Die technischen Fortschritte in der Unterhaltungsindustrie kommen auch der Forschung zugute: "Denn eigentlich", sagt Anton Fuhrmann, "haben wir nichts anderes als ein Videospiel für Spinnen konstruiert." Nur dass die Tiere eben keinen Joystick bewegen, sondern sich selbst.

Was in vielen Jugendzimmern die X-Box ist, heißt in der Wissenschaft Virtual Environment. Und damit ließen sich laut Fuhrmann etwa der Jagdspinne Cupiennius salei weit mehr Geheimnisse entlocken, als dies in einem realen Umfeld möglich wäre. Zum Beispiel jenes über das tatsächliche Sehvermögen der Gliederfüßer.

Das in Wien ansässige Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (VRVis), gefördert durch das Comet-Programm von Verkehrs- und Wirtschaftsministerium, entwickelte in diesem Projekt den Experimentalaufbau als virtuelle Umgebung. Dieser Aufbau bestand im Wesentlichen aus einer von vier Servomotoren bewegten Kugel, auf der die Spinnen platziert wurden und die von einer Projektionsfläche im 360-Grad-Winkel umgeben war. "Zuvor mussten wir aber die Größe der Kugel an das Tier anpassen, denn diese muss im Vergleich zu Versuchen mit anderen Labortieren wie etwa einer Maus extrem groß sein", schildert Fuhrmann: Denn der Krümmungsradius der Kugeloberfläche entscheide darüber, ob sich die Spinne auf das Spiel einlasse oder nicht. Die Kugel hatte schließlich einen Durchmesser von 90 Zentimetern.

Eine über der ganzen Versuchsanordnung montierte Industriekamera, die im Infrarotbereich arbeitet, und speziell entwickelte Software wurden verwendet, um die Position des Tieres, seine Blickrichtung und seine Laufrichtung zu bestimmen. Die Messwerte wurden an einen Regler geschickt. Dieser wiederum bewegte mittels Motoren die Kugel auf solche Weise, dass die Spinne immer zentriert oben blieb - egal, wohin und wie schnell sie krabbelte. Spezielle Winkelgeber an der Kugel zeichneten den Weg auf, den das Tier durch die virtuelle Umgebung zurücklegte. Dieser Aufbau war von einer zylindrischen Projektionsfläche umgeben, auf die vier Mikroprojektoren ein nahtloses Bild der Versuchsumgebung projizierten.

Günstige Versuchsanordnung

Da dieses Bild der Spinne permanent den richtigen, an die Bewegung angepassten Blick auf das Virtual Environment präsentierte, muss man annehmen, dass gewaltige Datenmengen in Echtzeit erfasst und berechnet werden mussten, dass also eine große Rechnerleistung vonnöten war. "Das war aber tatsächlich nicht mehr als bei einem Videospiel für eine X-Box" , sagt Fuhrmann, Leiter der Sektion Virtual Reality bei VRVis. "Das Bild wurde 60-mal pro Sekunde an die Bewegung und die Blickrichtung der Spinne angepasst, über die Kamera und die Software wurde das ganze System gesteuert." Früher hätte die Ausrüstung für eine solche Versuchsanordnung rund 100.000 Euro gekostet, sagt Fuhrmann. Durch den Einzug dieser Technologie in die Unterhaltungsindustrie, durch die Weiterentwicklung von Computerspielen, Grafikkarten, Speicherplätzen und Chipsätzen für die Rechenleistungen, könne man diese Forschungsprojekte kostengünstig durchführen, erklärt der IT-Fachmann.

Zudem seien derartige Versuchsanordnungen für die Forschung weit effizienter als Studien in realer Umgebung: "In einem natürlichen Umfeld hat die Spinne, was sie eben hat. Eine virtuelle Umgebung kann ich aber je nach wissenschaftlichem Wunsch und Ziel jederzeit verfremden, so kann ich herausfinden, wie die Spinnen auf bestimmte visuelle Stimuli reagieren - das eröffnet ein weites Feld an Forschungsmöglichkeiten bei gleichbleibender Versuchsanordnung." (Andreas Feiertag, DER STANDARD, 27.11.2013)