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Der neue "Cannabis-Redakteur" will bereits genügend Erfahrungen gesammelt haben, um das Phänomen "Gras" glaubwürdig schildern zu können.

Foto: REUTERS/Rick Wilking

Washington - Der Sketch lag auf der Hand. "Bei der Denver Post suchen sie einen Marihuana-Redakteur", las Cecily Strong, fein lächelnd vor bunter Weltkarte im fiktiven Nachrichtenstudio von Saturday Night Live sitzend, vom Teleprompter. Es folgte eine kurze Kunstpause, dann die Pointe: "Sie haben einen. Sie suchen gerade nach ihm."

Es war klar, dass die Satiriker der Late-Night-Shows sie aufgabeln würden, die journalistische Premiere. Zum ersten Mal in der amerikanischen Zeitungsgeschichte hat eine Redaktion ein Ressort für das Rauschmittel geschaffen. Ricardo Baca wird sich um nichts anderes kümmern als um die Frage, was die Legalisierung des Stoffs fürs Alltagsleben in Colorado bedeutet.

Aufstrebende Cannabis-Kultur

"An vorderster Front", kündigt er mit einem Hang zum Martialischen an, wird er stehen, Läden bewerten, Pflanzer interviewen und, wenn sie ihn denn hereinlassen, auch die privaten Kifferrunden der High Society. Professionell und objektiv über die aufstrebende Cannabis-Kultur zu berichten, das sei das Ziel, fasst es Baca zusammen.

Es ist gut ein Jahr her, da beschloss der Bundesstaat am Fuße der Rocky Mountains, in einem Aufwasch mit der Wahl des US-Präsidenten, dem Genuss von Marihuana nichts mehr in den Weg zu stellen. Ab Januar darf jeder, der mindestens 21 Jahre alt ist, das Zeug in staatlich lizenzierten Läden kaufen – nur der Pazifikstaat Washington handhabt es ähnlich liberal. 

730 Shops

Um eine Vorstellung von den Dimensionen zu bekommen: 730 Shops gibt es bereits, ein Drittel davon in Denver, der Mile High City, wie sich die Stadt (wegen ihrer Höhenlage) nennt. Die Branche wird wachsen, vermutlich rasant. Kein Wunder, dass Baca prophezeit, man werde demnächst sogar Amsterdam in den Schatten stellen: "Die Droge wird hier legaler sein als irgendwo sonst in der Welt." Für Kevin Dale, den Nachrichtenchef der Denver Post, ist es die wichtigste Story des kommenden Jahres. Und ein Journalist, der die Marihuana-Revolution aus allen Blickwinkeln beleuchtet, teils auf einer speziellen Website, nur zeitgemäß.

Das wirft natürlich die Frage auf, welche Qualifikation jemand haben muss, um Cannabis-Redakteur werden zu können. Noch so eine Frage, auf die Amerikas Comedy-Stars mit süffisanter Miene flapsige Antworten geben. "Gesucht wird jemand, der höchst unmotiviert ist und jeglichen Ehrgeiz auf jeglichem Gebiet vermissen lässt", kalauert Jay Leno, der kalifornische Altmeister. 

Personalchefin will testen

Ricardo Baca hat sich viel Zeit genommen, um Leno mit gebotenem Ernst – und seitenlangen Antworten - in die Schranken zu weisen. Warum er sich eigne? Seit 15 Jahren, erklärt er geduldig, berichte er über Rockkonzerte. Da sitze man hinterher schon mal zusammen mit Musikern, sei es in New York, Los Angeles oder Austin. Jedenfalls habe er genügend Erfahrungen gesammelt, um das Phänomen "Gras" glaubwürdig schildern zu können. Im Übrigen: "Du musst ja auch kein Heroinsüchtiger sein, um Geschichten mit Tiefgang über Heroin schreiben zu können".

Damit kein falscher Eindruck entsteht, hat die Personalchefin der Denver Post den Lesern die hausinternen Regeln erklärt, in einer Sprache, bei der man glaubt, den Amtsschimmel wiehern zu hören. "Das Unternehmen wird Tests veranlassen, wenn es den Anschein hat, dass jemand in seiner Arbeit beeinträchtigt ist", teilt Missy Miller hochkorrekt mit. Wie man das erkenne? Unter anderem an der "Unfähigkeit, eine Aufgabe zu Ende zu bringen". (Frank Herrmann aus Washington, derStandard.at, 4.12.2013)