Zwei Monate nach der Nationalratswahl. Die vermutlich neue alte Regierung, seit Wochen hinter gepolsterten Türen verschanzt, lässt vom angekündigten neuen Stil in der Politik wenig erahnen. "Dank" eines Schweigegelübdes erkennt man vorläufig vor allem erhebliche Schwierigkeiten mit den Grundrechnungsarten und angewandte Wählertäuschung beim Budget.
Dazu wird unverdrossen der Weg beschritten, verbrauchte Politiker mit neu erfundenen, bestens dotierten Jobs zu versorgen. Kein Wunder, dass dadurch der Unmut im Land wächst. Der Glaube an einen großen Wurf beim Koalitionsabkommen will sowieso bei niemand so recht aufkommen, und die logische Konsequenz daraus ist, dass "Rot-Schwarz", würde jetzt noch einmal gewählt, die im September knapp verteidigte Mehrheit inzwischen verloren hätte.
Gute Zeiten für die Opposition, sollte man meinen. Na gut, das Team Stronach ist damit beschäftigt, sich unter schwindendem Interesse der Öffentlichkeit Stück für Stück aufzulösen. Aber sonst? FPÖ und Grüne haben von hohem Niveau noch einmal leicht zugelegt, und die Neos haben sich seit September in Umfragen glatt noch einmal verdoppelt. Das gibt Schwung, und der kann genutzt werden, von Beginn an dringend notwendigen Reformdruck zu entwickeln.
Aber so weit sind wir offen- bar noch nicht, denn auch auf der Oppositionsbank muss das Wahlergebnis erst verdaut werden. Die Grünen, offiziell stolz auf "das historisch beste" Wahlergebnis, müssen sich vom Schreck erholen, alle ihre Wahlziele verfehlt zu haben. Noch mehr schreckt sie, durch die lange unterschätzten Neos erstmals Konkurrenz auf ureigenen Themenfeldern erhalten zu haben: Bildung, Demokratie, Partizipation, Transparenz und Anti-Korruption, Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung.
So geht man vom Nationalratswahlkampf fast nahtlos über in den EU-Wahlkampf. Durchaus, wie Nina Weissensteiner vor ein paar Tagen im Standard völlig richtig analysiert hat, mit der Angst, dass ein erneuter Erfolg der Neos das zweite grüne Mandat im Europaparlament kosten könnte.
Mit "Attacken auf Pink" meint man dem vorzubeugen. Kandidaten und Kandidatinnen für einen Platz auf der grünen EU-Liste, aber auch einige Abgeordnete im Hohen Haus am Ring überbieten einander derzeit darin, oberflächliche und populistische Sager über die Neos zu liefern.
An sich könnte das den Neos nur recht sein, mit ihren Vorwürfen punkten die Grünen ohnehin nur bei ihrer engsten grünen Kernwählerschicht, bei den (potenziellen) Anhängern der Neos führen grüne "Oligarchensager" eher zu Kopfschütteln. Denn die politische Realität der neuen Partei ist geprägt von gemeinsamen Grundwerten und von einem partizipativen Politikverständnis, das für eine "Oligarchenhörigkeit" keinen Spielraum lässt. Gerade für junge Menschen ein anziehendes Modell. Hier kann man an der Gestaltung der Politik aktiv mitwirken, ohne sich vorher jahrelang durch Parteistrukturen gedient zu haben. Die Prozesse sind dynamisch, offen und transparent. Für die inzwischen etwas in die Jahre gekommene grüne "Basisdemokratie", inzwischen eher eine reine Funktionärsdemokratie, ist das durchaus eine Herausforderung und Einladung, sich weiterzuentwickeln und zu öffnen.
Statt den schlechten Stil der alten Parteien zu kopieren und einander madig zu machen, könnten beide den vorhandenen Schwung gemeinsam nutzen und den von der Öffentlichkeit ersehnten neuen Stil ins Hohe Haus tragen. Die Menschen haben Politik satt, bei der - Stichwort Lehrerdienstrecht - stur Positionen gegeneinander in Stellung gebracht werden und bei der verliert, wer sich als Erster bewegt. Sie wollen einen wertschätzenden Umgang miteinander, kreative und transparente Prozesse, in denen erkennbar wird, dass die Sache, die gemeinsame Zukunft im Land wichtiger ist, als Punkte für die jeweils eigene Partei zu sammeln.
Lieber mit der FPÖ
Noch scheint es, als würden die Grünen im Nationalrat manche ihrer Vorwürfe an die Neos selbst glauben, so sehr sind sie auf Abgrenzung bedacht. In der konkreten parlamentarischen Arbeit - Anträge zu den Themen Budget, Informationsfreiheitsgesetz, Hypo - konnten sich die Grünen bis jetzt nicht überwinden, die neuen Verhältnisse im Nationalrat anzuerkennen. Da wird sogar lieber mit der sonst so geschmähten FPÖ kooperiert als mit den Neos geredet.
Doch wenn nun fünf Jahre lang nur die Frage im Vordergrund stehen sollte, wer "den Punkt" machen darf, wird es schwerfallen, das Potenzial einer starken Opposition auszuschöpfen. Fünf Jahre Wahlkampf ist sicher auch nicht das, was die Wählerinnen und Wähler - pinke und grüne - wollen. Unterschiede zwischen Pink und Grün gibt es genug. Aber auch viele gemeinsame Ziele. Und - hoffentlich - ein gemeinsames Interesse an einer anderen, konstruktiveren politischen Kultur. Es ist jetzt die Zeit, das zu beweisen. Gelingt es, werden beide gewinnen. Und die Demokratie mit ihnen.
Peter Drössler (Jg. 1964) ist PR-Berater in Wien. Mitte der 90er-Jahre organisierte er für die Wiener Grünen die programmatische Konferenz "Greening Vienna", ab 2000 engagierte er sich in der Grünen Wirtschaft, deren Vorsitzender er bis 2010 war. Drössler war erster - und bis dato einziger - grüner Obmann in der Bundeswirtschaftskammer (Fachverband Werbung und Marktkommunikation). Aus Kritik am Kurs der Partei ab den "Wiener Vorwahlen" und der Demontage Johannes Voggenhubers im Jahr 2009 legte er 2010 alle politischen Funktionen zurück, 2011 trat er endgültig aus der Partei aus. Seit März 2013 unterstützt er die Neos. (Peter Drössler, DER STANDARD, 6.12.2013)