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Die Schleife als Symbol der Solidarität, die HIV-Infizierte weiterhin dringend brauchen. 

Foto: APA/dpa/Fredrik von Erichsen

Es ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte in der Medizin. Kam die Diagnose HIV Ende der 1980er-Jahre einem Todesurteil gleich, so kann das Virus 22 Jahre später durch Medikamente in Schach gehalten werden.

HIV-Positive haben heute nahezu dieselbe Lebenserwartung wie alle anderen Menschen - vorausgesetzt, sie nehmen jeden Tag ohne Ausnahme ihre Tabletten und gehen regelmäßig zum Arzt.

Möglich gemacht haben das der Einsatz der Wissenschafter, die Produktinnovationen der Pharmaindustrie und nicht zuletzt auch jene Aktivisten, die in den vergangenen Jahrzehnten Milliarden Spenden gesammelt und auf diese Weise die Forschung vorangetrieben haben.

Die Angst vor dem Forschungsstopp

An sich also eine Erfolgsmeldung. "Das Problem ist, dass das Problem nicht mehr groß genug ist, um Spenden sammeln zu können", sagte Engelbert Zankl von der Münchner Aids-Hilfe am Rande des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses in Innsbruck im Mai dieses Jahres und sprach aus, wovor sich viele Betroffene fürchten: dem Forschungsstopp.

Zur Diskussion geladen hatte ViiV-Healthcare, ein global agierendes, auf HIV spezialisiertes Unternehmen, das 2009 von GlaxoSmithKline (GSK) und Pfizer ins Leben gerufen wurde, auch eine gemeinsame Medikamentenentwicklung gehört zu diesem Programm. "Früher hatten wir Angst zu sterben, heute fürchten wir uns vor den Nebenwirkungen, die mit einer lebenslangen Therapie verbunden sein können und die wir heute möglicherweise noch gar nicht kennen", so Zankl.

Das HI-Virus wird mit einer hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) heute so effizient unterdrückt, dass es im Körper nicht einmal mehr nachweisbar ist. Unbedingte Voraussetzung: die täglich Einnahme der Medikamente. Wer schleißig ist, riskiert gefährliche Resistenzen, was bedeutet, dass sich das Virus trotz Medikamenten weiter vermehrt. 

Tablettenschlucken klingt einfach

"Tablettenschlucken klingt erst einmal einfach, ist für alle, die erfahren, dass sie das ab sofort lebenslang machen müssen, eine große Hürde", berichtet der HIV-Spezialist Jürgen Rockstroh vom Universitätsklinikum in Bonn und pocht auf ausführliche Patientengespräche. "Die Zeit, die ich zu Beginn einer Therapie investiere, verhindert die Probleme später", berichtet er. "Wenn mir Patienten so sehr vertrauen, dass sie mir auch sagen, wenn sie nur eine halbe Tablette genommen haben, dann habe ich mein Ziel erreicht", definiert er.

Die Realität sieht in den personell immer knapper besetzten Spitälern allerdings anders aus. "Es ist erschreckend zu sehen, wie HIV-Ärzte in den Ambulanzen abgebaut werden", sagt Wiltrud Stefanek von der österreichischen Selbsthilfegruppe PulsHIV und betont, wie wichtig erfahrene HIV-Mediziner für Patienten sind. "In Österreich ist eine HIV-Infektion noch immer mit vielen Vorurteilen behaftet, und kaum ein Betroffener traut sich, offen darüber zu reden - oft sind dann die Ärzte überhaupt die einzigen Ansprechpartner", sagt sie.

Immer noch Vorurteile

Dass die Angst der Betroffenen vor Diskriminierung durchaus berechtigt ist, bestätigt Sepideh Hassani von der Aids-Hilfe Wien, die über HIV-Patienten immer wieder von Diskriminierung am Arbeitsplatz und von Berührungsängsten bei Krankenpflegepersonal beziehungsweise Ärzten anderer Fachrichtungen erfährt. "Die Übertragungswahrscheinlichkeit ist dank moderner Therapien zwar total gering, trotzdem nehmen wir alle Ängste ernst."

Es geht darum, die Menschen besser über die Infektion aufzuklären, sagt Hassani. Anders als in Deutschland werden sämtliche Selbsthilfevereine hierzulande nur unzureichend gefördert. "HIV/Aids ist für Gesellschaft und Politik einfach kein Thema. Betroffene jammern, machen aber nichts und müssen mangels starker Gruppe alles hinnehmen", beschreibt Stefanek die Situation. Was sie sich wünschen würde: große Awareness-Kampagnen wie in anderen Ländern, um Ansteckungsängste abzubauen und Betroffene aus der Isolation zu holen.

Therapietreue

Zu einem Teil haben das die Verantwortlichen im System bereits erkannt. "HIV/Aids ist vom medizinischen zum sozialen Problem geworden", sagt Jean-Paul Klein, Verantwortlicher im Gesundheitsministerium, deshalb habe man sich bemüht, auch Vertreter von Selbsthilfeorganisationen und NGOs neu in die Österreichische Aidskommission zu integrieren. Aktueller Fokus sei es, ein Bewusstsein für Risiko auch außerhalb der bekannten Gruppen aufzubauen, Diskriminierungen am Arbeitsplatz abzubauen, auch Migranten mit der Aufklärung zu erreichen.

"Frühe Diagnose und Therapiebeginn sind für den langfristigen Verlauf der Erkrankung entscheidend", betont auch Christian Zagler von der HIV-Ambulanz am Otto-Wagner-Spital. Der Grund: Eine HIV-Infektion gehe mit einer generalisierten Entzündung im Körper einher und kann dadurch Organe und Gefäße schädigen. Jene Menschen, die zu einem sehr späten Zeitpunkt mit der Therapie beginnen, hätten später stärker mit den Folgen der Infektion zu kämpfen.

Worum es deshalb in der HIV-Therapie geht, ist Therapietreue. "Die tägliche Einnahme erfordert viel Disziplin, wir haben Daten, dass Patienten, die nur einmal am Tag eine Tablette nehmen müssen, besser zurechtkommen, damit auch weniger Resistenzen entwickeln und die Krankheit gesamtheitlich gesehen besser unter Kontrolle bleibt", erklärt Zagler die Dynamik.

Vereinte Kräfte

Unter diesem Aspekt stehen auch aktuelle Therapieinnovationen. Im Oktober hat ViVV die Zulassung für eine sogenannte Single-Tablette, die die drei Wirkstoffe Dolutegravir, Abacavir und Lamivudin enthält, in den USA bekommen. Sie muss nur einmal täglich eingenommen werden. Allerdings: "Bei der HIV-Therapie gibt es keine eine fixe Therapie, die für alle Infizierten passt", sagt Zagler und warnt vor einer "One-size-fits-all-Strategie".

Menschen, die sich heute anstecken, hätten komplett andere Voraussetzungen wie die, die bereits seit zehn oder 20 Jahren mit dem Virus leben. "Nur eine breite Auswahl an Medikamenten ermöglicht Individualisierung, und die ist für eine Krankheit, die lebenslang existiert, wichtiger denn jemals zuvor", sagt HIV-Spezialist Rockstroh.

"Von den vergangenen 15 Jahren Therapie auf die nächsten 60 Jahre schließen zu wollen wäre kühn", meinte Selbsthilfe-Vertreter Zankl im Mai in Innsbruck. PulsHIV-Sprecherin Wiltrud Stefanek sieht das ähnlich: "HIV-Positive sind diskriminiert und weiterhin auf Unterstützung angewiesen." (Karin Pollack, DER STANDARD, 29.11.2013)