Ein Geburtstagsgeschenk für den "Führer": Am 20. April 1941 - Adolf Hitler feierte seinen 52. Geburtstag - bekam er aus dem gerade besetzten Sarajevo eine steinerne Gedenktafel, die Gavrilo Princip gewidmet war. Das Foto war bis vor Kurzem Verschollen.

Foto: Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv

Als das im Fundus der Bayerischen Staatsbibliothek jahrzehntelang verschollene Foto in Serbien auf der Titelseite des Belgrader Magazins Vreme ans Tageslicht kam, schien es, als ob man gerade dieses historische Zeugnis die ganze Zeit über irgendwie vermisst hätte. Als Bindeglied zwischen den Weltkriegen. Als Ablichtung einer Sekunde, die eine Geschichte von epochaler Rache erzählt. Einer Geschichte, die auch in der Politik von heute eine Rolle spielt.

Man sieht Adolf Hitler, wie er im Führerhauptquartier Südost, seinem in der Steiermark stationierten Sonderzug, die Gedenktafel für den Attentäter von Sarajevo, Gavrilo Princip, begutachtet. Man schreibt den 20. April 1941. Die Tafel ist ein Geschenk zum 52. Geburtstag des Führers aus dem gerade besetzten Sarajevo. In kyrillischer Schrift steht darauf: "An dieser historischen Stätte kündigte Gavrilo Princip zum Sankt-Veits-Tag am 15./28. Juni 1914 die Freiheit an." Das Datum ist sowohl nach dem julianischen als auch nach dem gregorianischen Kalender bezeichnet. Was mag wohl dem zum Reichskanzler gewordenen Gefreiten damals durch den Kopf gegangenen sein?

Der Schriftsteller und Essayist Muharem Bazdulj schreibt in der Coverstory von Vreme unter dem Titel "Hitlers Rache am Jungen Bosnien (Mlada Bosna)": "Der Führer war glücklich, dass es seinem Heer gelungen war, ihm aus einem Teil der Welt, der nicht die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert wäre, das Einzige als Präsent zu bringen, das für ihn aus diesem getöteten Land von Bedeutung war: die Tafel, mit der man Gavrilo Princip ehrte. Die Toten soll man begraben, denkt Hitler, und diese Tafel, die man in Sarajevo errichtete, um die eigene Freiheit und die deutsche Erniedrigung zu feiern, ist jetzt der Grabstein für deren Land und deren Träume." Hitler ließ die Gedenktafel als Kriegstrophäe im Berliner Zeughaus (heute Deutsches Historisches Museum Berlin) ausstellen, das durch die Bombardierung der Alliierten schwer beschädigt wurde. Von da verschwindet jede Spur.

Bazdulj und Vreme-Redakteur Nebojsa Grujicic stießen zufällig auf dieses Foto und waren sich sofort dessen symbolischer Kraft bewusst, die eindeutiger ist, als die Deutungen und Missdeutungen der historischen Rolle von Gavrilo Princip, die oft vom Mythos überschattet wird, der sich je nach Nation und Ideologie unterscheidet.

"Bei den Meisten kommt es ohnehin auf die Vorstellung von Gavrilo Princip an, nicht auf historische Umstände und Fakten", sagt der Historiker Dr. Srdjan Pirivatric. Man schaue nostalgisch zurück auf die jugoslawischen Revolutionäre und Idealisten, auf Princip und Junges Bosnien, beziehungsweise spreche man von einer Zeit der großen Irrtümer.

Der Jugoslawe

Einerseits steht Princip in Serbien für Freiheitskampf. Den Patrioten als "Mörder", den Attentäter als "Terroristen" zu bezeichnen, ist für manche serbische Historiker und Politiker mehr als Gotteslästerung: Man wittert den Versuch einer historischen Revision. Auch weil Serbien das Joch der Bluttaten aus den 1990ern trägt.

In einer Region der unaufgearbeiteten Geschichte wird es andererseits kompliziert mit Princips Idealen: Er war ein jugoslawischer Revolutionär, stand für die Vereinigung der südslawischen (jugoslawischen) Völker und gegen die österreichisch-ungarische Okkupation. Sein jugoslawischer Idealismus steht im krassen Gegensatz zur Glorifizierung der eigenen Unabhängigkeit aller aus dem ehemaligen Jugoslawien im Krieg entstandenen Staaten.

In Jugoslawien betrachtete man Princip in einem anderen Kontext. "Die Abkehr von der gemeinsamen jugoslawischen Vergangenheit ist heutzutage zu einer Identitätsfrage geworden", sagt die Dramaturgin Borka Pavicevic.

Das Foto entstand, während Hitlers Truppen das aus der jugoslawischen Idee entstandene Königreich eroberten. Verspürt der Führer Schadenfreude, während ihm die Princip-Tafel zu Füßen liegt? Gedenkt er der kakanischen Weltordnung, während er seine eigene schafft? Ist der Tod ein Meister aus Deutschland, wie der Dichter Paul Celan schrieb? Rächt sich das wieder mächtige Deutschland heute abermals politisch an Serbien? Das Foto landet heute auf dem fruchtbaren Boden der national bedingten Streitsucht der Völker des Balkans, getränkt von zeitgenössischer Gestaltung von Mythen. (Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD, 30.11.2013)