Ist es ein Freispruch für Ernst Strasser, was der Oberste Gerichtshof Dienstagmittag entschieden hat? Dass er einen "Heber", wie es justizintern genannt wird, vollzogen und den Bestechungsprozess zurück an die erste Instanz verwiesen hat? Nicht wirklich, obgleich der Ex-Politiker nun natürlich die Chance hat, im nächsten Prozess den Gerichtssaal als unbescholtener und freier Mann zu verlassen.

Denn Gesetz und Moral sind zwei unterschiedliche Dinge. In der Sache hat Senatsvorsitzender Eckart Ratz nämlich Strasser durchaus eingeschenkt. Ja, er hat Geld von den vorgeblichen Lobbyisten gefordert. Ja, er hat seine besondere Stellung als EU-Parlamentarier ausgenutzt. Ja, das wäre heute strafbar. Die Frage ist nur: War es das damals auch?

Die Antwort darauf muss jetzt wieder am Landesgericht Wien von einem neuen Schöffensenat gefunden werden. Konkret geht es darum, ob Strasser jährlich 100.000 Euro gefordert hat, um ein bestimmtes Amtsgeschäft zu tätigen. Oder er quasi in den Raum gestellt hat: "Gebt mir einmal das Geld, und dann schauen wir, was sich so alles machen lässt." Letzteres war zum Tatzeitpunkt 2010/11 nach österreichischem Recht aber noch nicht illegal.

Rolle der Abänderungsanträge

Aus Sicht des OGH-Senates hat Erstrichter Georg Olschak in seiner schriftlichen Urteilsbegründung nicht ausreichend dargelegt, ob und wofür Strasser das Geld wollte. Was ein wenig überraschend ist, gilt Olschak doch als besonders gründlicher und korrekter Richter - und er hat durchaus erwähnt, dass zwei von den "Lobbyisten" gewünschte Abänderungsanträge eine Rolle gespielt haben.

Und jeder, der dem ausführlichen ersten Verfahren gefolgt ist und nicht an Strassers Argumentation glaubt, er habe hinter den beiden Journalisten feindliche Agenten vermutet, kann nur zum Schluss kommen, dass es als ersten Schritt natürlich um diese Abänderungsanträge ging. Schließlich wurden die ja auch per Mail übermittelt und von Strasser weitergeleitet beziehungsweise als Argumentationshilfe im Gespräch mit Mitparlamentarieren verwendet.

Aber Beweise hat der OGH ja nicht zu würdigen, sondern nur das Recht zu wahren. Und das hat er gemacht - wenngleich er in der Entscheidungsbegründung durchaus schon einen Wink gegeben hat, was die nächsten Richter zu bedenken haben, wenn sie sich den nächsten Heber ersparen wollen. (Michael Möseneder, derStandard.at, 26.11.2013)