Bild nicht mehr verfügbar.
Mädchen trauen sich in Mathematik wenig zu.
Die Schülerin hat einen Einser für die Mathematik-Schularbeit bekommen. "Da hast du aber fleißig gelernt", lobt die Lehrerin. Dieses Lob ist laut Bildungsexperten ein Fehler. Noch immer gilt die Vorstellung, dass vor allem Buben eine Begabung für Mathematik haben. Wenn Mädchen gut rechnen können, dann nur deshalb, weil sie fleißig sind, und nicht, weil sie es einfach gut können. Thomas Götz, Professor für empirische Bildungsforschung an der Universität Konstanz, warnt vor diesen Stereotypen. Mit dem vom Lehrer ausgesprochenen Lob würden diese Sterotype auch in der Schulklasse untermauert, sagt Götz. Sie sind wohl einer der Gründe dafür, dass etwa bei der Pisa-Studie in Österreich Mädchen in Mathematik wesentlich schlechter abgeschnitten haben als Buben.
Insgesamt liegen in Mathematik 22 Punkte zwischen Buben und Mädchen, das entspricht etwa einem halben Schuljahr. Beim Lesen wiederum sind die Schülerinnen um 37 Punkte besser als die Schüler. In Österreich hat der Abstand zwischen Burschen und Mädchen in Mathematik im Vergleich zu 2003 zudem stark zugenommen. Zwar ist der Anstieg wahrscheinlich nicht so groß wie anfangs befürchtet. Denn 2003 war die Stichprobe verzerrt, es wurden zu viele Mädchen in Gymnasien getestet (siehe Wissen).
Mädchen schätzen sich schlecht ein
"Mädchen schätzen sich selbst generell schlecht in Mathematik ein", erklärt Bildungsforscher Götz im Gespräch mit derStandard.at. Dadurch dass Eltern und Lehrer ihnen oft vermitteln, dass von ihnen in Mathematik weniger erwartet wird, würden sie sich auch weniger zutrauen. Beim Lesen wiederum sind die Mädchen oft besser, weil ihnen mehr Sprachbegabung zugesagt wird. Studien haben allerdings ergeben, dass diese Unterschiede hauptsächlich auf die Sozialisation und Stereotype zurückgehen.
Götz und seine Kollegen haben untersucht, ob Mädchen tatsächlich mehr Angst vor Mathematik haben. Ihr Ergebnis: Mädchen denken nur, dass sie mehr Angst haben. Wenn man sie nämlich direkt während eines Testes oder einer Schularbeit befragt, haben sie genau gleich viel Angst wie ihre männlichen Kollegen. Nur bei der generellen Frage, unabhängig vom direkten Unterricht, schätzen sie sich selbst viel schlechter ein, als dies die Buben tun.
Fleiß und Begabung
"Die gesamte Gesellschaft müsste klarer kommunizieren, dass die Stereotype schlichtweg nicht stimmen", sagt Götz. So sollten etwa Lehrkräfte Mädchen vermitteln, dass sie ihre Note aufgrund ihrer Begabung für Mathematik bekommen haben.
Genau das wird Lehrerinnen und Lehrern beim Projekt "Reflect" vermittelt, das unter der Leitung der Bildungspsychologinnen Christiane Spiel und Barbara Schober von der Universität Wien von 2010 bis 2012 durchgeführt wurde. 38 Lehrer von 634 Schülern lernten dabei, Stereotype abzubauen. "Die Lehrerinnen und Lehrer lernen, welche Stereotype es gibt und wie sie diese bei sich selbst vermeiden können", erklärt Institutsleiterin und Bildungswissenschafterin Christiane Spiel im Gespräch mit derStandard.at.
Reflektieren lernen
So sollen die Lehrer im Unterricht einerseits explizit das Thema Geschlecht ansprechen, indem sie zum Beispiel die Schüler auffordern, eine Person zu zeichnen, die typischerweise einen technischen Beruf hat. Wenn dann hauptsächlich Männer gezeichnet werden, kann man mit den Schülern darüber diskutieren, warum sie dieses Bild haben.
Aber auch die Lehrer selbst sollen lernen, wie sie weder Mädchen noch Buben benachteiligen können. In Studien wurde zum Beispiel gezeigt, dass Lehrer im Mathematik- und Physikunterricht hauptsächlich Burschen zu Wort kommen lassen. Auch Spiel warnt davor, Mädchen bei guten Noten für ihren Fleiß zu loben.
Das Projekt "Reflect" hat Früchte getragen. Vergleiche mit Lehrern und Schülern, die nicht daran teilgenommen haben, haben gezeigt, dass die Stereotype abgebaut wurden. Die Projektleiter empfehlen deshalb in ihrem Abschlussbericht, diese Trainingselemente auch in die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern einzubinden.
Einstein und die Note 6
Die Vorstellung, dass Mädchen schlecht in Mathematik sind, hält sich hartnäckig. "Bestimmte Einstellungen aus den Köpfen zu bekommen ist sehr schwer", erklärt der deutsche Bildungsforscher Götz. Heute würden zum Beispiel immer noch viele glauben, dass Einstein schlechte Noten in Mathematik hatte. Dabei hatte ein Biograf nicht gewusst, dass im Schweizer Schulsystem die Note 6 die beste war. (Lisa Aigner, derStandard.at, 6.12.2013)