Dieser Papst schafft es beinahe schon wöchentlich, selbst härteste Kritiker positiv zu überraschen. Vor kurzem erst hat er den Bischöfen auferlegt, eine umfassende Umfrage unter Gläubigen zu veranstalten, was die von "ihrer" Kirche überhaupt noch erwarten. Und jetzt das Evangelii Gaudium: 216 Seiten zur Zukunft der römisch-katholischen Kirche - wahrlich kein kleiner Wurf.

Franziskus hat mit seinem Schreiben nicht weniger gesagt, als dass eine umfassende Reform der katholischen Kirche nicht vor seinem Papstthron haltmachen dürfe: Er will nicht nur die - zu Recht als verstaubt geltende - Kurie erneuern, sondern gleich das gesamte Papsttum. So könnte dieses Schreiben als eine Absage an den Zentralismus des Amtes interpretiert werden. Es könnte die Grundlage dafür sein, dass der Papst künftig die Ernennung neuer Bischöfe grundsätzlich den Bischofskonferenzen überlässt. Und es passt mit seiner Absicht zusammen, die Ortskirchen zu stärken - als "Subjekte mit konkreten Kompetenzbereichen". Zwar lehnt er weibliche Priester strikt ab und spricht die heikle Frage der Homosexualität nicht an. Aber die Bemerkung, die Sakramente seien "nicht nur für die Gesunden und Starken" da, könnte auch einen Türöffner für geschiedene Wiederverheiratete darstellen.

Wenn Franziskus in dem Tempo weitermacht, könnte sogar ein Sturm der Veränderung losgetreten werden, der vieles im Vatikan vom Obersten nach unten kehrt. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 27.11.2013)