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Das Denkmal für Franz Ferdinand und Sophie verschwand nach dem Ersten Weltkrieg im Museum. Heute befindet sich ein Teil in Sarajevo, ein anderer Teil in Trebinje. Die Brücke nebenan ist nicht mehr nach Princip benannt, sondern heißt Lateinische Brücke. Ursprünglich sollte auch eine Kirche für die beiden Ermordeten errichtet werden.

Foto: historisches archiv der stadt sarajevo

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An der Straßenecke in Sarajevo, wo Franz Ferdinand und Sophie erschossen wurden - heute ist die Straße nach den "Grünen Baretten", einer bosniakischen Truppe aus dem letzten Krieg benannt, damals hieß sie Franz Joseph Straße – standen schon viele verschiedene Denkmäler, die das Attentat je nach Epoche und politischer Ausrichtung deuteten. Zunächst ein großes Denkmal mit den Antlitzen von Franz Ferdinand und Sophie, von dem heute nur mehr das Bankerl zu sehen ist. Eigentlich wollte man auch eine Kathedrale für die beiden bauen, die Pläne von Eugen Bory waren bereits fertig, da verlor man den Krieg.

In der Zwischenkriegszeit, als im Königreich Jugoslawien Gavrilo Princip bereits als Held verehrt wurde, wurde eine Tafel für ihn angebracht, ab 1952 im Sozialismus sogar seine Fußabdrücke gezeigt, da war er endgültig zu einer wichtigen Figur des jugoslawischen Selbstverständnisses geworden. Heute ist an der Ecke nur ein sehr einfaches Museum zu finden. Beide, Franz Ferdinand und Gavrilo Princip, kommen darin vor, beide relativ neutral. Die Brücke daneben ist nicht mehr nach Princip benannt, sondern heißt heute Lateinische Brücke. In der Stadt gibt es neuerdings Hostels und Teestuben, die den Namen des Erzherzogs tragen.

Die Villa, wo er und Sophie vor dem Attentat nächtigten, draußen vor der Stadt, in dem Kurort Ilidža, wird gerade restauriert. Das Zimmer soll später an Touristen vermietet werden. Doch die Nostalgie trügt. Princip? Franz Ferdinand? Um die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wird wohl in kaum einem anderen Land in Europa mehr gestritten als in Bosnien-Herzegowina selbst, das damals von Österreich-Ungarn okkupiert war. Bei dem Streit geht es aber gar nicht um den Ersten Weltkrieg, sondern um den Bosnien-Krieg (1992-1995). "Alle wichtigen politischen Konzepte orientieren sich hier an der Vergangenheit", erklärt der Historiker Dino Zulumović, der im Archiv der Stadt Sarajevo arbeitet. "Das Attentat ist das perfekte Werkzeug, um hier wieder einmal ethnischen Konflikt anzutreiben. Wir leben damit jeden Tag, und wir sind so müde davon", sagt er und kritisiert sich selbst dafür, dass viele Bosnier angesichts dieser jahrelangen Konflikte in tiefe Agonie versunken sind.

"Es geht nicht um den Ersten Weltkrieg, sondern um Geschichtsdiskurse an sich", meint auch der deutsch-französische Historiker Nicolas Moll, der seit vielen Jahren in Sarajevo lebt. "Der Jahrestag ist bloß ein Datum, an dem man nicht vorbei kann." Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist vor allem für die Republika Srpska (RS), den kleineren Landesteil Bosnien-Herzegowinas, und für Serbien wichtig. "Denn er passt in das gesamtserbische Geschichtsnarrativ von Märtyrertum und Sieg", sagt Moll, der Experte für bosnische Erinnerungspolitiken ist.

In der RS, die mit dem Abkommen von Dayton 1995 als Landesteil offiziell anerkannt wurde, wird gleich an drei von zwanzig "offiziellen Gedenktagen" an den Ersten Weltkrieg erinnert. Am 21. November wird der "Befreiung von Banja Luka" durch die serbische Armee 1918 gedacht. Am 27. Dezember wird daran erinnert, dass in einem Lager in Doboj tausende Serben von der österreichisch-ungarischen Armee interniert wurden und elend verstarben. Dabei spricht man in der RS vom "ersten Genozid gegen die Serben im 20. Jahrhundert". Tatsächlich ist der grausame Krieg der österreichisch-ungarischen Truppen gegen die serbische Zivilbevölkerung während des Ersten Weltkriegs in Österreich kaum bewusst. "Wann wenn nicht jetzt könnte Österreich Stellung dazu nehmen?", moniert auch Moll. "Das ist eine Gelegenheit die öffentliche Wahrnehmung dafür zu stärken."

In der RS wird für diese brutale Politik seitens Österreich-Ungarns auch der Begriff "ethnische Säuberungen" benutzt, der aus den 1990er Jahren stammt und eigentlich für organisierte Vertreibungen und Massenmorde (etwa den Genozid an den Muslimen) verwendet wurde. Die Begrifflichkeiten werden aber absichtlich in andere Zeiten transferiert. "Es geht hier darum, das dauernde Opfertum der Serben durch verschiedene historische Perioden zu betonen", erklärt Moll. "Das ist typisch für viele Nationalismen", meint er. "Es wird ein Geschichtsdiskurs geführt, wo gestern und heute eins sind, der Diskurs ist geprägt von Kontinuität und Permanenz. "Man sagt: was uns früher passiert ist, passiert uns heute auch wieder bzw. droht uns wieder zu passieren."

Neben dem Opfer-Motiv ist auch das Sieger-Motiv wichtig. Am 15. September wird in der RS des Durchbruchs der alliierten Armeen an der Saloniki-Front 1918 erinnert, bei der auch die serbische Armee beteiligt war und der als erster Schritt der Rückeroberung Serbiens gilt und damit der Beginn des Königreichs Jugoslawien (1918-1941) war. "Das Königreich kommt jetzt im serbischen Diskurs stärker hoch. "Der Tenor lautet: Serbien hat sich geopfert und den eigenen Nationalstaat aufgegeben und die anderen (also die Slowenen, Kroaten, Bosniaken) haben sich als undankbar erwiesen", erklärt Moll. Tatsächlich wird das erste Jugoslawien etwa in Kroatien oftmals als "Unterdrückungsmaschine" dargestellt. Während in der RS beide Weltkriege wie auch der Bosnienkrieg als "Befreiungskriege" erinnert werden.

"Die RS versucht mit dieser Rückprojektion historische Legitimität zu erlangen", erklärt Moll das Ansinnen dieser Erinnerungspolitik. Auch das Attentat von Princip wird in diese Erzählung hineingebastelt. So soll am Vidovdan, dem 28. Juni 2014 in Višegrad die Filmstadt Andrićgrad von Emir Kusturica zum Gedenken an den Schriftsteller Ivo Andrić eröffnet werden, mit tatkräftiger Unterstützung des starken Mannes der RS, Präsident Milorad Dodik. Für Dodik "projiziert" Andrićgrad geradezu die "Seele der Republika Srpska". Andrić, der von "unserer Sache von 1914", die "schrecklich und herrlich und groß" war, sprach, wird als Vordenker der RS dargestellt, obwohl er bereits zwanzig Jahre bevor der Quasi-Staat ausgedacht wurde, nämlich 1975, verstorben ist.

Die aktuelle politische Elite der RS lehnt den gemeinsamen Staat Bosnien-Herzegowina systematisch ab, deshalb wird jetzt auch Gavrilo Princip dafür instrumentalisiert, nach dem Straßen benannt werden. Während Princip in jugoslawischer Zeit wie ein "vorweggenommener Partisane" (©Moll) dargestellt wurde, wird er jetzt ethno-nationalisiert und als serbischer Held "aufgeladen". Dabei wird nicht nur außer Acht gelassen, dass in der Organisation Junges Bosnien auch Muslime und Kroaten Mitglieder waren, sondern die Dynamik verstärkt, wonach sich die Serben stärker mit ihm identifizieren, während ihn Bosniaken und Kroaten ablehnen, wie Moll erklärt.

Die Teilung von Bosnien-Herzegowina wird auch anlässlich des Gedenkjahres vorexerziert. Dodik hat angekündigt, überhaupt nicht an den Feierlichkeiten in Sarajevo teilzunehmen.  "Denn das könnte so gedeutet werden, als ob er den Gesamtstaat anerkennt", erklärt Moll. In Banja Luka, der Hauptstadt der RS, glaubt man ohnehin seit Monaten, dass in Sarajevo anlässlich von 1914/2014 etwas "Antiserbisches" vorbereitet wird. Franz Ferdinand gegen Princip quasi. Irgendjemand hat das Gerücht gestreut, die Stadt Sarajevo wolle wieder das Denkmal für den Thronfolger und Sophie aufstellen, das erst 1917 am Tatort errichtet wurde und bereits nach dem Ersten Weltkrieg in einem Museum verschwand.

Tatsächlich hat die Stadt Sarajevo niemals daran gedacht, wie Vizebürgermeister Ranko Čović dem STANDARD erzählt. "Wir haben niemals eine Initiative dazu erhalten, dass es wieder aufgestellt wird und es gab auch niemals unsererseits diesen Vorschlag." Abgesehen davon ist das Denkmal nicht mehr im Ganzen aufzutreiben, ein Teil befindet sich in Sarajevo ein anderer in Trebinje, einer Stadt in der RS. "Wir sind die Hauptstadt, es braucht hier einen Konsens", betont Čović. Insbesondere im multikulturellen Sarajevo ist man darauf bedacht, nicht zu provozieren. "Die Stadt Sarajevo sieht 2014 nicht als ein ein Erinnerungsevent, sondern als Beginn eines Jahrhunderts des Friedens", versucht der Vizebürgermeister die Diskussion zu entschärfen.

Das Zentrum von Sarajevo gehört zum zweiten Teil von Bosnien-Herzegowina, der Föderation, wo mehrheitlich Bosniaken und Kroaten leben. Für die Föderation spielt der Erste Weltkrieg keine wichtige Rolle, es gibt auch keine "offiziellen Gedenktage", die sich auf den Ersten Weltkrieg beziehen. Auch für die bosnischen Kroaten ist der Geschichtsdiskurs unwichtig, weil die Kroaten auf der Verliererseite standen.

In Sarajevo ist die österreichisch-ungarische Periode zudem von vielen positiv besetzt. "Wenn der Princip den Franz Ferdinand  nicht erschossen hätte, wäre das jetzt ein zweites Österreich und Du und ich würden ganz gleiche Lebensbedingungen haben", sagt etwa der Friseur Jasmin M., der in dem von den Österreichern erbauten Viertel Marijn Dvor seinen Laden hat. Die österreichisch-ungarische Periode wird hier als Zeit der Modernisierung gesehen, die negativen Seiten werden oft ausgeblendet.

Obwohl auch im bosniakischen Diskurs vom "Genozid" durch österreichische Truppen gesprochen wird. Denn auch im bosniakischen Narrativ spielt die "Opfernation" ganz ähnlich wie im serbischen Diskurs eine große Rolle. Mit dem Genozid ist aber nicht etwa die blutige Okkupation durch die Österreicher 1878 gemeint. Damals setzten sich zehntausende Bosnier gegen die Truppen der Monarchie zur Wehr, die als zivilisatorische "Friedens- und Kulturmission" auftraten, aber etwa die Bewohner der Stadt Maglaj nach einem Aufstand von Muslimen standrechtlich erschossen.

Die brutale Niederwerfung des Aufstandes wird Österreich aber nicht vorgeworfen, sondern die schrecklichen Raubzüge unter Prinz Eugen. 1697 griff er Sarajevo an und schrieb darauf in sein Tagebuch: "Man hat die Stadt völlig niedergebrannt und auch die ganze Umgebung. Unsere Trupps, die den Feind verfolgten, haben Beute eingebracht, und auch Frauen und Kinder."

Eigentlich ist Bosnien-Herzegowina ein wunderbarer Ort für die Reflexion österreichischer Geschichte. Und es gibt hier viele Leute, die sämtliche Perioden differenziert und mit Distanz betrachten. Etwas anderes ist jedoch der Diskurs in der Öffentlichkeit, der von ethno-nationalistischen Paradigmen und Figuren geprägt ist. "Wir sind im Bereich von ideologisierten Erinnerungsdiskursen. Da ist kein Platz für Komplexität und selbstkritische Reflexion", sagt Moll. Deshalb sei in Bosnien-Herzegowina weniger der Versuch etwas Einheitliches zu finden, als die verschiedenen Diskurse in Dialog zu bringen, realistisch und anstrebenswert. "Das fände ich auch im Sinne einer europäischen Erinnerungskultur", so Moll. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo/DER STANDARD, 30. 11. 2013)