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Erdogan ist auf der Suche nach Partnern fündig geworden. Die AKP reiht sich bei den Euroskeptikern ein.

Foto: Reuters/Pool

Der türkische Regierungschef hat zwischen seiner Anti-Brüssel-Israel-Westen-„Südzypern“-Assad-General-Sisi- und Pro-China-Putin-Riyadh-Kosovo-Haltung doch noch einen neuen Platz für seine Partei gefunden: die Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten (AECR). In diesem euroskeptischen Klub von David Cameron, Pawel Kowals "Polen kommt zuerst" u.a. Streitern sitzt fortan Erdogans konservativ-muslimische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Ihren Zuschauersessel in der Europäischen Volkspartei EVP hat sie dafür geräumt: Die Bürgerlich-Konservativen aus dem Abendland hatten die türkischen Konservativen 2004 als "assoziiertes Mitglied" aufgenommen, aber dann nie ihr Versprechen eingelöst, ihnen bald auch die gleichberechtigte volle Mitgliedschaft in der größten europäischen Partei zu geben.

Erdogan hatte die Entscheidung im November bekannt gegeben, ohne dass sie auf allzu große Aufmerksamkeit in der Türkei oder in der EU gestoßen wäre. Jenseits des verletzten Stolzes über neun Jahre am Katzentisch in der EVP sagt dieser Parteienwechsel aber natürlich etwas über die geänderte Einstellung der türkischen Regierung zum EU-Beitritt. Ankara steht den Beitrittsverhandlungen mittlerweile ebenso kühl gegenüber wie immer schon Angela Merkel, die führende Dame in der Europäischen Volkspartei. Und – wohl noch bedeutsamer – der türkischen Regierungspartei schwebt eine andere, politisch weniger integrierte Beteiligung an der EU vor.

"Realistischere" Betrachtung

Damit ist sie nicht allein. Kemal Derviş, der türkische Wirtschaftsminister, der 2001/02 die Bankenkrise wieder hingebogen hatte, bevor Erdogans AKP dann die Wahlen gewann, plädiert schon seit längerem für eine "realistischere" Betrachtungsweise des türkischen EU-Beitritts.

Wenn aus der Schulden- und Institutionskrise der EU ein neues Europa hervorgehe, so sagte mir Derviş Anfang des Jahres in einem Interview, dann stünde auch die Frage der Mitgliedschaft der Türkei in einem anderen Rahmen: "Es mag für beide Seiten leichter sein, wenn die Türkei in dieser neuen Konstruktion - die es noch nicht gibt - einen Status wie Schweden, Großbritannien oder Dänemark hat. Mit weniger geteilter Souveränität, als sie Deutschland, Frankreich und Österreich haben werden."

Gegen politische Integration

Camerons Allianz der Euro-Zweifler scheint, so gesehen, zukunftsweisend für die Türkei. Der Euroskeptizismus der AKP, der sich von 2005 an entwickelt habe, so erklärt der Politologe Ayhan Kaya von der Bilgi-Universität, vertrage sich gut mit der euroskeptischen, nicht-föderalen und flexiblen Natur der AECR. Erdogans AKP versuche jetzt, sich der wachsenden Gruppe jener Kräfte in Europa anzuschließen, die gegen eine politische Integration sind. Kaya ist Direktor des Europäischen Instituts an der Bilgi-Universität in Istanbul. Das Argument, die AKP habe sich nur eine politisch konservative Partnerpartei ausgesucht, das Erdogan wie Europaminister Egemen Bagiş und der für die Außenbeziehungen der AKP verantwortliche Politiker Mevlüt Çavuşoglu anführten, findet er deshalb wenig glaubwürdig.

Noch kritischer äußerte sich Erhan Icener, ein Politologe von der Orhangazi Universität in Bursa, in der – einst regierungsfreundlichen – Tageszeitung Zaman: "AKP ist die Partei, die die Türkei am nächsten zur EU gebracht hat, und die Partei, die die Türkei am schnellsten wieder von ihr weggeführt hat." Andere schließlich bezweifeln, dass der Parteienwechsel besonders schlau war. Die AECR sei nur eine marginale Partei, gab etwa Barçin Yinanç, eine Kolumnistin in der englischsprachigen Ausgabe von Hürriyet, zu bedenken; die Türkei aber brauche die Unterstützung der Mainstream-Parteien, wenn sie ein Mitglied der EU werden wolle. (Markus Bernath, derStandard.at, 6.12.2013)