Der Ort ist derselbe, die Akteure haben sich ein bisschen geändert. "Wir sagen jetzt Horst und Guido zueinander", hatte der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle stolz erklärt, als er 2009 gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer den schwarz-gelben Koalitionsvertrag im großen Saal der Berliner Bundespressekonferenz vorstellte.
Merkel und Seehofer sind immer noch da, doch der Dritte im Bunde ist jetzt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Den "GroKo-Deal", den Vertrag über die große Koalition also, legen sie an diesem Mittwochmittag vor. Merkel kommt als Erste, hinter ihr Gabriel, dann Seehofer. Das Gedränge der Fotografen und Kameraleute ist enorm. "Frau Merkel, wir sehen Sie nicht", rufen Hintenstehende verzweifelt. Merkel lächelt und spricht als Erste. Der "Geist des Vertrags zeigt, dass wir eine große Koalition sind, um auch große Aufgaben für Deutschland zu meistern."
Fragezeichen bei Finanzierung
Ihre wichtigsten Botschaften lauten: "Wir wollen keine neuen Schulden machen. Das heißt nichts anderes, als dass wir Ja sagen zur Zukunft unseres Landes." Und: "Es gibt keine Steuererhöhungen, weil wir glauben, dass das gut für den Mittelstand ist." Steuererhöhungen hatte die Union im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen, die SPD hingegen hatte gefordert, die Wohlhabenden stärker zu besteuern.
Anderswo, nämlich beim Mindestlohn, hat sich die SPD durchgesetzt. Merkel räumt daher ein: "Das war ein großer Brocken, den wir überwinden mussten. Aber wir haben einen fairen Kompromiss gefunden. Es werden Chancen entstehen, nicht die Risiken von Arbeitsplatzverlust überwiegen." Doch Merkel bemüht sich gleich wieder, die für sie positiven Errungenschaften herauszustreichen: "Wir werden in die Zukunft investieren, in Bildung und Forschung, in den Kita-Ausbau (Kindergärten, Anm.). Wir werden in die Verkehrsinfrastruktur investieren, da kommen fünf Milliarden Euro mehr aus dem Bundeshaushalt." Auch im Saal ist inzwischen gerechnet worden, und jemand stellt die Frage, wie denn die Mehrausgaben von 23 Milliarden Euro bewältigt werden sollen – ganz ohne Steuererhöhungen und mit der Maßgabe, dass Deutschland ab 2015 keine neuen Schulden mehr machen will.
Zunächst hatte es in den Verhandlungen ja geheißen, aufgrund der besseren Einnahmensituation des Staates in den Jahren 2016 und 2017 könne man 15 Milliarden Euro locker machen. Merkel weiß es auch nicht so genau und erklärt: "Ich kann Ihnen nicht in allen Einzelheiten das finanzpolitische Tableau ausbreiten. Wir haben das sorgsam durchgerechnet. Es ist gut begründbar, wie uns der Bundesfinanzminister (Wolfgang Schäuble/CDU, Anm.) bestätigt hat."
Gelächter im Saal
Doch natürlich dürfen auch die anwesenden Herren die Errungenschaften ihrer Parteien preisen. Gabriel bedankt sich zunächst für die "fairen Verhandlungen". Er ist froh, dass die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder von Ausländern kommt: "Sagen wir es so: Es ist keine Idee, auf die die Union als Erstes kam. Ich bin CDU und CSU außerordentlich dankbar, dass wir das hinbekommen haben." Ein türkischer Journalist, der schon viele Jahre in Deutschland lebt, freut sich für seinen 17-jährigen Sohn. Aber er ist enttäuscht, dass er als 63-Jähriger nicht beide Staatsbürgerschaften haben kann. "Natürlich wollte die SPD eine weitergehende Möglichkeit durchsetzen, aber das war nicht möglich." Und er nennt seine Prognose: "Der nächste Schritt kommt auch noch." "Ich beteilige mich mal nicht an der Prognose", sagt Merkel.
Nicht nur das sorgt für Gelächter im Saal. Die Stimmung zwischen den Dreien ist recht locker und gut. Für Heiterkeit sorgt allerdings Seehofer, als er erklärt: "Ich wollte die große Koalition von Anfang an. Das war heute früh ein schönes Gefühl. Ich bin hochzufrieden, alle wesentlichen Wahlaussagen sind drinnen." Damit meint Seehofer natürlich die Pkw-Maut für Ausländer. Er versichert, dass es sich nicht bloß um einen Prüfauftrag handle, ob das Vorhaben mit EU-Recht vereinbar sei, sondern dass das Gesetz im Laufe des Jahres 2014 erarbeitet und verabschiedet werden solle. Merkel kann es auch nicht so genau beantworten, erklärt aber: "Wir haben das durchgerechnet. Es ist gut begründbar, wie uns der Finanzminister (Wolfgang Schäuble, CDU, Anm.) bestätigt hat."
Alle drei wissen natürlich, dass der Koalitionsvertrag zwar jetzt fertig ist, aber noch nicht gilt. Denn zunächst muss ja die SPD-Basis noch zustimmen. Das Ergebnis dieser ersten Mitgliederbefragung über einen Koalitionsvertrag soll am 14. Dezember feststehen. Ob das auch tatsächlich gutgehen werde, fragt man Gabriel. Der lässt an seiner Zuversicht keinen Zweifel: "Wir haben alle Mitglieder informiert und sie aufgefordert, mit Ja zu stimmen. Ich persönlich bin überzeugt, dass das gelingt, denn die SPD ist seit 150 Jahren eine Fortschrittspartei. Die Mitglieder werden mit Sicherheit zustimmen." Ob sie das Warten nicht nerve, wird Merkel gefragt. Überhaupt nicht, erklärt sie: "Dann warten wir halt noch 14 Tage." Seehofer betont, er habe seine CSU gefragt, ob sie noch einen Parteitag zur Besprechung des Koalitionsvertrags möchte, aber niemand habe daran Interesse gehabt. "Das würde bei uns nie passieren", sagt Gabriel mit gespieltem Neid.
Jetzt möchte man natürlich noch wissen, wer denn Minister wird und welche Ministerien es überhaupt geben wird. Aber die drei verraten nichts. Das alles soll erst nach Ende des SPD-Mitgliederentscheids bekanntgegeben werden. Ein Kollege versucht es dennoch und fragt Gabriel, ob er überhaupt als Vizekanzler in ein Kabinett gehen wolle, in dem auch womöglich der bisherige, recht scharfzüngige CSU-General Alexander Dobrindt sitzt. Der nämlich hat Gabriel als "übergewichtig und unfähig" bezeichnet. "Zur Hälfte hat er ja recht", sagt der wohlbeleibte Gabriel. "Die CSU hat immer zur Hälfte recht", meint Seehofer.
Zum Schluss muss noch eine wichtige Frage geklärt werden: Duzt oder siezt man sich jetzt? Gabriels Antwort: "Man kann sich wertschätzen und respektieren, ohne dass man sich duzt. Man kann sich nicht wertschätzen und nicht respektieren und sich duzen. Wir haben uns für die erste Variante entschieden." Das könne sich ändern, wenn der SPD-Mitgliederentscheid positiv ausfalle, stellt Seehofer in Aussicht. Und Merkel gibt eine typische Merkel-Antwort: "Ich werde das beobachten." (Birgit Baumann, derStandard.at, 27.11.2013)