Jaan Albrecht im Donauturm-Café: "Den Überblick behalte ich schon gern."

Foto: Standard/Regina Hendrich

.... und "Pilot ist der beste Beruf der Welt, als Pilot sind Sie der Chef."

Foto: Standard/Regine Hendrich

STANDARD: Wann haben Sie zuletzt jemanden um Vergebung gebeten?

Albrecht: Ich bitte jeden Abend um Vergebung.

STANDARD: Wen?

Albrecht: Den Lieben Gott.

STANDARD: Für Ihr Wirken bei der AUA? Ich frage, weil Ihr Stehsatz lautet: "Besser um Vergebung bitten, als um Erlaubnis fragen."

Albrecht: Im Gegenteil, bei der AUA sage ich eher Dank.

STANDARD: Weil es sie noch gibt?

Albrecht: Ja, dass sie noch lebt und wir relativ viel bewirkt haben in relativ kurzer Zeit.

STANDARD: Als Chef einer Lufthansa-Tochter müssen Sie wohl oft um Erlaubnis fragen.

Albrecht: Ich muss nicht gerade um Erlaubnis bitten. Mein Spielraum ist groß, aber es gibt natürlich Grenzen, Konzernregeln und Ziele, die uns die Lufthansa gibt. Vier Prozent Gewinnmarge bis 2016 zum Beispiel. Heuer schreiben wir einen kleinen Gewinn.

STANDARD: Ich wollte Sie hier im Donauturm-Café treffen, weil Sie noch nie da waren und als Pilot ja gern den Überblick haben. Leider ist es total neblig ...

Albrecht: Den Überblick behalte ich schon gern. In meinen zwei AUA-Jahren war ich sehr wenig in Wien unterwegs, aber als Kinder waren wir oft hier. Meine Großeltern stammen ja aus Österreich, wir hatten Onkel und Tante hier.

STANDARD: Und Sie sind immer mit der AUA hierher geflogen.

Albrecht: Genau, aber in meinen wildesten Träumen hätte ich nicht geglaubt, dass ich einmal bei der AUA arbeiten würde.

STANDARD: Sie sind Deutscher und Mexikaner, hier gelten Sie als preußisch: streng, genau, diszipliniert.

Albrecht: Ich liebe Disziplin und gerade Linien. Kommt vielleicht von meinem Studium.

STANDARD: Die Leute halten Sie ja weniger für einen Preußen als für einen Niederländer, wegen der zwei A in Ihrem Vornamen. Dabei war das nur ein Tippfehler der Beamten beim mexikanischen Geburtenregister.

Albrecht: Ja, die Beamten hatten in meiner Geburtsurkunde den Namen meiner ostpreußischen Großeltern, Bindenberger, mütterlicherseits und den meiner österreichischen Großeltern väterlicherseits, Czacharovsky, und den meiner Eltern immer wieder falsch geschrieben. Und als das dann nach zehn Versuchen alles gestimmt hat, haben meine Eltern dafür das Jaan mit zwei A einfach akzeptiert.

STANDARD: Warum haben Sie denn eigentlich Architektur studiert? Sie wollten doch immer schon Pilot werden, wie Ihr Vater. Sie flogen oft gemeinsam.

Albrecht: War toll. Er war der Chef, ich manchmal sein Copilot. Er meinte, ich soll sicherheitshalber einen Beruf lernen, bei dem man nicht so von seiner Gesundheit abhängt wie bei der Fliegerei. Und Architektur hat mich immer begeistert, ich habe gern gezeichnet, hatte einen Fimmel für Kreatives, Gestalten, Dreidimensionales. Beim Fliegen hatte ich übrigens auch das Preußische: Ich habe mich immer bemüht, so exakt wie möglich zu fliegen, Höhe und Geschwindigkeit ganz genau einzuhalten.

STANDARD: Warum so streng, um Himmelswillen?

Albrecht: Mein Großvater, Soldat im Ersten Weltkrieg, hat mich sehr geprägt. Er war sehr, sehr streng mit sich und seinen Enkeln, die wir unsere Sommer bei ihm in Puebla verbrachten.

STANDARD: Aufgewachsen sind Sie in Mexico City. Da steht ja eine der schönsten Kathedralen der Welt ...

Albrecht: Leider steht sie schief. Aber schön ist sie.

STANDARD: Ja, das Schiefe stört Sie.

Albrecht: (lacht) Genau.

STANDARD: Ihr Haus in Wiesbaden haben Sie mitgestaltet. Ist sicher sehr klar strukturiert?

Albrecht: Ja. Quadratisch, praktisch, gut. Wie die Schokolade.

STANDARD: So hätten Sie die AUA auch gern?

Albrecht: (lacht) Ja. Flexibel, praktisch, gut.

STANDARD: Praktisch ist bei der AUA nichts. Sie haben 2012, als Sie mit dem Einschnitt in den Bord-KV nicht durchkamen, den Flugbetrieb auf die billigere Tyrolean übertragen. Das Gericht hat den Betriebsübergang gekippt; was, wenn das Urteil hält? Da ist die AUA pleite.

Albrecht: Wir sind zuversichtlich, dass der Betriebsübergang hält.

STANDARD: Das waren Sie auch vor dem Ersturteil.

Albrecht: Das Urteil ist widersprüchlich. Bliebe es aufrecht, müssten wir von vorn anfangen. Denn ich bin sicher, dass ich das Richtige tue. Ich will, dass die Piloten langfristig Arbeit haben.

STANDARD: Sie glauben wirklich, dass "das Gröbste vorbei ist", wie Sie jüngst sagten?

Albrecht: Ja. Aber natürlich haben wir noch einiges vor uns.

STANDARD: Etwa, dass Ihnen im Dezember Flugbegleiter fehlen. Angeblich drohen Flugausfälle.

Albrecht: Wir haben tatsächlich einen kleinen Engpass, aber es wird keine Flugausfälle geben. Wir müssen auf einigen Langstreckenflügen mit der Minimal-Crew-Ausstattung fliegen; das ist zwar nicht schön, aber nicht dramatisch.

STANDARD: Was macht Piloten eigentlich so selbstbewusst?

Albrecht: Pilot ist der beste Beruf der Welt, als Pilot sind Sie der Chef, jeder Pilot ist ein guter Pilot.

STANDARD: Jeder Pilot ist ein guter Pilot?

Albrecht: Ja, sonst wäre er gar nicht Pilot.

STANDARD: Ein toter Pilot ist kein guter Pilot.

Albrecht: Müsste man fragen, warum er in dieser Situation ist. Unfälle passieren zum Glück sehr selten. Aber zurück zum Selbstverständnis der Piloten: Als Pilot ist man gefordert, wenn man fliegt, aber man muss nicht ständig beweisen, dass man der Beste ist. Jeder andere Berufstätige muss für seinen Aufstieg kämpfen, zeigen, was er kann – und dann wird er befördert oder eben nicht. Piloten machen gemäß Senioritätsprinzip automatisch Karriere: Sind sie lang genug dabei, werden sie vom Co-Piloten zum Piloten. Und sie sind gewöhnt, dass Entscheidungen, die andere Leute täglich selbst treffen müssen, der Betriebsrat oder die Gewerkschaft für sie trifft.

STANDARD: Aber es kann ja nicht nur das Bordpersonal schuld an der AUA-Krise sein. Die Manager und Aktionäre haben wohl auch  viele Fehler gemacht.

Albrecht: Ja, und ich habe sicher auch Fehler gemacht.

STANDARD: Sie sagen jetzt gleich, Sie hätten 2012 länger über den Bord-Kollektivvertrag verhandeln sollen ...

Albrecht: Stimmt. Ich war da erst kurz bei der AUA – aber wir standen auch nur noch 60 Tage vor dem Insolvenzantrag, hatten den schon in der Schublade. Das einzige, das die  AUA damals gerettet hat, war unser Plan mit dem Betriebsübergang. An den haben unsere Eigentümer geglaubt, und die Wirtschaftsprüfer.

STANDARD: Viele AUA-Piloten hassen Sie geradezu. Dem Bordbetriebsrat gelten Sie als "Sonnenkönig", "Napoleon", "autoritärer Typ, der nicht mit Mitarbeitern redet". Kränkt Sie das?

Albrecht: Kränkt mich gar nicht, ich muss darüber sogar lachen. Die Karikaturen, die in der Betriebsratszeitung über mich erscheinen, finde ich echt witzig.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, die Reaktion der Piloten habe für die einen kathartischen Effekt. Wie werden Sie Ihren Frust los? Beim Laufen im Prater?

Albrecht: Ja, ich laufe. Morgens und am Wochenende, religiös: also in der Früh.

STANDARD: Laufen statt Kirchgang?

Albrecht: Ja. Wenn ich laufe, ist die Welt in Ordnung. Da kann ich dem lieben Gott danken, dass ich da bin.

STANDARD: Sie haben als Piloten- Gewerkschafter bei Air Mexicana doch selbst laut protestiert.

Albrecht: Und ob! In den 80er-Jahren, gegen den Chefpiloten und das Management, es ging um Geld, Gehälter, Flugzeiten.

STANDARD: War das klug?

Albrecht: Kurzfristig ja, weil wir bekamen, was wir wollten: immer mehr. Langfristig nicht, die Fluglinie gibt es ja heute nicht mehr. Meine besten Freunde in Mexiko sind Piloten. Sie fliegen heute in der Türkei, in Panama, Chile, Indien. Aber ihre Familien sind in Mexiko. Das ist kein Leben.

STANDARD: Sie sind mitschuld?

Albrecht: Definitiv. Weil ich das mitgestaltet habe und es der falsche Weg war, weil die Piloten ihre Jobs verloren. Das möchte ich bei der AUA vermeiden. Ich habe in meiner Zeit bei der Gewerkschaft viele Bord-KVs gesehen, aber keiner war so ausgestaltet wie der der AUA, mit all den automatischen Vorrückungen, in einem Zeitalter, in dem Unternehmen leben, atmen müssen, in dem es gute und schlechte Jahre gibt. Bei der AUA gab es nur schlechte Jahre – und dass sie da auch noch einen KV auf der Backe haben, der über Automatismen geregelt wird, gleicht einem Todesurteil. Als die AUA noch staatlich war, gab es immer die rettenden Hand – aber nicht in der freien Wirtschaft, nicht heute.

STANDARD: Sie wurden dann Manager. Für die Aero Peru mussten Sie 1999 Konkurs anmelden.

Albrecht: Ja, weil es ihr schlecht ging und Manager Geld veruntreut hatten. Wir entschieden, den Laden zu sperren. Da stand ich vor 2200 Mitarbeitern in der Wartungshalle und sagte: "Das war's. Morgen gibt es keine Flüge mehr." Und das werde ich nie wieder tun. Die Leute haben geweint, protestiert, mich beschimpft.

STANDARD: Es gab dann Klagen, und  Sie durften ein Jahr nicht ausreisen.

Albrecht: Ich musste meinen Pass abgeben, mich jeden Freitag um 16 Uhr bei der Polizei melden und habe dreizehn Monate im Hotel gelebt und die Insolvenz abgewickelt. Und ich habe einen Bodyguard gebraucht.

STANDARD: Sie bewarben sich schon 2006 für den AUA-Job, aber Alfred Ötsch bekam ihn. Die AUA war teilstaatlich, ein "hochpolitisches Unternehmen", wie Sie sagen. Wie wäre es damals für Sie gelaufen?

Albrecht: Anders, weil noch alle Politiker mitgeredet haben. Heute gehört die AUA der Lufthansa, ich komme aus dem Ausland, bin nicht hier verwurzelt. Ich schulde niemandem etwas in der AUA, mir schuldet keiner etwas. Es macht einen Sanierungsjob einfacher, wenn man im Unternehmen keine richtigen Freunde hat.

STANDARD: Mit Ex-Vorstand Malanik waren Sie aber befreundet. Sie haben ihn trotzdem rausgeworfen.

Albrecht: Ja, mit ihm war ich gut befreundet. Aber wir haben entschieden, auch die Führungsebene zu ändern.

STANDARD: Wie feuert man einen Freund?

Albrecht: Das sind die schwierigen Momente im Leben. Das war nicht einfach.

STANDARD: Danach mussten Sie wohl viele kathartische Kilometer laufen.

Albrecht: Ja.

STANDARD: Als Star-Alliance-Chef waren Sie eher Diplomat, es galt, Airlines unters Allianzdach zu holen. Jetzt wollen Sie den Airlinern beweisen, dass Sie mehr können?

Albrecht: Natürlich. Ich will ihnen und mir zeigen, dass ich ein guter Manager bin. Natürlich will ich einer von den Guten sein. Man soll sagen können: Er hat die AUA gerettet.

STANDARD: Die Ticketsteuer konnten Sie nicht wegverhandeln, sind am Finanzministerium gescheitert. In Wien kennt jeder jeden, Sie sind in keinem Netzwerk. Wie kommen Sie am Wiener Parkett zurecht?

Albrecht: Stimmt, die Leute treffen einander tagsüber und abends, in Konzert und Oper. Ich bekomme auch viele Einladungen, konnte aber nur selten hingehen. Jetzt, wo' s besser läuft, will ich mehr machen.

STANDARD: Sie werden mehr Wiener?

Albrecht: Ich bleibe Deutsch-Mexikaner. Aber ich werde mehr Kontakte pflegen und Wien genießen. Dieses Gesellschaftsleben in Wien, diese Bälle, das alles ist schon außerordentlich. So etwas haben sie in Mexiko City nicht.

STANDARD: Schon am Opernball gewesen?

Albrecht: Nein. Ich war vor Jahren einmal am Juristen- und am Philharmonikerball.

STANDARD: Der Mexikaner Albrecht: ein feuriger Tänzer?

Albrecht: Ich tanze wie ein Besen. Meine Frau fühlt sich immer, als kehrte sie mit mir auf. Schlimm, denn meine Töchter und meine Frau, die haben die Salsa im Blut.

STANDARD: Dafür sind Sie zu deutsch.

Albrecht: Fürs Tanzen bin ich zu preußisch.

STANDARD: Konzerte und klassische Musik lieben Sie aber ...

Albrecht: Sehr. Sonntagabends höre ich mir oft Camille Saint-Saëns' Orgelsymphonie an, in voller Lautstärke, um mich für die Woche zu motivieren. Vierter Satz: Wow, da kriegen Sie Gänsehaut. Mein Schwiegervater, der auch von Deutschland nach Mexiko ausgewandert war,  besaß die bekannteste Schallplattenfirma Mexikos, Peerless, und wir saßen oft gemeinsam im Aufnahmestudio und haben in voller Lautstärke klassische Musik gehört. Sänger wie Pedro Infante, Lucha Villa, die habe ich alle gekannt: Das waren tolle Persönlichkeiten.

STANDARD: Ich finde ja, es bräuchte mehr Künstler in Vorstandstagen.

Albrecht: Nein, das finde ich nicht. Wenn man unternehmerische Erfolge hinkriegt, ist das auch Kunst.

STANDARD: Sie haben zuerst gerade von Gänsehaut gesprochen. Gänsehaut macht mir Ihre Erklärung, warum Sie Vegetarier sind.

Albrecht: Ich war in Mexiko sechs Jahre in der Unfallkommission, habe sechs große Abstürze untersucht. Was ich da sah, das wollen Sie nie sehen. Sie würden, wie ich, den Geruch von verbrannten Menschen nie wieder vergessen können, und, wie ich, nie wieder Fleisch essen. Ich weiß, was passiert, wenn es einmal schiefgeht.

STANDARD: Passt zur letzten Frage. Worum geht's im Leben?

Albrecht: Darum, etwas Gutes zu hinterlassen. Darum, dass meine Enkel einmal stolz auf ihren verstorbenen Opa sein können. Oder vielleicht auch auf den lebenden. (Renate Graber, DER STANDARD, 14.12.2013)