In Deutschland zerbröseln die Eisenbahnbrücken. Von Wirtschaftsforschern wird ein Investitionsschub für das Bahnnetz gefordert, für die gesamte Verkehrsinfrastruktur sei ein Investitionspaket von jährlich 75 Milliarden Euro notwendig. Der Spiegel untermalt die Malaise mit der Headline "Deutschland spart sich kaputt". Mit Respekt blickt man aus dem Nachbarland nach Österreich, das bei den Infrastrukturinvestitionen in die Bahn an der Spitze der EU-Länder liegt.

Bizarre Theorien

Und wie läuft die Debatte hierzulande? Wir tun uns eigentümlich schwer, eine vernünftige Diskussion über Sinn und Umfang öffentlicher Investitionen zu führen. Bizarre Verschwörungstheorien ersetzen Analyse und Perspektive - es artikuliert sich eine Mischung aus "No Future" -Ideologie und "Ösi-Tea-Party" in Lachsrosa.

Klar ist aber, dass ein leistungsfähiger Wirtschaftsstandort exzellente Bildungseinrichtungen, die Förderung von Innovationen und eben auch eine moderne Infrastruktur - egal ob im Bereich Telekom, Energie oder Verkehr - braucht. Es ist ein Sowohl-als-auch und kein Entweder-oder.

Investitionen gefragt

Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten das Bahnnetz, insbesondere an der Südstrecke, klar unterinvestiert war, findet seit Ende der 2000er-Jahre der notwendige Aufholprozess statt. Mehr als 12 Milliarden Euro fließen in den kommenden fünf Jahren in den Ausbau der Bahninfrastruktur. Natürlich verlangt ein derartiges Investitionsprogramm nach einer öffentlichen Debatte. Aber bitte auf Basis von Fakten.

Eine Studie bezüglich des "Ökonomischen Fußabdrucks des Systems Bahn", erstellt vom Ecomomica-Institut für Wirtschafsforschung im Auftrag der Industriellenvereinigung, beschreibt die Wirkungszusammenhänge: 54.000 Menschen finden im Bahnsektor Beschäftigung und erwirtschaften einen Umsatz von 8,4 Milliarden Euro, schaffen 4,1 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung.

Der Ex-US-Finanzminister und Harvard-Professor Larry Summers prophezeite jüngst den Industrieländern Jahre ohne Wachstum, weil zu wenig investiert wird. Gegensteuern ist also lebenswichtig. Die ÖBB-Infrastrukturinvestitionen von jährlich rund zwei Milliarden Euro schaffen und sichern Jahr für Jahr 24.000 Arbeitsplätze und tragen 0,6 Prozent zum heimischen Bruttoinlandsprodukt bei. Das entspricht exakt dem Wert des BIP-Plus im Jahr 2012. Ohne ÖBB-Investitionen wäre die Wirtschaft im Vorjahr also stagniert. Und 2013? Hier schwanken die letzten Wachstumsprognosen zwischen 0,4 und 0,5 Prozent. Das Streichen der ÖBB-Infrastrukturinvestitionen hieße also für heuer Rezession.

Ins selbe Horn blasen auch namhafte Ökonomen wie Bernhard Felderer oder Christian Helmenstein. Felderer empfiehlt, an den Investitionsplänen der Österreichischen Bundesbahnen festzuhalten und betont in einem Gastkommentar in der Presse, dass von einer Unfinanzierbarkeit keine Rede sein kann. Wie kommen die beiden eigentlich dazu, sich von Herrn Fally als "Beutegemeinschaft" (im Standard vom 2. Dezember 2013) beschimpfen zu lassen?

Rund 100 Bahnhöfe werden derzeit in Österreich gebaut oder umgebaut. Nicht nur in Wien und Salzburg, auch in Leibnitz, Bruck an der Mur und Attnang-Puchheim, verändert kluges Investieren das Bahnfahren. 80 Prozent dieser Investitionen gehen vor Ort an Klein- und Mittelbetriebe, und es entstehen Werte, die den Wirtschaftsstandort stärker machen.

Die immer wieder kritisierten Tunnelbauten sind keine Monumente, sondern Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist der Nutzen für unsere Kundinnen und Kunden und die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn. Auf der neuen Weststrecke der ÖBB sind die Bahnreisenden in knapp zwei Stunden 20 von Wien aus in Salzburg und unter vier Stunden in München. Ohne insgesamt acht Tunnel zwischen Wien und Sankt Pölten wäre das unmöglich. Das Gleiche gilt für die Strecke in Richtung Süden: Ohne den Semmering- und den Koralmtunnel ist es undenkbar, in weniger als zwei Stunden nach Graz und unter drei Stunden nach Klagenfurt zu fahren.

Natürlich stärkt moderne Infrastruktur auch den Güterverkehr. Die Semmeringstrecke ist heute nach dem Brenner die wichtigste alpenquerende Trasse. Die internationale Arbeitsteilung wird ebenso weiter zunehmen wie die Verkehrsströme, die Anbindung der Seehäfen an die europäischen Verbraucherzentren wird die Straße nicht leisten können. Zweifeln kann daran nur, wer an die ewige Wirtschaftskrise glaubt.

Und von wegen, es würde nur der Fernverkehr profitieren: Die neue Infrastruktur verkürzt auch für tausende Pendler die Fahrzeit - mit Nahverkehrszügen, die bis zu 200 km/h fahren und mit effizienten Taktknoten.

Privater Flop

Überall auf der Welt wird Infrastruktur mit öffentlichen Mitteln gebaut. Mit dem Eurotunnel ist der Versuch, es in Europa mit privater Finanzierung zu probieren, fulminant gescheitert. Trotz eines bespiellosen Marktanteils der Bahn von 80 Prozent auf der Strecke zwischen Paris und London handelt die Geschichte des Eurotunnels von Dauerkrise, Milliardenabschreibungen und Verlusten für die Investoren.

Bahn ist ein Gemeinschaftsprojekt: Es ermöglicht Chancen der Teilhabe am öffentlichen, sozialen und wirtschaftlichen Leben. Wie viel Geld dafür zur Verfügung gestellt wird, ist eine gesellschaftliche, eine politische Entscheidung. Gerade Investitionen in die Bahninfrastruktur lassen sich niemals unter ausschließlich betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten verstehen.

Finanzkonstruktionen

Dementsprechend ist die Vermutung, dass anderswo - in beliebiger Aufzählung: in der Schweiz, in Deutschland, in Schweden etc. - Bahninfrastrukturunternehmen Gewinne im engeren betriebswirtschaftlichen Sinn schreiben, unsinnig. Sie finanzieren die Investitionen bloß nicht über die Bilanzen der Bahnen, sondern in eigens dafür geschaffenen Finanzkonstruktionen.

Die laufenden Investitionen bringen dem österreichischen Bahnnetz einen Jahrhundertsprung in die Zukunft. Wer glaubt, dass wir dem heimischen Standort weiterhin k. u. k. Standards zumuten können, dem sei ein Blick in die Welt da draußen empfohlen. (Christian Kern, DER STANDARD, 5.12.2013)