Gerhard Jelinek: "Schöne Tage. 1914 - Vom Neujahrstag bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges", € 22,95 Euro, 318 Seiten mit zahlr. Abb., Amalthea Verlag 2013.

Coverfoto: Amalthea Verlag

Wien - Auf den "Sommer des Jahrhunderts" folgten "Schöne Tage", nach 1913 kam 1914. Und für jene, die die Zeichen der Zeit nicht lesen konnten oder wollten, schien alles in bester Ordnung. Hatte Florian Illies seinen Bestseller "1913" nach Monaten gegliedert, versucht ORF-Journalist Gerhard Jelinek nun, die "Schönen Tage 1914" vom Neujahrstag bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nachzuzeichnen.

Die "Letzten Tage der Menschheit", wie es Karl Kraus in seinem berühmten Drama nannte, waren noch fern. "Am Beginn des Jahres 1914 haben sich die Menschen in Berlin, Paris und London, in St. Petersburg oder Rom, besonders aber die in Wien, sicher gefühlt", schreibt Jelinek in seinem Vorwort und zitiert aus Stefan Zweigs Erinnerungen "Die Welt von Gestern": "Nie war Europa stärker, reicher, schöner, nie glaubte es inniger an eine noch bessere Zukunft."

Bevor man andere Sorgen hatte

Zu fast jedem Tag zwischen 1. Jänner und 3. August 1914, dem Tag der Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich, hat Jelinek Begebenheiten recherchiert, die sich zu einem großen Zeit- und Gesellschaftspanorama zusammenfügen. Die Kulturwelt feiert frenetisch Richard Wagners Bühnenweihespiel "Parsifal" und verfolgt gespannt die Neuerungen des Films, die sich durch das leicht brennbare Material anfänglich als mitunter gefährliches Vergnügen erwiesen.

Der Fortschritt fordert auch bei der Luftschifffahrt oder dem zunehmenden Autoverkehr seine Opfer. Die "Elektrische" nach Pressburg wird endlich eingeweiht (und wird schon in wenigen Jahren durch die Grenzen der Nachkriegsordnung wieder ausgedient haben).

Kriegsvorbereitungen

Aus heutiger Perspektive lassen sich freilich aber auch Puzzlesteinchen zusammentragen, die ein anderes Bild ergeben: Die Heeresausgaben steigen enorm, gigantische Kriegsschiffe, die später kaum je den Hafen verlassen werden, so schwerfällig und verwundbar sind sie, werden vom Stapel gelassen. Franz Ferdinand und Wilhelm II. treffen einander zum persönlichen Meinungsaustausch. Und in München hat ein Kunstmaler namens Adolf Hitler seine Not mit der Musterungs-Ladung zum österreichischen Heer, der er sich erfolgreich entziehen kann. Bei Kriegsausbruch wird er sich in Bayern freiwillig melden.

Als am 28. Juni die Nachricht des Attentats in Wien eintrifft, weiß man noch kaum etwas damit anzufangen. "Nun telefoniert uns Julius, daß Franz Ferdinand und Gemahlin in Sarajewo erschossen wurden; näheres dann die Hofrätin und Salten - Schöner Sommertag", notiert Arthur Schnitzler in sein Tagebuch. Im Nachwort stellt Jelinek eine Rechnung auf, die den Leser das Grauen lehrt: Sein Buch bestehe aus rund 580.000 Zeichen. Ein Zeichen für jedes Opfer des Ersten Weltkrieges - und es bräuchte einen Stapel von 26 Büchern, um die Zahl der Opfer zu symbolisieren. (APA/red, derStandard.at, 12. 1. 2014)