Bernd Orfer, noch einmal von Berufs wegen wandernd.

Foto: Thomas Rambauske

An- und Abreise: Hirtenberg und Berndorf sind gut mit den ÖBB zu erreichen.

Route: Hirtenberg - Aichkreuz - Waldhütte Guglzipf; Abstieg: Mühl- (rot) oder Sängersteig (gelb markiert)

Gefahren: keine

Einkehr: Waldhütte Guglzipf, geöffnet: 9 bis 19 Uhr; Ruhetage: April bis September: Donnerstag, sonst: Donnerstag und Freitag

Karte: freytag & berndt, Wanderatlas Wiener Hausberge, Blatt 13, 1:50.000

Grafik: DER STANDARD

Im niederösterreichischen Hirtenberg an der Triesting marschieren sie los, der Wanderpapst und seine Nachfolger. Bernd Orfer ging immer und geht auch heute gerne voraus. Doch in den Händen hält er Wanderstöcke, ein Knie macht nicht mehr mit. "Mit 78 ist's genug", sagt Orfer, "vor allem schärfere Sachen sind mir zu beschwerlich geworden. Jetzt ist es wohl Zeit, aufzuhören mit dem Wandertipp - obwohl es wehtut." Bestimmt nicht nur im Knie.

Neben dem Weg stehen überall Schwarzföhren, deren Narben an die Harzgewinnung erinnern. Diese sei in der Gegend einst wichtig gewesen, erklärt Orfer. Dann zeigt er auf die Spuren von Wildschweinen, von denen es hier besonders viele gäbe. Man merkt Schritt um Schritt, dass man mit einem Wissenden unterwegs ist, mit einem, der die Geschichte hinter den Geschichten genau kennt.

Mit dem Weg in Kontakt treten

"Wandern ist mehr als Sport für die Beine, und es genügt nicht, bloß einer Markierung zu folgen. Nur wenn man die Besonderheiten und Kuriositäten, die Historie des Weges, seine Fauna und Flora kennt, wird die Tour zu einem Erlebnis. Erst wenn ich die Hintergründe kenne, trete ich in Kontakt mit dem Weg und empfinde eine Verbundenheit mit der Natur, in die er eingebettet ist."

Es ist still am Jauling, um diese Zeit ist niemand unterwegs außer Bernd Orfer und jenen, die ihm folgen - jetzt gehend, bald schreibend. Langsam wird der Weg steiler, zieht hinauf zu einem Golfplatz, dessen Grenzen wir Richtung Nordwesten folgen. 24 Jahre lang, Woche für Woche, hat Orfer versucht, für die Leserinnen und Leser des Standard spannende, aber nicht demotivierend anstrengende Routen zu finden, die sich in einer Wanderkolumne beschreiben lassen. Bis Ende 2013 seien es exakt 1231 Empfehlungen gewesen, erzählt Orfer. Und zusammen mit den 733 Wanderbeschreibungen, die in der Arbeiter-Zeitung erschienen sind, als es den Standard noch gar nicht gab, macht das fast 2000 Kapitel eines mit zwei Beinen bewegten Lebens. Wer soll ihm das nachmachen, fragt man sich.

Nach dem Passieren des Klubhauses und einem kurzen Straßenstück geht es durch eine idyllische Senke mit Felsen und Bach; eine Jagdhütte taucht auf, lockeren Schritts, nicht zu schnell und auch nicht zu langsam, geht Orfer mit seiner kräftigen Gestalt und dem unverrückbaren Scheitel daran vorbei. "Vom gemütlichen Gehen hat man mehr. Wandern sollte - vor allem mit Kindern - immer Erlebnis sein, bei dem niemand Druck ausübt", weiß er. Seine beiden Töchter habe er nie mit Nachdruck dazu bringen müssen mitzugehen. Im Gegenteil, er habe sich etwas einfallen lassen, damit sie es gerne tun, ein kleines Abenteuer wie Goldwaschen, eine Seilübung oder Spuren- und Schatzsuchen. "Wenn sie mich begleitet haben, dann immer mit Begeisterung", erzählt er. Und heute? Ist es sein neunjähriges Enkerl, das sagt: "Kumm, Opa, gemma!"

Regionale Geschichte

Als der Weg an den Resten einer alten Seilbahnstütze vorbeiführt, macht Orfer daran regionale Geschichte fest: Mittels Seilbahn sei die in Grillenberg abgebaute Braunkohle früher in die Krupp'sche Metallfabrik in Berndorf transportiert worden. Ein Waldlehrpfad führt schließlich zur Guglzipf-Hütte, neben der die Jubiläumswarte steht. Auf der obersten Plattform deutet der Wanderpapst mit ausgestreckten Armen eine Geste an, als gelte es noch einmal, sein "Reich der vielen Schritte" greifbarer zu machen: hier der Schöpfl und der Lindkogel, dort die Hohe und die Dürre Wand - vor allem aber an seinem "Hausberg", dem Hocheck, bleibt der Zeigefinger lange hängen. Diesen Gipfel hat er im Wortsinn unzählige Male bestiegen - wie oft, hat er nicht nachgezählt. Eine Herzensangelegenheit sei für ihn zudem der Große Sonnleitstein, weil er sich dort lange Zeit und letztlich erfolgreich um die Wiederbelebung des Franz-Jonas-Steigs bemüht habe.

Ohne vorher zu wissen, wohin

Fragt man Orfer, wie es denn nun weitergeht, so ganz ohne die Bürde der professionellen Geherei, antwortet er, ohne zu zögern: "Ich wandere natürlich weiter! Aber sozusagen in freier Interpretation - ohne eine Kolumne im Hinterkopf. Ich werde einfach mit Freunden losmarschieren, nur so. Ohne schon vorher wissen zu müssen, wohin wir wollen und wo wir landen. Das konnte ich mir ja nicht oft leisten. Ich musste immer so planen, dass sich darüber nachher bestimmt etwas schreiben lässt. In Zukunft werd ich mich einfach verleiten lassen, vielleicht nach den Blumen richten; wenn etwas blüht, wandere ich hin." Besonders freue er sich darauf, öfter einmal in der Nacht wegzugehen, "hinein in den Morgen. Dann erlebt man die schönsten Momente, die uns die Natur schenken kann."

Auf einer kleinen Felsnase vor dem Talgrund steht der Hermann-Krupp-Tempel mit einer Statue, die Arthur Krupp für seinen Vater errichten ließ. Bernd Orfer löst sich von seinen Begleitern, stellt sich neben die Skulptur und blickt in dieselbe Richtung wie die Statue - hinunter auf seine Geburtsstadt. Und dann, beim Abstieg nach Berndorf, löst sich Orfer auch noch von Orfer, kommt wieder jenem Ort näher, wo für ihn alles begonnen hat - als Alfred Kölbel: Dort ist er in die Schule gegangen und mit seinem Musiklehrer zum Klettern und Skifahren losgezogen; dort hat sein Vater gearbeitet, der ihn fürs Wandern und Radfahren begeisterte; und aus dieser Kurve habe es ihn einmal als Kind mit dem Rad rausgeworfen.

Erst als langjähriger Pressechef einer Holding nahm Kölbel, der gebürtige Berndofer, das Pseudonym Bernd Orfer an. Um seine Neutralität beim Schreiben übers Wandern zu wahren, wie er erklärt. Dass die Tarnung perfekt war, beweist eine Anekdote, die er schelmisch lächelnd erzählt: Als er sein erstes Buch unter seinem richtigen Namen veröffentlichte, habe der Herausgeber von einem Leser zu hören bekommen: "Der Kölbel ist schon gut, aber dem Bernd Orfer vom Standard kann er nicht das Wasser reichen!" (Thomas Rambauske, DER STANDARD, Album, 4.1.2014)