9.500 Studierende demonstrieren österreichweit gegen die Fusion des Wirtschafts- mit dem Wissenschaftsministeriums: "Wir sind hier und wir sind laut". Der Protest erreichte in Graz den Landtag während einer Sitzung: Landtagspräsident Majcen sprach zu den Demonstranten, die in großer Zahl den Saal in Beschlag genommen hatten.

9.500 Studenten haben am Dienstag gegen die Abschaffung eines eigenständigen Wissenschaftsministeriums demonstriert. In einem Sternmarsch waren Studenten von der Uni für Bodenkultur, der Technischen Uni und der Uni Wien zum Minoritenplatz gezogen. Auch in Salzburg, Klagenfurt und Innsbruck hat die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) zu Protesten aufgerufen. In Graz wurde der Landtag besetzt - unmittelbar nach Ende der Sondersitzung, bei der die Zwangsfusion von 85 Gemeinden beschlossen wurde.

Nach etwa 45 Minuten und einer abgehaltenen Schweigeminute verließen die 150 Studenten den Sitzungssaal wieder. Ihre Transparente hinterließen sie allerdings für die Abgeordneten.

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Eigentlich war in Graz bloß eine Kundgebung am Sonnenfelsplatz bei der Karl-Franzens-Uni geplant. Auch die TU Graz nahm teil, insgesamt versammelten sich nach 16 Uhr gut 1.100 Leute.

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Etwa 200 davon bildeten nach Ende der Kundgebung spontan einen Demozug in die Grazer Innenstadt. Als man im Landhaushof in der Herrengasse ankam, war der Sonderlandtag, in dem am Dienstag die umstrittenen Zwangsfusionen von Gemeinden von SPÖ und ÖVP durchgepeitscht wurden, gerade zu Ende gegangen.

Als die Studierenden den Landhaushof erreicht hatten, begannen sie ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert. Drinnen im Landtagssitzungssaal waren zufällig gerade die abschließenden Abstimmungen im Gange, mit denen SPÖ und ÖVP mit ihrer Mehrheit Zwangsfusionen für über 80 Gemeinden beschlossen. Sie dachten zuerst, das Pfeifkonzert gelte ihrem Beschluss. Erst als die Studierenden den Saal betraten - die Security war nach einem langen Sonderlandtag bereits nach Hause geschickt worden -, begriffen die Regierung und die Abgeordneten, dass es um eine Demo gegen die Auflösung des Wissenschaftsministeriums ging.

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Es ist nicht leicht in den Sitzungssaal zu gelangen. Besucher müssen durch eine Sicherheitsschleuse. Doch an die 150 Studenten gelang es, über den Hintereingang hinter der Regierungsbank kurz vor 18 Uhr in den Sitzungssaal einzudringen. Der Eingang für Landtagsmitglieder und Regierer war nicht bewacht. Der erste Landtagspräsident Franz Majcen versuchte mit den Studis zu verhandeln. Sie blieben 45 Minuten.

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Mehrere Hochschulen hatten den Studenten für die Teilnahme an den Demonstrationen am Dienstag vorlesungsfrei gegeben. Unterstützung für die Protestveranstaltung gab es neben der linken ÖH-Koalition aus Fachschaftslisten (FLÖ), Fraktion Engagierter Studierender (FEST), Grünen und Alternativen Studierenden (GRAS) und dem Verband Sozialistischer Studierenden (VSStÖ) auch von der größten Einzelfraktion, der ÖVP-nahen AktionsGemeinschaft (AG).

Laut dem ÖH-Vorsitzenden Florian Kraushofer (FLÖ) sollte mit der Demo die Wut darüber ausgedrückt werden, dass Bildung und Wissenschaft in der neuen Regierung keine Rolle spielen, was sich auch darin ausdrücke, dass Wissenschaft der Wirtschaft untergeordnet werde. "Wissenschaft folgt aber einer anderen Logik, in der Grundlagen- aber auch angewandten Wissenschaft muss es möglich sein, dass Forschung auch einmal ins Leere geht, sie kann nicht immer rentabel sein." Seine Stellvertreterin Julia Freidl (VSStÖ) nannte das Bildungsprogramm der neuen Regierung "der Sozialdemokratie nicht würdig". Sie appellierte an die Regierung, die Proteste nicht zu ignorieren und der Bildung einen stärkeren Stellenwert zu geben. "Erster Schritt wäre die Wiedereinführung eines Wissenschaftsministeriums."

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"Wir wollen frei studieren und uns nicht an der Wirtschaft orientieren", auf einem Transparent, gesehen am Sonnenfelsplatz/Uni Graz. 1.100 Menschen hatten sich in Graz laut Schätzungen der Exekutive der ÖH-Protestkundgebung angeschlossen. Überwiegend Studenten, aber auch Lehrende und Vertreter der Rektorate nahmen an der Kundgebung teil.

Foto: Colette Schmidt

"I love science", outete sich ein Demonstrant in Graz.

Foto: Colette Schmidt

"It's science not finance stupid!", ist auf einem Bus, positioniert vor der Uni Wien zu lesen.

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Auch die Space Invaders traten gegen die Bildungsökonomisierung auf. In Wien zogen laut Polizei 7.000 Studenten lautstark mit Trillerpfeifen, Tröten und unter Topfgeklapper durch die Straßen. Sie skandierten "Wer hat uns verraten - Sozialdemokraten! Und wer war mit dabei - die Volkspartei". "Seid's wo ang'rennt", fragten Teilnehmer auf einem Transparent, andere verkündeten auf einem Plakat den "Winterschlussverkauf - Minus 100 Prozent auf Wissenschaft" und forderten in Anlehnung an Harry Potter ironisch "Dumbledor for Wissenschaftsminister". "Unsere Bildung ist Eure Gesundheit" ließen Demonstranten der Meduni Wien wissen. Der Demozug der Uni für Bodenkultur rückte mit Traktor, Trommelgruppe und Blaskapelle an. Auf dem Traktoranhänger hatte Rektor Martin Gerzabek vor dem Start des Protestzugs noch eine Ansprache gehalten.

Foto: derstandard.at/lisa aigner

Botschaft am Transparent: "Sie sagen kürzen - wir sagen stürzen".

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"Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut", riefen die Demonstrationsteilnehmer in Wien auf dem Weg zum Wissenschaftsministerium.

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derStandard.at hat zuvor die die ehemalige Unterrichts- und Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer im Parlament angetroffen. Für die Proteste hat Gehrer wenig Verständnis. Sie habe nämlich genug von den "Bedenkenträgern".

Dass Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner die Proteste "sehr ernst nehmen muss", sagte Siegried Maurer, ehemalige ÖH-Vorsitzende und Wissenschaftssprecherin der Grünen im Gespräch mit derStandard.at, ebenfalls am Rande der Nationalratssitzung.

"Wissen schafft Zukunft", heißt es auf diesem Transparent. Gesehen vor der Uni Wien am Universitätsring.

Foto: Matthias Cremer/DER STANDARD

Auch in Salzburg war der Protest gegen die Zusammenlegung des Wissenschaftsministeriums mit den Wirtschaftsagenden groß. Laut Schätzungen der Polizei und der ÖH schlossen sich 800 bis 1000 Demonstranten dem Protestzug durch die Salzburger Altstadt an.

Nicht nur Studierende, auch zahlreiche Lehrende, Professoren und Universitätsmitarbeiter traten für die Beibehaltung eines eigenen Wissenschaftsministeriums ein. Neben der ÖH Salzburg rief auch der Salzburger Vizerektor für Lehre, Erich Müller, per E-Mail zur Teilnahme an der Demonstration auf und ersuchte alle Lehrveranstaltungsleiter das Fernbleiben von Lehrveranstaltungen zu entschuldigen. Zwei Psychologiestudentinnen, Corinna und Isabella, erklärten etwa derStandard.at, sie hätten im Fach "Krisenintervention" noch einen Test geschrieben, danach sei die Lehrveranstaltung unterbrochen worden und der Kurs fast geschlossen zur Demonstration gegangen.

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Der Verlust eines eigenständigen Wissenschaftsministeriums sei "nur ein Symbol dafür, dass der Regierung die Bildung Forschung und Wissenschaft am Arsch vorbei geht", schrie Daniel Winter (Vsstö) vom ÖH-Vorsitzteam zum Auftakt der Demo beim Unipark Nonntal durch das Megaphon. Dem Rektor der Uni Salzburg und uniko-Vorsitzenden Heinrich Schmidinger rechneten die Salzburger Studenten hoch an, dass er sich von Beginn an für ein Wissenschaftsministerium stark machte.

Die Eingliederung in das Wirtschaftsministerium könne auf keinen Fall toleriert werden, lautete die einhellige Meinung der Demonstranten. "Das zeigt die Wertigkeit von Wissenschaft und Bildung in der neuen Bundesregierung", zeigte sich Politikwissenschaftsstudentin Katharina empört.

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Der Protestzug zog sich mit über die Nonntaler Brücke entlang des Giselakais bis hin zur Staatsbrücke. Musikbegleitung gab es von Christoph und Lollo, deren ÖVP und SPÖ Wahlkampfhymnen aus den Lautsprechern schallten. Weiter ging es durch die Sigmund-Haffner-Gasse mitten in den Weihnachtsmarkttrubel hinein auf den Residenzplatz. Die abschließende Kundgebung fand vor der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Salzburg am Rudolfskai statt.

Vor Ort war auch der Bildungssprecher der Salzburger Grünen, Simon Hofbauer, der  erklärte: "Wir werden die Unterordnung der Wissenschaft unter die Wirtschaft und die weitere Ökonomisierung der Universitäten auf keinen Fall hinnehmen." Schon im Vorfeld der Demo forderte der Landtagsabgeordnete alle Salzburger Nationalratsmandatare – egal ob sie einer Regierungs- oder Oppositionspartei angehören – auf, gegen die Änderung des Bundesministeriengesetzes zu stimmen. Zudem veröffentlichte er auf Facebook die E-Mail-Adressen aller Salzburger Nationalratsabgeordneten mit dem Hinweis: "Die freuen sich sicher alle über Post ihrer WählerInnen."

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Die ÖH in Innsbruck hat am Dienstag das Ministerium "zu Grabe getragen". Neben knapp über 100, teils in Schwarz gewandeten Studenten nahm auch Rektor Tillmann Märk an der "Trauerzeremonie" teil, beim Sarg und beim Grabstein mit der Aufschrift "Hier ruht in Unfrieden: Das BMWF" wurden Blumen niederlegt. Märk beklagte die Abschaffung eines Ressorts, das vor 43 Jahren "Politiker mit Weitsicht und Visionen" ins Leben gerufen hatten.

Märks Landsmann, niemand geringerer als der ehemalige Wissenschaftsminister und nunmehrige Abgeordnete Karlheinz Töchterle (ÖVP), unterstützte am Dienstag im Parlament Anträge der Grünen und Neos für ein eigenständiges Wissenschaftsressort. Er stimmte somit gegen "seinen" Parlamentsklub.

Töchterles Begründung am Rande der Sitzung: Er habe sich stets bemüht, zur ÖVP loyal zu sein und werde das auch weiter tun. Es könne aber Situationen geben, "wo andere Bindungen stärker sind", so der nunmehrige Wissenschaftssprecher der Volkspartei, der die Abschaffung seines Ressorts von Anfang an bekämpft hatte. (cms, ruep, burg, apa, derStandard.at, 17.12.2013)

Foto: ÖH Uni Innsbruck