"Es war immer ein Herzenswunsch von mir, dass eines meiner drei Kinder unser Familienunternehmen übernimmt - aber ich habe keinen Zwang auf sie ausgeübt", sagt Waltraud Schinko-Neuroth.

Foto: Privat

"Ein Hörgerät als Produkt, das mag auf den ersten Blick nicht sexy klingen. Aber wenn Sie sehen, wie ein Mensch sich sozial zurückzieht, weil er schlecht hört, und wie man ihm aus seiner Isolation helfen kann, ist das ein ungemein hoher Antrieb", sagt Lukas Schinko.

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derStandard.at: Frau Schinko-Neuroth, Ihr Sohn Lukas war erst 24 alt, als Sie ihm vor drei Jahren Ihr Millionenunternehmen mit hunderten Angestellten übergeben haben. War das nicht ein großes Risiko?

Waltraud Schinko-Neuroth: So habe ich das nie empfunden. Die Übergabe war lange vorher geplant. Es war immer ein Herzenswunsch von mir, dass eines meiner drei Kinder unser Familienunternehmen übernimmt - aber ich habe keinen Zwang auf sie ausgeübt. Lukas hat aber die Liebe zum Akustik-Gewerbe und zu der Technik praktisch mit der Muttermilch eingesaugt.

derStandard.at: Herr Schinko, Sie haben damals als 24-Jähriger auch keine Minute gezweifelt?

Lukas Schinko: Das kam für mich ja nicht überraschend, schließlich war die Generationenübergabe der Firma in der Familie schon immer Thema. Als ich 16 Jahre alt war, ich habe damals gerade die HTL für Nachrichtentechnik besucht, fiel bei mir die Entscheidung, dass ich im Unternehmen einsteigen möchte. Daher habe ich meine Ausbildung dann genau darauf hingeplant. Neben der Schule habe ich auch die Ausbildung zum Akustikmeister gemacht, um mit den Mitarbeitern auf Augenhöhe sprechen zu können. Und ab dem Jahr 2007 bin ich langsam ins Unternehmen eingestiegen.

Waltraud Schinko-Neuroth: Eigentlich hatten Lukas und ich uns eine einjährige Übergangszeit ausgemacht. Im Oktober haben wir begonnen, aber zu Weihnachten habe ich schon mein Büro geräumt. Zwei Chefs, den Lukas und mich, diese Parallelstruktur hat unsere Mitarbeiter verwirrt. Also bin ich vorzeitig gegangen, bin mit meinen Sachen ins Privathaus übersiedelt. Da wussten alle Mitarbeiter: Er ist jetzt der Chef.

derStandard.at: Wie wächst man eigentlich als Junior, als Firmenerbe auf?

Lukas Schinko: Sie sprechen eine große Herausforderung an. Unser Firmenhaus steht neben dem Privathaus, da kennt jeder jeden. Daher war ich sehr lange für die Mitarbeiter der kleine Neuroth-Sohn. Und aus dem Buben wurde irgendwann ihr Vorgesetzter. Da geht es darum, sein eigenes Rollenverständnis zu finden - und die Mitarbeiter muss man dabei mitnehmen.

derStandard.at: Mit 24, als Sie die Firma übernommen haben, denkt niemand an Hörgeräte: Viele Gleichaltrige sind da noch mitten im Studium, feiern Partys, haben vielleicht ihren ersten Job...

Lukas Schinko: ...ja, aber ich bin praktisch seit 26 Jahren in der Firma, also von Geburt an. Das ist in Familienbetrieben normal.

derStandard.at: Sie stellen Hörgeräte her, klingt, sagen wir mal, nicht sehr sexy, Gleichaltrige werden Sie damit wenig beeindrucken. Dachten Sie nie an etwas anderes?

Lukas Schinko: Ein Hörgerät als Produkt, das mag auf den ersten Blick nicht sexy klingen. Aber wenn Sie sehen, wie ein Mensch sich sozial zurückzieht, weil er schlecht hört, und wie man ihm aus seiner Isolation helfen kann, ist das ein ungemein hoher Antrieb. Das Produkt an sich ist nur der Schuhlöffel für das Wesentliche, was wir dem Kunden zurückgeben: das Hören selbst.

Waltraud Schinko-Neuroth: Früher galten Hörgeräte als "Negativprodukt". Dabei sind das Hightech-Produkte. Das ist eben nichts Altverschrobenes.

Lukas Schinko: Unsere Hörgeräte werden auch ständig besser. Sie können sich jetzt etwa schon über Bluetooth direkt mit dem Handy verbinden oder mit einem MP3-Player.

derStandard.at: Frau Schinko-Neuroth, als Sie in der Situation Ihres Sohnes waren, mussten Sie ins kalte Wasser springen. Ihr Vater hat keine richtige Übergabe zugelassen, Sie mussten die Firma nach seinem Tod im Jahr 1979 ungeordnet übernehmen. War das für Sie eine Lehre?

Waltraud Schinko-Neuroth: Ja, aber das ist damals alles nicht im Bösen passiert. Mein Vater war 76 Jahre alt und schon sehr krank. Wer das Thema Firmenübergabe anspricht, der spürt, dass seine eigene Lebenskraft zu Ende geht. In diesem Alter schaffst du es nicht mehr. Daher war es für mich wichtig, frühzeitig die Weichen zu stellen.

derStandard.at: Sie haben drei Kinder, aber Lukas steht an der Spitze Ihres Unternehmens. Ideale Voraussetzungen für Neid und Missgunst.

Waltraud Schinko-Neuroth: Wir haben Gott sei Dank ein tolles Familienleben. Da ist kein Platz für Eifersucht oder Negativstimmung. Alle drei Kinder sind toll ins Unternehmen eingebunden. Gregor, der Älteste, ist Anwalt und war in alle rechtlichen Problemstellungen eingebunden, meine Tochter Julia baut für uns gerade den französischen Markt auf.

Lukas Schinko: Uns hat sicher sehr geholfen, dass wir uns in der Familie immer alles gemeinsam ausgesprochen haben.

derStandard.at: Das heißt, in der Familie Neuroth-Schinko steht auch bei Familienfeiern die Firma im Mittelpunkt?

Waltraud Schinko-Neuroth: Das geht alles fließend. Das kann man nicht trennen.

Lukas Schinko: Das Unternehmen ist ein großer Teil unseres Lebens. Deshalb verschwimmt das. Aber es funktioniert auch, wenn man sagt: Bitte, lassen wir die Firma Firma sein.

derStandard.at: Frau Schinko-Neuroth, von einem hört oder liest man so gut wie nichts: Ihrem Mann. Hat der keinen Platz im Familienunternehmen?

Waltraud Schinko-Neuroth: Aber sicher! Er ist Bauunternehmer und bringt sein Wissen und Können in unserem Immobilienbereich und in den Filialen ein. Wir haben ja derzeit über 220 Hörcenter.

derStandard.at: Ihr Familienhaus ist direkt neben dem Firmengebäude. War die Firma als Kind Ihr Spielplatz, Herr Schinko?

Lukas Schinko: Ich war schon viel in der Firma. Ein bisschen "mitzuarbeiten", das war als Kind toll. Und natürlich bin ich einfach von zu Hause ins Büro der Chefin marschiert, wenn ich was von der Mama wollte. Das ist doch bei einem Familienbetrieb so.

Waltraud Schinko-Neuroth: Dass unser Privathaus direkt neben der Firma steht, hat es für mich erst möglich gemacht, auch mit drei Kindern Geschäft und Familie zu vereinbaren. Wenn Not am Mann war, bin ich rüber zu den Kindern, war aber immer am Telefon in die Geschäftsstelle verbunden. Oder die Kinder haben bei mir im Büro gespielt. Lukas hat immer leidenschaftlich gern gelötet.

Lukas Schinko: Da gab's dann immer Diskussionen, wenn ich mich verbrannt habe.

Waltraud Schinko-Neuroth: Genau! Aber er hat nicht eine Sekunde geweint. Er hat immer alte Fernseher und alte Radios bekommen, damit er löten konnte. Wenn man Familie hat und einen Betrieb aufbaut, muss beides zu verbinden sein. Bei mir war das möglich. Nicht zu vergessen ist auch, dass wir die Schwiegereltern hier gehabt haben. Die Familie ist immer integriert - das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil, etwa wenn die Kinder krank waren.

derStandard.at: Sie betonen beide, wie wichtig es Ihnen ist, Neuroth als Familienbetrieb zu erhalten. Muss da jetzt dringend ein Nachfolger her?

Lukas Schinko: Nein. Wir sind ja nicht wie die Königskinder. Wenn es passiert, passiert es sowieso. Die Liebe kann man sich nicht kaufen. Da gibt es keinen Druck, Kinder machen zu müssen, damit das Erbe besetzt bleibt. Wir haben auch das Glück, eine große Familie zu sein.