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Auch bei Frauen unter 40 Jahren ist in Österreich der Transfer von zwei oder drei Embryos erlaubt.

Foto: AP/Sang Tan

In der chronikalen Berichterstattung sind Geschichten über Drillings-, Vierlings und Fünflingsgeburten kein Ausnahmefall mehr - zuletzt etwa über ein Paar aus den USA, das bereits zum zweiten Mal Drillinge erwartet.

Was dabei manchmal unerwähnt bleibt: Der Großteil dieser spektakulären Schwangerschaften ist auf In-vitro-Fertilisation (IVF) zurückzuführen, bei der mehrere Embryos in die Gebärmutter der Frau eingesetzt werden und sich alle zu Föten entwickeln.

Stärkeres Bewusstsein

In Österreich ist die Mehrlingsproblematik durch IVF nicht mehr so präsent wie noch vor ein paar Jahren, erklärt Omar Shebl, leitender Oberarzt des Kinderwunschzentrums an der Landes- Frauen- und Kinderklinik in Linz. Mittlerweile sei ein stärkeres Bewusstsein für das Thema vorhanden. Daher würde heute öfter nur ein Embryo eingesetzt, was zu einem Rückgang der Mehrlingsrate geführt habe.

Trotzdem: Die Anzahl der Mehrlingsgeburten ist bei künstlicher Befruchtung nach wie vor höher als nach natürlicher Befruchtung. Während in der Gesamtgeburtsstatistik von Statistik Austria die Zahl der Mehrlingsgeburten weniger als zwei Prozent beträgt, sind laut dem IVF-Jahresbericht von 2012 14,8 Prozent der Geburten nach künstlicher Befruchtung Zwillinge, und 0,9 Prozent Drillinge.

Späterer Bedarf

Sandra Holzbergers Kinder sind Teil dieser Statistik: Die 33-Jährige ging mehr als zwei Jahre lang durch IVF-Behandlungszyklen, um endlich schwanger zu werden. "Das ist schon heftig für den Körper", erzählt sie von der anfänglichen Behandlung mit Hormonspritzen. "Und nebenbei musst du normal arbeiten gehen, weil sonst die Kollegen fragen was los ist."

Durch die Hormonbehandlung reifen mehrere Eizellen gleichzeitig heran. Kurz vor dem Eisprung werden diese Eizellen dann entnommen und außerhalb des Körpers mit den Samen des Partners in einer Petrischale zusammengebracht. Bei Erfolg kann nach zwei bis fünf Tagen der Embryo oder die Embryonen in die Gebärmutter transferiert werden. Stehen mehr Embryos zur Verfügung, so können diese in flüssigem Stickstoff gelagert werden und bei Bedarf später verwendet werden.

Ganz so einfach war es für Holzberger nicht: Nach mehreren erfolglosen Implantationen und einer Fehlgeburt wollte sie es noch ein Mal versuchen. Diesmal hatte sie Glück: Sie erfuhr, dass sie Zwillinge erwartete. Die große Freude darüber stellte sich aber erst in der 20. Woche ein: Die Angst vor einer erneuten Fehlgeburt war groß.

Keine gesetzliche Regelung

Mehrlingsschwangerschaften sind für Mutter und Kinder weitaus riskanter als Einlingsschwangerschaften: Fehlgeburten, Frühgeburten und Wachstumsstörungen sind nur einige der vielen Komplikationen, die auftreten können. "Der Outcome bei Zwillingen ist einfach schlechter", erklärt Shebl. Kombiniert mit längeren Krankenständen der Mutter verursache eine Mehrlingsschwangerschaft auch hohe Kosten für die Volkswirtschaft.

Eine gesetzliche Regelung über die Anzahl von Embryos, die bei künstlicher Befruchtung eingesetzt werden dürfen, existiert in Österreich nicht. Es gibt aber eine gemeinsame Empfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, der Österreichischen IVF Gesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für Sterilität, Fertilität und Endokrinologie, in der die Maximalzahlen von transferierten Embryos festgelegt sind. "Diese Leitlinie war ein wichtiger Schritt, geht aber noch nicht weit genug", so Shebl, weil auch bei Frauen unter 40 Jahren der Transfer von zwei und in Ausnahmefällen sogar drei Embryos erlaubt wird.

Skandinavien als Vorbild

Es kann aber durchaus sinnvoll sein, mehr als nur einen Embryo einzusetzen – bei älteren Frauen zum Beispiel, weil deren Embryoqualität laut Shebl nicht mehr so gut ist. Und Paare, die ihren Kinderwunsch selbst finanzieren müssen, hätten eben nur begrenzte Mittel. "Viele sagen dann nach frustrierenden Versuchen, sie gehen das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft ein, weil ihnen das Risiko, überhaupt keine Kinder zu bekommen, zu groß ist", sagt Shebl.

Unterschiede gibt es bei der Anzahl der transferierten Embryos auch zwischen öffentlichen und privaten IVF-Zentren: So werden laut IVF-Jahresbericht bei privaten Zentren öfter mehrere Embryos eingesetzt als bei öffentlichen. In der Landes-Frauen und Kinderklinik wird laut Shebl bei 70 Prozent aller Eingriffe nur ein Embryo implantiert – das sei "skandinavisches Niveau". Dort werde nämlich standardmäßig nur ein Embryo eingesetzt und damit das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft drastisch reduziert.

In Österreich liegt diese Entscheidung beim Paar mit Kinderwunsch: Wer sich schriftlich damit einverstanden erklärt, die Risiken auf sich zu nehmen, bekommt an der Landes- Frauen- und Kinderklinik zwei Embryonen eingesetzt, erklärt Shebl.

Letztendlich zählt auch in der Fortpflanzungsmedizin die Erfolgsstatistik –Vertragspartner des IVF-Fonds müssen eine gewisse Schwangerschaftsrate nachweisen und viele Kliniken werben mit ihrer Schwangerschaftsrate – ein Erfolgsdruck, der die Entscheidung zum Transfer von mehreren Embryos begünstigen könnte.

Teurer Kinderwunsch

Während die erste IVF-Geburt vor 35 Jahren für weltweite Schlagzeilen sorgte, ist die Behandlung heute nichts Ungewöhnliches mehr: 2012 haben sich laut IVF-Fondsbericht mehr als 5000 Paare in Österreich der Behandlung unterzogen haben – und dabei wurden nur jene Behandlungszentren eingerechnet, die einen Vertrag mit dem IVF-Fonds haben. Bei rund einem Drittel der Paare kam es zu einer Schwangerschaft, bei einem Viertel zur Geburt.

Seit 2000 gibt es in Österreich eine staatliche Finanzierung für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch:  Unter bestimmten Voraussetzungen werden 70 Prozent der Kosten vom IVF Fonds des Bundesministeriums für Gesundheit übernommen, rund 1000 Euro Selbstbehalt bleiben für die betroffenen Paare am Ende übrig. Dafür muss das betroffene Paar in einer eheähnlichen Partnerschaft leben, die Mutter unter 40, der Vater unter 50 sein, und bei einem der beiden eine medizinische Indikation für künstliche Befruchtung vorliegen.

Es werden vier Versuche, also Behandlungszyklen, finanziert. Hier sieht Shebl Verbesserungspotenzial: "Bei dieser Definition ist es egal ob es ein frischer Versuch ist, oder ob ein in Stickstoff gelagerter Embryo transferiert wird." Wenn man also drei Embryonen zur Verfügung hat und, um das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft zu reduzieren jedoch nur jeweils einen einsetzt, zählt das als drei Versuche. Und ab dem fünften muss die Behandlung selbst bezahlt werden. "Wenn man die Mehrlingsrate noch weiter senken will ist das ein Kostenfaktor, den sicher nicht nur die Patienten tragen werden", stellt Shebl klar.

Auch Medizin hat Grenzen

In der Landes- Frauen- und Kinderklinik wird IVF bei Frauen bis 45 durchgeführt – "wobei ab 44 die Erfolgsraten schon rapide sinken", so Shebl. Für Frauen, die älter als 45 sind, bleibt immer noch die Option, eine fremde Eizelle mit dem Samen des Partners beimpfen zu lassen, und diesen Embryo dann auszutragen – was meist hinter skurrilen Medienberichten über  60-Jährige, die Kinder bekommen, steckt. In Österreich sei diese Methode zwar verboten, doch viele würden für den Eingriff nach Tschechien ausweichen.

Das Interesse an künstlicher Befruchtung steigt am Kinderwunschzentrum in Linz jedenfalls, und auch im Freundeskreis von Sandra Holzberger gibt es mittlerweile mehrere Paare, die IVF ausprobieren. "Ich glaube das ist ein Zeichen unserer Zeit", meint sie. Für Shebl ist einer der Gründe eine Überschätzung der modernen Fortpflanzungsmedizin: "Die Medizin hat Frauen jahrelang suggeriert, dass wir ihnen jederzeit ihren Kinderwunsch erfüllen können. Doch die reproduktive Phase hat Grenzen." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 28.11.2013)