Ein versalzenes Essen kann Prügel des Ehemanns nach sich ziehen. Das berichten allen Ernstes türkische Frauen in der Studie einer Universität in Gaziantep im Südosten der Türkei. 567 Frauen und 551 Männer befragte die Psychologin Rabia Sohbet. 143 Frauen gaben an, zu viel Salz im Gericht sei ein Grund für Schläge; 81 Frauen hatten die Erfahrung nach einem verbrannten Essen gemacht.

Eigentlich wollte Rabia Sohbet mit ihrer Studie untersuchen, was angehende Eheleute über die Rechte von Frauen wissen – nicht viel, wie sich herausstellte. Am Ende war die Psychologin aber erstaunt darüber, wie ähnlich Frauen und Männer über die häusliche Gewalt denken, so sagte sie dem Standard: "Ich hatte erwartet, dass Frauen einen anderen, femininen Zugang zu diesem Thema haben. Aber nein. Das hat mich überrascht."

Beide Seiten nehmen demnach Gewalt tendenziell als etwas Gegebenes hin – erwartbar für Frauen, normal für die prügelnden Männer. Knapp zwei Drittel der befragten Frauen in Gaziantep erklärten, "unerlaubtes" Hinausgehen sei ein Grund für Schläge; 181 präzisierten, unerlaubt einkaufen zu gehen könne Prügel nach sich ziehen. Besuch in der Wohnung zu haben, ohne den Mann zuvor um Erlaubnis gefragt zu haben, ist offenbar ein noch sehr viel größeres Risiko: 339 Frauen gaben dies als Auslöser für häusliche Gewalt an.

Die Männer sehen das ganz ähnlich: 473 äußerten die Ansicht, dass Frauen um Erlaubnis zu fragen haben, wenn sie auf die Straße gehen wollen; 114 hielten das nicht für notwendig. Drei Viertel der Männer erklärten dafür, sie hätten sich depressiv gefühlt; nur knapp ein Viertel der Frauen will diese Erfahrung gemacht haben.

Gaziantep, eine wirtschaftlich starke Millionenstadt nahe der Grenze zu Syrien, gilt als konservativ. Jüngste Zahlen des türkischen Familienministeriums zeigen aber, wie verbreitet die häusliche Gewalt im Land ist. 28.000 Frauen sind in diesem Jahr bisher angegriffen worden, gab das Ministerium an. 136 Frauen wurden zwischen Jänner und September umgebracht; statistisch gesehen alle 48 Stunden eine Frau.

Die Kampagne der Regierung zur Eindämmung der Gewalt brauche Zeit, um in das Bewusstsein einzusinken, sagt Rabia Sohbet. "Der große soziale Druck in unserer Tradition wird von Generation zu Generation weitergereicht. Eine auf lange Zeit ausgerichtete Erziehung ist die einzige Lösung. Andernfalls wachsen die Kinder nur weiter mit dem auf, was sie sehen." (Markus Bernath aus Istanbul /DER STANDARD, 17.12.2013)