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Manfried Rauchensteiner: "Franz Joseph hat während des ganzen Krieges das Wort Frieden nicht in den Mund genommen."

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Für die "Heldensöhne": Kriegerdenkmal der Gemeinde Mühldorf bei Feldbach.

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STANDARD: Was am Europa von 1914 auffällt, ist dieses unglaubliche Glücksgefühl, jetzt ist endlich der große Krieg da.

Rauchensteiner: Da scheint es einen Gleichklang gegeben zu haben - Erlösung durch den Krieg. Wir wissen von Belgrad, Paris, Wien, Budapest, Berlin, London, dass begeisterte Massen durch die Straßen ziehen. Aber auch die Künstler, die Intellektuellen. Das Bürgertum generell hat eine gewisse Affinität zum Krieg - Krieg ist etwas, was man als bewältigbar gesehen hat. Die Arbeiterschaft - sie wünscht sich als Ergebnis des Kriegs eine Verbesserung ihrer Lage. Die Bauern sind sehr, sehr kaisertreu, sie sind gewohnt, das zu tun, was die Obrigkeit anschafft. Österreich-Ungarn ist einzigartig: Die Nationalitäten sind durchaus mit dem Krieg einverstanden, weil sie meinen, am Ende würde für sie eine markante Verbesserung herausschauen.

STANDARD: Schon zu Weihnachten 1914 waren wir eigentlich sowohl an der russischen Front als auch auf dem Balkan gescheitert. Aber von Frieden keine Rede.

Rauchensteiner: Österreich-Ungarn war Ende 1914 streng genommen nicht mehr kriegsfähig. Die Verluste von einer Million Menschen bis dahin, die haben merkwürdigerweise niemanden geschockt. Es hat sich niemand die Frage gestellt, wie kommen wir aus diesem Krieg wieder heraus? Franz Joseph hat während des ganzen Kriegs das Wort Frieden nicht in den Mund genommen.

STANDARD: Sie arbeiten in Ihrem Buch "Der Erste Weltkrieg" heraus, dass Franz Joseph den Krieg wollte.

Rauchensteiner: Es gab auch keine Foren, wo man hätte diskutieren können. Man hat den Monarchen nie direkt infrage gestellt.

STANDARD: Waren Österreich und Deutschland hauptschuldig?

Rauchensteiner: Ich tu mir schwer, den Begriff Schuld auf 1914 anzuwenden. Natürlich hat Österreich für den Krieg, den es gegen Serbien führen wollte, die Verantwortung - wenn ich einmal ausblende, dass Serbien alles tun wollte, um Österreich Provinzen zu entreißen und ein Großserbien zu schaffen. Das Fatale war, dass Bündnismechanismen in Gang kamen, die aus einem Sicherheitsbedürfnis geschaffen wurden, aber dann zu einer globalen Auseinandersetzung führten.

STANDARD: Wie wirkt 1914 nach? Die endgültige Abkehr vom Krieg als Mittel der Politik zumindest in West- und Mitteleuropa hat erst der Zweite Weltkrieg gebracht.

Rauchensteiner: Das mit der Abkehr vom Krieg ist die optimistische Sicht. Wir haben ja noch den Jugoslawienkrieg vor 20 Jahren. Reden wir 2150 weiter. Der Erste und der Zweite Weltkrieg haben natürlich einen Zusammenhang, aber ich gehöre zu denen, die den Ersten Weltkrieg nicht auf die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts reduziert sehen möchten. Er ist eine Katastrophe für sich.

STANDARD: Wir haben heute wieder ein Aufleben des Nationalismus, auch in EU-Staaten wie Ungarn, Bulgarien, Frankreich, aber auch bei uns. Steckt das in den Genen?

Rauchensteiner: Der heute gar nicht so schwache Nationalismus ist eher das Gefühl, dass nicht zur Kenntnis genommen wird, was im positiven Sinn Nation ausmacht. Man soll diese Tendenzen beobachten, aber jedem die Möglichkeit geben, davon wieder abzurücken. Doch wenn z. B. ständig in Ungarn die Konturen vom alten Königreich Ungarn als Autoaufkleber aufscheinen, da kann man nur froh sein, dass die Europäische Union so leistungsfähig ist, um das zu verkraften und manches zu überlagern. Leider stockt der Ausbau der EU.

STANDARD: Stichwort EU. Hätte es die EU 1914 gegeben - ich weiß, das sind unzulässige Fragen -, hätte es so ein überwölbendes System gegeben, wo man sich einfach trifft und die Sache ausdiskutiert, wäre es anders gekommen?

Rauchensteiner: Es gab auch 1914 eine Konferenzdiplomatie, in Ansätzen war das sogenannte europäische Konzert ja da, aber das funktionierte nicht. Die Briten hätten 1914 ja auch noch einen militärischen Schritt Österreichs akzeptiert, Belgrad zu besetzen, als Faustpfand für Verhandlungen. Da können wir heute nur Hoffnung artikulieren: Die Institution EU ist da, die Bereitschaft ist da, es gibt keine Konflikte um Territorien. Aber was es gibt: dass man sich bevormundet fühlt oder bevormunden will. Man stelle sich vor, die Griechen sagen irgendwann: "Uns reicht's." Oder eine Volksabstimmung in Großbritannien geht gegen die EU aus. Es kann sehr wohl politische Gruppierungen geben, die in Kurzschlusshandlungen Zuflucht nehmen, auch zum eigenen Schaden - dann ist die Frage, wie geht's weiter? (Hans Rauscher/DER STANDARD, 30.11.2013)