Ein Stadtneurotiker mit seiner liebsten Freundin: Woody Allen und Diane Keaton in "Annie Hall".

Foto: Gartenbaukino

Mann und Frau werden einander im Tennisverein von Freunden vorgestellt. Sie verabreden sich zu zweit. Sie küssen einander auf der Straße. Bevor sie essen gehen, damit es bei Tisch nicht zu verkrampft wird. Sie haben Sex ("That was the most fun I've ever had without laughing"). Sie zieht bei ihm ein. Er will sie erziehen. Sie beginnt sich zu entziehen. Aber Freunde werden sie für immer bleiben.

Annie Hall heißt Woody Allens immer noch gültige, elegische, komische Beziehungsstudie von 1977. Die Titelheldin verkörpert Diane Keaton mit Hemd und breiter Krawatte. Den hibbeligen Komiker Alvy Singer, der zwischen Achterbahn und Autodrom auf Coney Island aufgewachsen ist, spielt Allen selbst. Annie Hall erhält 1978 vier Oscars (u. a. den einzigen, den Allen bis dato für Regie bekommt). Die deutschen Übersetzer verpassen ihm den Synchrontitel Der Stadtneurotiker: Diese Bezeichnung wird bald zum Synonym für Allens Leinwandpersona an sich - jene Figur des egozentrischen wie eloquenten Frauenverstehers, die der 1935 in New York geborene Allen Stewart Konigsberg zunächst als Stand-up-Comedian entwickelte.

Aus dreieinhalb Jahrzehnten Abstand betrachtet, beginnt man bei Annie Hall auch über die zeitgenössischen Manifestationen und Variationen dieses Typus nachzudenken - und kommt dabei schnell zu Andrew Bujalskis frühen Mumblecore-Helden, zu Lena Dunhams Girls oder auch zu Frances Ha. Woody Allen ist - als Großstadtsensibilist und -humorist - gegenwärtig, nicht nur aufgrund seiner anhaltenden Veröffentlichungen als Filmemacher.

Vergegenwärtigen kann man sich das wiederum jetzt im Wiener Gartenbaukino, wo das filmische Gesamtwerk Woody Allens von 1965 bis 1989 zu sehen ist. Von What's New Pussycat - einer turbulenten All-Star-Komödie - bis zu Crimes and Misdemeanors und der New York Story Oedipus Wrecks, die Allen Ende der 80er inszenierte. Robert B. Weides Allen-Dokumentation von 2011 ermöglicht Über- und Einblicke. (irr, DER STANDARD, 29.11.2013)