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Die lange Publikationsliste von Avi Primor wird nun also auch noch durch einen Roman ergänzt. Der israelische Diplomat und Publizist, Botschafter in Deutschland von 1993 bis 1999, wurde für seine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Herkunftsland seiner Mutter weithin bekannt, und in diesen Themenkomplex gehört auch Süß und ehrenvoll, aus dem Hebräischen übersetzt von Beate Esther von Schwarze. Die Geschichte zweier junger Juden, einer aus Frankfurt (wie Primors Mutter) und einer aus Bordeaux, die sich im Ersten Weltkrieg an der Front gegenüberstehen, wäre schon als Literatur über die Jahre 1914-1918 wichtig genug. Sie bekommt aber durch ihre unausgesprochene Fortsetzung noch eine ganz andere Dimension.

Die beiden Protagonisten, Ludwig und Louis, verbindet einiges, vor allem ihre Herkunft aus jüdischen Elternhäusern, in denen die volle nationale Zugehörigkeit ein Lebensziel ist. Für beide, und für ihre Eltern, ist der Militärdienst ein großer Akt der Emanzipation. Das erscheint beim jungen Franzosen, zwanzig Jahre nach der Dreyfus-Affäre, nicht weniger dringlich als beim Deutschen. Beide teilen die perverse Vorfreude auf das Fronterlebnis, beide den Schock darüber, was Krieg wirklich bedeutet. Und in beide Leben fallen in diese Zeit des Erwachsenwerdens die ersten sexuellen Erlebnisse und die große Liebe.

Bei Ludwig, dem deutschen Studenten, erscheint alles belasteter: Avi Primor setzt nicht nur den Eltern seiner nichtjüdischen Freundin Karoline, sondern auch dem Vater Ludwigs ein Denkmal an Borniertheit. Karoline ist die Realistischere, wenn es um die Frage geht, ob die jüdischen Leistungen im Krieg dazu führen werden, dass "das Deutschtum der Juden in diesem Land, ihre nationale Identität, nicht mehr in Zweifel gezogen werden" kann. Die gespenstische "Judenzählung" - auf die sich auch Hitler in antisemitischen Hetzreden mehrfach berief - öffnet ihm die Augen (dabei wurden Juden von der Front abgezogen und "nachgemustert").

Historische Figuren

Primor führt auch historische jüdische Figuren ein, etwa den berühmten deutschen Piloten Wilhelm Frankl (abgeschossen 1917), und den Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber, dessen Frau Clara Immerwahr, ebenfalls Chemikerin, sich 1915 erschoss, weil sie die Verantwortung für die von Haber mitentwickelten Chemiewaffen nicht aushielt. Auch Friede, die jüdische Freundin Karolines, ist der historischen Frieda Friedmann nachempfunden, deren Familie im Krieg einen hohen Blutzoll zahlte und die sich 1933 brieflich an Hindenburg wandte.

Ludwig wird den Krieg nicht überleben, Avi Primor lässt ihn durch die Hand Louis' umkommen. Auf beiden Seiten werden nach dem Krieg die jüdischen Kämpfer geehrt: in Deutschland durch Paul von Hindenburg, der 15 Jahre später Hitler zum Reichskanzler macht, und in Frankreich durch Marschall Pétain, in Anwesenheit des Oberstleutnant Dreyfus. Pétain wird 1942 als Regierungschef im Vichy-Regime die Deportation der französischen Juden veranlassen.  (Gudrun Harrer, Album, DER STANDARD, 30.11./1.12.2013)