, einem gelernten Maurer, der im E-Werk Simmering Betriebsratsobmann war, nicht abhandengekommen. "Die Infrastruktur des österreichischen Sommersports ist ruinös", sagt der 66-Jährige, etwa nach den drängendsten Problemen gefragt. Der Vergleich mit dem Wintersport und dessen Erfolgen mache sicher. Eine Volleyballhalle, die für internationale Spiele zu niedrig ist, sei ebenso Schwachsinn wie ein Leichtathletikzentrum, das bei acht Geraden mit nur sechs Kurvenbahnen aufwarten kann und daher nicht einmal für nationale Meisterschaften brauchbar ist.

Dem ehemaligen Fußballer Kocher - nach Anfängen bei der Admira schmückte er zwei Jahre lang einen Satellitenverein von 1860 München in der Bayernliga und später die Mannschaft von E-Werk/Gaswerk in der Wiener Liga - geht auch nicht ein, warum Wien quasi nicht München sein kann, warum es also kein echtes Fußballstadion für die Spiele der beiden Spitzenklubs Austria und Rapid geben soll.

Projekte sollten Sinn haben

Baustellen gebe es in allen Bundesländern. "Sport ist eben Landessache", sagt Kocher, "aber es geht um die Verwendung von Bundesförderungsmitteln." Es handelt sich immerhin um 80 Millionen Euro pro Jahr, wovon rund die Hälfte nach gesetzlich schon vorgeschriebener Aufteilung verfügbar ist. Förderung scheint Kocher künftig nur für Projekte denkbar, die von Spezialisten aus Welt- und Fachverbänden auch auf Sinnhaftigkeit geprüft sind.

Am 1. Jänner 2014 tritt das neue Bundes-Sportförderungsgesetzes in Kraft. Für die Vergabe von Fördergeldern ist künftig der neue Bundessportförderungsfonds und nicht mehr die BSO zuständig, deren Präsident bei den Entscheidungsfindungen aber dabei ist.

Ärger über politische Geringschätzung

Keinen Einfluss hat Kocher auf die Zukunft des Sports in der Politik. Dessen Dasein als Wanderniere bei Regierungsbildungen resultiere aus seinem geringen Stellenwert, "obwohl man bei jedem Ländermatch auf der Ehrentribüne eine Plenarsitzung des Parlaments abhalten könnte". Kocher hat es satt, "für den Sport betteln zu gehen", der tausende Arbeitsplätze schaffe und Unglaubliches für den Tourismus wie für die allgemeine Gesundheit leiste. Trüge Kocher nicht einen Anzug, er würde sich bei diesen Worten wohl drohend die Ärmel aufkempeln. (Sigi Lützow, Fritz Neumann - DER STANDARD, 26.11. 2013)