Wiens oberster Denkmalschützer Friedrich Dahm im Ahnensaal in der Wiener Hofburg, dem ehemaligen Speisezimmer des Kronprinzen Rudolf: "absolute, nicht steigerbare Authentizität".

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Standard: Wir stehen hier im Ahnensaal der Hofburg. Warum? Ist der aus Ihrer denkmalpflegenden Sicht besonders schützenswert?

Friedrich Dahm: Ich wollte Ihnen den Ahnensaal zeigen, weil er ein exzellentes Beispiel dafür ist, welche Eigenschaft ein Denkmal zu einem Denkmal macht.

Standard: Welche?

Dahm: Man muss die Geschichte dieses Saals kennen. Er war Teil der Appartements von Kronprinz Rudolf, sein Speisezimmer. Hier hat er jeden Tag seine Mahlzeiten zu sich genommen und war umgeben von all seinen Vorfahren, die ihm ständig den Eindruck vermittelten: Das ist die Verantwortung, die du auch einmal tragen wirst. Nichts kann einem das geben, was wir spüren, wenn wir in diesem Raum stehen: die absolute, nicht mehr steigerbare Authentizität. Das macht ein Denkmal aus. Es ist immer unverwechselbar und einzigartig.

Standard: Die Wiener Innenstadt ist Unesco-Weltkulturerbe. Mit diesem Titel wird die unverwechselbare Mischung aus verschiedenen Baustilen verschiedener Epochen gewürdigt. Wird hier ein Zustand konserviert?

Dahm: Ich würde es umdrehen. Die Lebendigkeit der Wiener Innenstadt wird ja durch die Vielfalt der Baudenkmäler und Baustile erzeugt. Da steht die romanische Kirche gleich neben dem gotischen Dom, um die Ecke findet sich ein Renaissance-Bürgerhaus mit Arkadenhof, der Jugendstil geht mit dem Barock einher - das alles macht das Alter einer Stadt aus, macht sie aber auch sehr lebendig. Wir haben von vielen Epochen allerhöchste Qualität in Wien, das ist das Schöne. Der Stephansdom steht mit seinem Südturm in einer Reihe mit Notre-Dame, Schönbrunn ist in der Bedeutung gleichrangig mit Versailles.

Standard: Sind Sie froh, dass das restaurierte Winterpalais des Prinzen Eugen nun zum Belvedere statt zum Finanzministerium gehört?

Dahm: In die Frage der Nutzung mischen wir uns nicht ein. Die Sanierung war mustergültig, es ist fantastisch geworden. Und natürlich freuen wir uns auch, dass diese Räume einer breiteren Nutzung zugeführt werden. Aber wir waren in diese Entscheidung nicht eingebunden.

Standard: Wie ist das Verhältnis der Wiener zum Denkmalschutz? Bürgerinitiativen argumentieren ja ganz gerne mit Ihnen, wenn sie etwas verhindern wollen.

Dahm: Das Verhältnis ist ambivalent. Ich beobachte, dass sich die Wiener in ihrer Stadt wohlfühlen. Und dazu gehört auch, dass sie geschichtsträchtig und, ganz banal, schön ist. Das gibt Lebensqualität. Natürlich stehen die Wiener hinter uns, damit das Bestehende erhalten bleibt. Aber wir werden da und dort auch als Verhinderer gesehen. Nach dem Motto "Wenn das Denkmalamt kommt, geht gar nichts". Erstens stimmt es nicht, und zweitens, ja, dort, wo der Charakter eines Denkmals erhalten bleiben muss, schreiten wir ein. Das will die Stadt, das wollen auch die Wiener, nur muss man sie manchmal daran erinnern.

Standard: Ist Denkmalschutz mit der Wiener Bauordnung vereinbar? Es gibt immer wieder Schwierigkeiten mit Auflagen bezüglich thermischer Sanierung, die dann oft mit dem Fassadenschutz kollidieren.

Dahm: Wir haben sehr genau definiert, was an thermoenergetischen Sanierungen möglich ist. Beispielsweise anhand der schrittweisen Sanierung der Werkbundsiedlung nach denkmalpflegerischen Vorgaben. Das Hoffmann-Gebäude hat etwa ein zweischaliges Mauerwerk, da kann man Dämmungen einbringen, man kann im Keller oder im Dach dämmen - und natürlich Fenster und Türen dichten. Wenn man all das macht, ist man schon bei 75 Prozent dessen, was man erreichen kann, wenn man ein Gebäude ganz einpackt. In Summe lässt der Denkmalschutz thermoenergetische Sanierungen zu, die mehr als spürbar sind.

Standard: Denkmalschutz ist also nichts Museales?

Dahm: Überhaupt nicht. Es gibt keine Käseglocke. Es funktioniert so: Der Bauwerber tritt an uns heran und sagt, was er machen will. Wir arbeiten dann eng mit ihm und den jeweiligen Architekten zusammen, und wir haben immer noch eine Lösung gefunden. Über Generationen muss es ja immer Adaptierungen geben. Sonst hätte Schloss Schönbrunn heute noch ein Plumpsklo.

Standard: Eine zumeist teure Lösung, wie oft kritisiert wird.

Dahm: Teuer! Ich sage immer: nachhaltig. Wir haben ja sehr viel Erfahrung, und aufgrund dessen geben wir punktgenaue Empfehlungen ab. So können wir auch sparen helfen. Jedenfalls wachsen Eigentümer und Denkmalamt in der Regel über die Jahre zusammen, es bildet sich eine enge Vertrauensbasis. Und natürlich geben wir auch Subventionen.

Standard: Verwaltungsstrafen bei Verstoß gegen Denkmalschutzauflagen sind relativ gering. Warum?

Dahm: Eigentümern ist oft nicht bewusst, dass sie einen Verstoß begehen. Wir klären das dann zunächst auf dem Kulanzwege. Aber wenn einer nachhaltig renitent ist, können wir darauf bestehen, dass der Originalzustand wiederhergestellt wird. Das wird dann richtig teuer.

Standard: Ist es sinnvoll, dass etwa das Wiener Stadthallenbad unter Denkmalschutz steht? Wenn man sich die Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Sanierung ansieht, kann man auf den Gedanken kommen, dass Abriss vielleicht die beste Idee wäre.

Dahm: Wir haben dort gar nichts verhindert, ganz im Gegenteil: Man hat uns gefragt, ob ein zweiter Sprungturm für Synchronspringen möglich ist - na, selbstverständlich. Denkmalschutz will nie etwas verhindern, wir sind froh, wenn es eine adäquate Nutzung gibt. Und die beste Nutzung für das Stadthallenbad ist ein Bad. Wir haben in Fragen des Denkmalschutzes immer gut mit der Eigentümerin Wien-Holding zusammengearbeitet. Dass die jetzt leider noch nicht aufsperren können, hat andere Gründe.

Standard: Abgesehen von der Stadthalle hat man den Eindruck, dass Architektur aus den 1950er-Jahren in Wien nicht als schützenswert gilt. Täuscht das?

Dahm: Das ändert sich gerade. Alles braucht seine Zeit. Am Anfang gilt etwas als modern, dann wird es relativ rasch altvaterisch, danach überholt es sich, dann wird es geringgeschätzt, und erst dann geht es wieder aufwärts. Wenn ein Bauwerk bis dahin überlebt hat, dann kann es ein Denkmal werden. Bestes Beispiel dafür ist die gerade fertig restaurierte Opernpassage. Das war die erste unterirdische ringförmige Erschließung, auch als Passage. Man war stolz auf die ersten Rolltreppen Österreichs, sie galten als Aufbruch Österreichs in die Modernität. In den 1970er-, 1980er-Jahren hat man das nicht gesehen, heute erkennen wir das wieder.

Standard: Der Zeitfaktor gilt nicht immer. Denn auch das von querkraft-Architekten gestaltete Museum Liaunig in Kärnten, das erst vor fünf Jahren eröffnet wurde, steht unter Denkmalschutz.

Dahm: Das betrifft nicht mein Bundesland, da kenne ich die Details nicht. Aber bei Ausnahmearchitektur gelten natürlich andere Gesetze. Das Haas-Haus von Hans Hollein haben wir ja auch relativ jung unter Denkmalschutz gestellt, das wurde 1987 gebaut. Und wir haben mehrere Geschäftsportale in der Inneren Stadt, die Hans Hollein gestaltet hat, ebenfalls unter Denkmalschutz gestellt. Wir können so, von Pop-Art bis hin zum Haas-Haus die Entwicklung dieses international anerkannten Architekten in einer Reihe zeigen.

Standard: Welches heute gebaute Gebäude wird in 30 bis 50 Jahren unter Denkmalschutz stehen?

Dahm: Das habe ich mir noch nie überlegt (denkt lange nach). Da gibt es viele Beispiele ... Etwa das 20er/21er-Haus: die unterirdische Erweiterung durch Krischanitz mit neuen Belichtungsmöglichkeiten und dem Büroturm in einem guten räumlichen Verhältnis zum Hauptgebäude. Diese architektonische Leistung halte ich beispielsweise für außerordentlich. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 7.12.2013)