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Die aktuelle Austrian HIV Cohort Study (AHIVCOS) vom Jänner 2013 geht von rund 5.000 HIV-Infizierten in Österreich aus. Schätzungen zufolge dürfte die Anzahl der Betroffenen aber eher zwischen 7.500 und 8.500 liegen.

Foto: epa/GUSTAVO AMADOR

Der heute 45-jährige Peter M. erfuhr vor 23 Jahren, dass er das HI-Virus in sich trägt. Während viele Betroffene nicht selten mit Ausgrenzung und Diskrimierung zu kämpfen haben, verlief das Leben von Peter M. auch nach dem positiven Testergebnis erstaunlich "normal".

derStandard.at: Wann und wie haben Sie erfahren, dass Sie "HIV-positiv" sind?

Peter M.: Das war im Dezember 1990, und mehr oder weniger reiner Zufall. Ich habe mich davor immer wieder mal testen lassen - auch 1989, wo mir bewusst war, dass ich mich hätte anstecken können, weil ich im Suff nicht aufgepasst hatte. Ich dürfte damals den Test wahrscheinlich doch ein paar Tage zu früh gemacht haben, denn das Ergebnis war negativ. Danach kann ich mich an keine Situation erinnern, bei der ich mich infizieren hätte können. 1990 lernte ich meinen Partner kennen. Er ist etwas "hypochondrisch" und so versprach ich ihm einen Test zu machen - quasi zum Beruhigen, denn ich war mir ziemlich sicher, dass der Test negativ sein würde. Schließlich bekam ich dann doch ein positives Ergebnis serviert.

derStandard.at: Was ist Ihnen nach der Diagnose durch den Kopf gegangen? Können Sie sich noch daran erinnern?

Peter M.: Es war für mich nicht die große Katastrophe - zumindest keineswegs so, dass ich heulend wie im Film "Philadelphia" dagestanden wäre und eine gewaltige Krise bekommen hätte. Ich war zunächst vielmehr perplex. Bei der Aids-Hilfe, wo ich mich testen ließ, hatte vorher alles immer relativ lange gedauert - beispielsweise das Warten auf das Testergebnis. An diesem Tag war das anders: Ich wurde sofort drangenommen und hatte dann auch gleich ein Gespräch mit dem dortigen Psychologen. Das hätte ich eigentlich nicht gebraucht, denn ich war überhaupt nicht geschockt. Ich dachte mir nur eines: So, jetzt mach das Beste daraus. Mir war aber auch von Anfang an klar, dass ich mit jedem "brechen" würde, der mit meiner HIV-Infektion ein Problem hat. Das war aber zum Glück nie notwendig.

derStandard.at: In den 1980er-, aber auch noch Anfang der 1990er-Jahre dominierte - zumindest medial - das Bild, dass HIV-Infizierte "Todgeweihte" sind. Haben Sie nach Ihrer Diagnose auch ans Sterben gedacht?

Peter M.: Nein, nie.

derStandard.at: Wurde nach der Diagnose mit der Therapie begonnen?

Peter M.: Nein, ich hatte ja noch immer sehr gute Blutwerte. Ich nahm auf Anraten meines Arztes anfänglich nur eine Art Nahrungsergänzungsmittel ein, und war lange auch immer gesünder und fitter als die sogenannte "HIV-negative Umgebung". Innerhalb von fünf Jahren hatte ich einmal eine kurze "Sommergrippe" und eine Bronchitis. Das war 1995.

derStandard.at: Wann startete letztendlich die antiretrovirale Therapie?

Peter M.: Im Herbst 1995, als sich die Blutwerte deutlich verschlechterten. Zu dieser Zeit probierte ich auch Naturheilmittel aus - das war aber ein ziemlicher Murks und hat überhaupt nichts gebracht. Damals war es schon möglich - neben Helferzellen und Antikörpern - auch die "Virus-Last" zu bestimmen. Nach meiner letzten Blutabnahme stellte sich heraus, dass ich bei diesem "Virus-Load" einen extrem hohen Wert hatte.

Bevor ich den Blutbefund erhielt, lebte ich aber schon in Frankreich, wo mir ein Job angeboten worden war. Anfänglich nahm ich - sozusagen prophylaktisch - ein Medikament gegen PCP (Pneumocystis-Pneumonie; Anm.). Die schlimmste Nebenwirkung war, dass ich relativ "willkürlich" stark zu bluten begann - etwa wenn ich mich wo aufgekratzt hatte. Ich bin sofort ins Krankenhaus und das war auch der Beginn der Kombinationstherapie.

derStandard.at: Wie ist es danach weitergegangen?

Peter M.: Als ich 1996 zurück nach Österreich bin, wurde die Therapie fortgesetzt. Ich bekam damals "Crixivan". Darauf reagierte mein Körper sehr gut, so dass die "Virus-Last" innerhalb kürzester Zeit unter die Nachweisgrenze gesunken ist. Auch die CD4-Zellen (T-Lymphozyten bzw. Helferzellen; Anm.) haben sich langsam wieder aufgebaut. Nebenwirkungen verspürte ich anfänglich auch keine. Das sollte aber nicht so bleiben, denn 1998 musste ich das erste Mal wegen Nierensteine behandelt werden. Insgesamt war ich dreimal wegen dieser Ablagerungen in den Nieren im AKH.

Andere Begleiterscheinungen, die immer wieder im Zusammenhang mit der antiretroviralen Therapie genannt werden - wie etwa die Lypodystrophie (Veränderung des Unterhautfettgewebes; Anm.) - hatte ich zum Glück nicht. Seit 2001 nehme ich die gleiche Medikation, eine Kombination aus "Combivir" und "Stocrin". - Bis heute ist mein "Virus-Load" unter der Nachweisgrenze, aber auch die CD4-Zellzahl liegt mit 700 bis 900 im Normbereich.

derStandard.at: Haben Sie momentan mit Nebenwirkungen durch die Medikamente zu kämpfen?

Peter M.: Zumindest keine, die ich spüre oder sehe. Doch ich habe ziemlich hohe Cholesterin-Werte, obwohl ich sehr wenig Alkohol trinke und auch nicht extrem fett esse.

derStandard.at: Inwieweit nahm die Diagnose Einfluss auf Ihre Lebensweise?

Peter M.: In der Anfangszeit - ohne Medikation - hab ich mit dem Rauchen aufgehört. Mein Körperbewusstsein änderte sich auch dahingehend, dass ich genauer darauf achtete, was mir gut und was mir weniger gut tut. Aber mein Leben grundlegend umgestellt habe ich überhaupt nicht.

derStandard.at: Sie leben seit 23 Jahren mit Ihrem Partner zusammen? Wie hat er darauf reagiert, dass Sie "HIV-positiv" sind?

Peter M.: Anders, als ich erwartet hatte. Ich dachte mir eigentlich "So, jetzt gibt es einen Korb", aber das Gegenteil war der Fall. Ich bin auch nicht mit Samthandschuhen angefasst worden. Es ist einfach ganz normal weitergegangen - so wie es meiner Meinung nach sein soll. Was Diskriminierung oder negative Reaktionen in meinem sozialen Umfeld angeht, dürfte ich ziemlich auf die "Butterseite" gefallen sein. Ich kann da - Gott sei Dank - keine Horrorgeschichten erzählen. Es gab niemanden, der sich abgewendet hätte - weder im Familien- noch im Freundeskreis.

derStandard.at: Wann haben Sie Ihren Angehörigen von der HIV-Infektion erzählt?

Peter M.: Gleich, das ist "zack-zack" gegangen. Von den Leuten, die mir wichtig sind, hatte keiner ein Problem mit meiner HIV-Infektion. Aber ich kenne natürlich Betroffene, die sehr wohl diskriminiert und ausgegrenzt wurden und werden. Ich kann aber nicht sagen, ob das die Norm ist, und ob ich da eher zu einer Minderheit gehöre.

derStandard.at: Wie haben Sie den persönlichen Umgang des medizinischen Personals mit Ihnen als HIV-Patient wahrgenommen?

Peter M.: Ich war immer zufrieden. Es gab keinen Arzt oder niemanden vom krankenpflegenden Personal, der sich in irgendeiner Art im Ton vergriffen oder komisch verhalten hätte. Es fühlte sich allerdings sehr eigenartig an als ich das erste Mal wegen einer Nierenkolik in der Notaufnahme im AKH war und auf meinem Akt - den ich immer mitschleppen musste - riesengroß mit gelben Lettern das Wort "infektiös" stand. Da haben die Leute schon geschaut und wahrscheinlich gedacht: "Na, was hat denn der?"

derStandard.at: Weiß Ihr Arbeitgeber, dass Sie "HIV-positiv" sind?

Peter M.: Mein Vorgesetzter weiß es nicht, glaube ich zumindest. Ein paar Kollegen habe ich davon erzählt, der Großteil hat aber keine Ahnung. Es ist mir aber ziemlich egal, ob darüber geredet wird oder nicht.

Ich arbeitete vor langer Zeit im sozialpädagogischen Bereich - da kam es zu einer Situation, wo mir das Risiko eine möglichen Ansteckung bewusst wurde und dieses Risiko wollte ich keinesfalls eingehen. Während der Arbeit hatte ich mich geschnitten und aus der Wunde geblutet. Deshalb informierte ich meinen damaligen Arbeitgeber über meine HIV-Infektion. Letztendlich sind wir beide zu dem Entschluss gelangt, dass es besser ist, wenn ich den Job aufgebe.

derStandard.at: Gibt es etwas, das Sie HIV-Betroffenen raten würden?

Peter M.: Ich kann hier keine Empfehlung abgeben, weil jeder seine eigene Geschichte und individuellen Bedürfnisse hat. - Es ist nicht so, dass ich mich davor jetzt drücken möchte, aber ich will nicht jedem meine Erfahrungen aufzwingen.

Was ich raten kann ist, sich mit anderen zu vernetzen: Es gibt irrsinnig viele positive Geschichten - nicht nur den medial aufbereiteten Horror - und genügend Leute, die durch ihre HIV-Infektion sehr wohl stärker geworden und "gewachsen" sind.

Vielleicht kann sich ja jemand an meiner Geschichte orientieren, weil er damit etwas anfangen kann. Ich weiß aber nicht, wie ich mich verhalten hätte, wenn alles anders verlaufen wäre. Damals spürte ich jedenfalls in mir: "Mich kann niemand verletzen - und sollte jemand mit meiner HIV-Diagnose nicht umgehen können, dann ist es sein Problem." Möglicherweise hat mein Umfeld aber auch gespürt, dass ich mir von niemanden Akzeptanz erhofft habe. - Ich bin eben keiner, der sich die Gnade der anderen erbettelt. (Günther Brandstetter, derStandard.at, 30.11.2013)