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Demonstration im November in Bukarest gegen niedrige Gehälter und schlechte Arbeitsbedingungen in rumänischen Spitälern, die zu den Ursachen der Korruption im Gesundheitssystem zählen.
Bestechen oder nicht bestechen - das ist die Frage, der sich Rumäniens Jungärzte nicht entziehen können. Maria Barbu hat es versucht. Sie sah sich nach einem Job auf dem Land um - in der Hoffnung, so der Korruption und Freunderlwirtschaft zu entkommen, die einer Karriere in den Großstädten förderlich sind.
Aber sogar in einer Kleinstadt mit 8000 Einwohnern wollte der Leiter des Krankenhauses 5000 Euro, damit er sie einstellte. "Wir haben in seinem Büro geredet, und er hat mir ganz unverblümt den Preis genannt", erzählt sie.
Barbu hielt an ihren Prinzipien fest und weitete ihre Suche aus. Tausende Kilometer entfernt bot ihr ein Spital im deutschen Kassel dann eine Stelle an. Sie sagte zu und nahm für den Umzug einen Kredit über 5000 Euro auf - die gleiche Summe, die sie die Bestechung gekostet hätte.
Ein Heiligenbild aus der Heimat schmückt das Wohnzimmer. Barbu gibt zu, dass der Umzug nicht ihrem Charakter entsprach. Ihre Freunde hätten niemals gedacht, dass sie sich der Flucht der Rumänen aus ihrer Heimat anschließen würde. "Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich auf Abenteuer einlassen", meint sie und serviert Suppe. "Ich bin ängstlich."
"Fühle mich respektiert"
Barbu sei jedoch froh, nach Deutschland gekommen zu sein, auch wenn der graue Himmel gewöhnungsbedürftig ist. "Ich fühle mich von meinen Patienten und der Gesellschaft respektiert."
Ihre rumänischen Kollegen genießen nicht so viel Wertschätzung. Der Berufsstand der Ärzte gilt weithin als korrupt. Patienten bestechen ihre Ärzte häufig. Manche bestehen sogar darauf, in der Hoffnung, sich so die bestmögliche Betreuung zu sichern.
Der korrupte Arzt, oft heimlich abgehört, ist zum zentralen Thema verdeckter Ermittlungen von Boulevardblättern und Nachrichtensendungen geworden. Doch hinter dieser Verteufelung steckt eine weniger offensichtliche Kultur der Korruption, zu deren Opfern auch die Mediziner zählen.
In jeder Phase ihrer beruflichen Laufbahn müssen Ärzte und Pflegepersonal in Rumänien mit einem System zurande kommen, dem vorgeworfen wird, es belohne Bestechung und Vetternwirtschaft gleich wie Leistung. Natürlich halten viele dieser Korruption stand. Andererseits zahlen viele auch unter der Hand für eine Ausbildung, einen Arbeitsplatz oder eine Beförderung.
Manchmal sind mehrere zehntausend Euro im Spiel. Sie scheinen angesichts einer stotternden Wirtschaft gerechtfertigt, in der das Gesundheitswesen eine der wenigen Branchen ist, die ein sicheres, wenn auch dürftiges Gehalt versprechen.
"Mit ein paar wenigen Ausnahmen, die Glück hatten, werden alle Hochschulabsolventen in ein korruptes System gezwungen", erklärt Vintila Mihailescu, Soziologieprofessor an der Nationalen Hochschule für Politik- und Verwaltungswissenschaften in Bukarest. "Die größte Schuld liegt stromaufwärts", sagt er und beschreibt, wie Ärzte, die für ihren Job zahlen, Schmiergeld annehmen müssen, um ihre Investitionen zu amortisieren.
Alle Rumänen haben ein Recht auf kostenlose medizinische Versorgung in einem vom Staat geförderten Gesundheitssystem. Assistenzärzte an öffentlichen Spitälern verdienen umgerechnet rund 200 Euro im Monat, Fachärzte 500 Euro. Es bleibt kaum Geld übrig, berücksichtigt man die Mietkosten für eine Wohnung in der Hauptstadt Bukarest. Viele Ärzte bessern daher ihr Einkommen mit Überstunden und Schwarzarbeit im lukrativen Privatsektor auf.
Tausende medizinische Arbeitskräfte haben Rumänien seit dem Beitritt zur Europäischen Union 2007 verlassen. Als Beweggründe geben sie das geringe Gehalt und die Kultur der Korruption an. "Es ist unmöglich, in Rumänien Arzt zu sein, ohne Schmiergeld anzunehmen", meint Adina Derevenciuc, nun ebenfalls in Deutschland. "Es ist unmoralisch. Ich weigere mich, in einem öffentlichen Spital zu arbeiten, weil es ein krankes System ist."
Catalina Marioara, eine rumänische Medizinstudentin, die an einem Austauschprogramm in der deutschen Stadt Griefswald teilnimmt, war über die Gegensätze zwischen den beiden Ländern erschreckt: "Ich könnte nie etwas von meinen Patienten annehmen. Wenn ich in Rumänien bliebe, müsste ich auf die Hilfe meiner Eltern zählen." Angesichts dessen, dass sie prinzipiell überall in der EU arbeiten dürfen, sind Ärzte aus Rumänien nach Frankreich, Deutschland und Großbritannien gezogen, wo die Gehälter wesentlich höher sind als in ihrer Heimat. Ihre Qualifikationen, gepaart mit der Bereitschaft, Nachtschichten zu übernehmen, haben einen kritischen Engpass in Spitälern in ganz Westeuropa entschärft.
Doch während ihr Profil im Ausland wächst, kämpfen gleichzeitig rumänische Ärzte in ihrer Heimat mit niedrigen Löhnen, schlechter Ausstattung und einem angeschlagenen Ruf.
Und dennoch tragen Patienten zuweilen bereitwillig zu der korruptionsgeplagten Wirtschaft bei, zwingen sie den Ärzten doch aus Dankbarkeit oder Angst ihr Geld geradezu auf. Einige Ärzte berichten sogar, dass die Weigerung, Schmiergeld anzunehmen, Patienten in Panik versetzen kann, weil sie dies als Zeichen für die Unheilbarkeit ihres Zustandes deuten. "Das Gehalt eines Arztes ist gering, zu gering", meint eine Frau Mitte dreißig, die ihren Namen nicht nennen will.
Eine andere Frau, die ebenfalls anonym bleiben will, erzählt, sie habe immer wieder versucht, einem Arzt, der sie behandelt hatte, einen Umschlag mit Bargeld zuzustecken. "Der Arzt wollte das Geld nicht. Er ging mir aus dem Weg - deshalb bin ich zu ihm nach Hause gefahren. Der Umschlag war zerknittert, ich hatte ihn im Krankenhaus ständig bei mir, im Morgenmantel, unter meinem Kopfkissen", erzählt sie. "Für mich war es eine Art Dankeschön für meinen Seelenfrieden." Hin- und hergerissen zwischen Ethik und der Zwangslage ihres Berufsstandes halten sich viele Ärzte an einen informellen Verhaltensgrundsatz: Sie akzeptieren Schmiergeld von ihren Patienten, verlangen aber nicht danach.
Keine Informanten
So wie einige Eigenarten des modernen Lebens ist die Korruption im Gesundheitssystem in gewissem Maße eine Folgewirkung jahrhundertealter ländlicher Tradition und des Kommunismus. "Die rumänische Kultur ist die des ländlichen Raumes, die auf einem Klima gegenseitigen Vertrauens aufbaut", analysiert der Soziologe Mihailescu. "Patienten misstrauen Institutionen und haben das Bedürfnis, eine persönliche Beziehung zu ihrem Arzt aufzubauen. Deshalb zahlen sie."
Laut einer von der rumänischen Zweigstelle des Aspen-Instituts in Auftrag gegebenen Umfrage gaben mehr als 60 Prozent der Befragten an, sie hätten medizinischem Personal schon Schmiergeld angeboten. Einer anderen Umfrage der Nationalen Hochschule für Politik- und Verwaltungswissenschaften in Bukarest zufolge erklärten 59 Prozent, Schmiergelder seien die einzige Garantie für eine angemessene Versorgung im Krankenhaus.
Die Korruptionsfälle in der Medizin, von denen die Presse berichtet oder die rechtlich verfolgt werden, betreffen üblicherweise Patienten, die kein Schmiergeld zahlen können oder wollen. Über die Korruption innerhalb des medizinischen Establishments wird hingegen nur selten berichtet. Hier sind die Beträge viel höher, geht es doch um Karriere und guten Ruf. Solche Ärzte machen sich eines Verbrechens mitschuldig.
Jene, die sich weigern zu zahlen, ziehen es vor, keine offizielle Beschwerde einzureichen. Sie haben vielleicht keine Beweise oder wollen nicht als Unruhestifter gelten. Die meisten Ärzte, die direkte Erfahrungen mit der Korruptionskultur gemacht haben, sprachen mit der Autorin nur unter der Bedingung der Anonymität.
"Ich kenne Gerüchte über Korruption in der Personalbeschaffung, aber niemand hat persönlich mit mir gesprochen", sagt Vasile Astarastoae, Chef der rumänischen Aufsichtsbehörde für Berufe im Gesundheitswesen. Er glaubt, dass Mediziner Schmiergeldforderungen nicht melden, weil sie befürchten, damit ihre Karriere zu gefährden.
Gesundheitsminister Eugen Nicolaescu wiederum versichert, er wisse nichts von Korruption bei der Vergabe von medizinischen Arbeitsplätzen. "Ich habe noch nie davon gehört, aber ich kann nicht in Abrede stellen, was manche Ärzte für die Wahrheit halten", sagt er. (Elena Stancu, DER STANDARD, 16.12.2013)