Jede Menge Meinungsverschiedenheiten gab es bei den Koalitionsverhandlungen, bei denen es am Ende nur noch ums Budget ging. Aber in einem Punkt scheinen sich die Regierungsparteien schnell geeinigt zu haben: Das Verbot der Sterbehilfe soll in die Verfassung. Das berichtete die seriöse Wiener Zeitung vor kurzem. Wenn das durchgeht, ohne öffentliche Diskussion, gleichsam hinter dem Rücken der Öffentlichkeit, wäre das eine Ungeheuerlichkeit.
Aktive Sterbehilfe ist derzeit in der Schweiz, in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg erlaubt, in anderen europäischen Ländern, darunter Österreich, verboten. Passive Sterbehilfe - also Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bei einer tödlich verlaufenden Krankheit - ist erlaubt. In der angedachten Verfassungsbestimmung soll zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe kein Unterschied gemacht werden. Wie die Bevölkerung darüber denkt, haben Umfragen ergeben: Eine deutliche Mehrheit ist für Straffreiheit auch bei Tötung auf Verlangen, Tendenz steigend. Das ist der Trend auch im übrigen Europa. Österreich will dagegen, so heißt es, "ein Zeichen setzen".
Gleichzeitig soll freilich auch der Anspruch auf palliativmedizinische Betreuung gesetzlich verankert werden, etwas, das etwa die Caritas seit langem fordert und die Hospize praktizieren. Darüber gibt es weitgehenden Konsens. Der Wunsch nach Sterbehilfe wird geringer, sagen die Experten, wenn die Patienten im letzten Lebensstadium nicht unter unerträglichen Schmerzen leiden müssen. So weit, so gut. Aber viele Schwerstkranke wollen nicht nur der Schmerzen wegen selbstbestimmt über ihren Tod entscheiden. Sie wollen lieber in Würde sterben, als jahrelang als Pflegefälle dahinvegetieren, dement, gefüttert und gewindelt, völlig abhängig von Pflegekräften, die ihrerseits bis an die Grenzen des Erträglichen gefordert sind.
Schwierige Entscheidungen. Wer soll sagen dürfen, ob jemand leben muss oder sterben darf? Der Arzt? Das Gericht? Die Kirche? Herr Faymann und Herr Spindelegger? Oder doch der mündige Bürger selbst? Welche Kriterien sind maßgebend? Ist der Verzicht auf künstliche Ernährung, wie man ihn jetzt schon in Patientenverfügungen verlangen darf, schon passive Sterbehilfe? Wie steht es mit Familienangehörigen, die ihre Liebsten auf deren Wunsch in die Schweiz begleiten, um dort den legalen Freitod zu suchen? Ein Österreicher, der seiner Frau diesen letzten Liebesdienst erwies, wurde nach seiner Rückkehr vor einiger Zeit angezeigt und vor Gericht gestellt. Die Richter sprachen ihn frei.
Wir leben in einer überalterten Gesellschaft, in der diese Fragen für immer mehr Menschen akut werden. Es ist an der Zeit, dass über Sterbehilfe und sogenannten assistierten Selbstmord breit und seriös diskutiert wird. Medizinische, juristische, moralische Gesichtspunkte spielen hier eine Rolle und auch das Erbe der Nazizeit mit deren These vom lebensunwerten Leben. Und auch die Tatsache, dass die letzten Monate im Leben eines Menschen die Gesellschaft mehr kosten als all die Jahre vorher, wird man nicht gänzlich außer Acht lassen können. Aber dass die beiden Regierungsparteien eine definitive Regelung einfach beschließen: Von dieser Idee sollten sie sich ganz schnell verabschieden. (BARBARA COUDENHOVE-KALERGI, DER STANDARD, 12.12.2013)