Andranik Ghalustians vor seinem Videospielschatz, der rund 16.000 Werke umfasst.

Foto: Rainer Sigl

"Zuvor habe ich immer die alten Konsolen und Spiele weiterverkauft, um mir immer die aktuellsten Spielgeräte leisten zu können. Irgendwann habe ich dann begonnen, mir alles wieder nachzukaufen"

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"Zum Teil musste man damals mühsamst mit kaum Englisch sprechenden japanischen Gebrauchthändlern in Kontakt treten und bestellte unbekannte Platinen, von denen man in Europa kaum mehr als den Titel und den Entwickler kannte"

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"Ein Arcadespiel im Automaten ist ein Gesamtkunstwerk."

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"Die Erfahrung eines echten Spielautomaten, also des gesamten Cabs, ist auch mit der besten Emulation nicht zu 100 Prozent möglich"

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"In ganz Europa entstehen gerade Museen für Videospielkunst, in Berlin gibt es sogar seit 1997 das Computerspielemuseum. Das MoMA in New York hat Spiele in seine Sammlung aufgenommen und auch die EU-Kommission hat schon 2008 Spiele ganz offiziell als Kulturgut anerkannt - leider hinkt Österreich hier hinterher."

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"Ob und wo es irgendwann auch eine Dauerausstellung von Teilen meiner Sammlung geben wird, steht leider noch in den Sternen"

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"Ich bin als Sammler ein Universalist mit Forscherdrang", sagt Andranik Ghalustians, ohne den Blick von den farbenfrohen Explosionen auf dem Arcade-Automaten vor ihm abzuwenden. Mit ruhiger Hand weicht er den im Sekundenstakkato heranschießenden Gegnerwellen und Projektilkaskaden aus. Das Spiel, das der Wiener voll Stolz vorführt, ist eines seiner Lieblinge: Das japanische Arcade-Shoot 'em up "DoDonPachi" hat es zwar nie regulär aus Japans riesigen Arcades nach Europa in die hiesigen Spielhallen geschafft, doch nun hat es seinen fixen Platz in der Wohnung im dritten Wiener Bezirk gefunden. Hier lagert Ghalustians seine gewaltige Sammlung Spielgeschichte, fein säuberlich geordnet. 16.000 Spiele, so schätzt er, umfasst sein Archiv des elektronischen Spielens inzwischen, von der allerersten Heimkonsole Magnavox Odyssey aus seinem Geburtsjahr 1972 bis hin zur Next-Gen-Gegenwart - ein wahrer Schatz der Gamesgeschichte.

Gespielt habe er schon immer, mit dem Sammeln ernsthaft begonnen hat er allerdings erst Ende der Neunzigerjahre. "Zuvor habe ich immer die alten Konsolen und Spiele weiterverkauft, um mir immer die aktuellsten Spielgeräte leisten zu können. Irgendwann habe ich dann begonnen, mir alles wieder nachzukaufen", sagt Ghalustians, der im bürgerlichen Leben - kein Zufall? - mit Antiquitäten handelt. Tausende CD-ROMs, Cartridges, Datasetten und farbenfrohe Spieleverpackungen prägen die Räumlichkeiten ebenso wie das eine oder andere Gemälde und Designklassiker der Sixties-Möblierung. Mit 4.500 Spielen ist der PC als Spieleplattform in Ghalustians Sammlung am häufigsten vertreten.

Aus Tokyos Arcades nach Wien

Das Herzstück seiner Sammlung, und zugleich seine Leidenschaft, sind allerdings Arcade-Automaten, oder genauer gesagt: die Spielplatinen dazu. In der Nachfolge der allerersten Videospielautomaten, die auf genau ein einziges Spiel zugeschnitten waren, etablierte sich ab der Mitte der 1980er-Jahre der sogenannte JAMMA-Standard im Automatenbau.  Statt den früheren "Dedicated Cabinets" für Einzelspiele, die zum Teil noch aus Holz gebaut waren, verbreiteten sich die "Universal Cabs", von Liebhabern wie Verächtern freundschaftlich "Plastikbomber" genannt. Bei diesen musste nur mehr die Platine und nicht mehr der ganze Automat ausgewechselt werden, um ein neues Spiel anbieten zu können. Unglaubliche 500 Stück dieser Spielplatinen hat Ghalustians im Lauf der Jahre gesammelt - ein Hobby, das vor allem zu Beginn seiner Sammelleidenschaft ein regelrechtes Abenteuer war.

Denn Ende der 90er-Jahre war die Welt der Arcade-Platinen noch fast unerforscht - im Unterschied zu heute, wo durch die weltweite Vernetzung der Sammlergemeinde im Netz kaum noch weiße Flecken auf der Sammlerlandkarte übriggebleiben und wirkliche Entdeckungen selten sind. "Zum Teil musste man damals mühsamst mit kaum Englisch sprechenden japanischen Gebrauchthändlern in Kontakt treten und bestellte unbekannte Platinen, von denen man in Europa kaum mehr als den Titel und den Entwickler kannte", erinnert sich der Sammler mit leichter Nostalgie an dieses "Zeitalter der Entdeckungen". Zwischen 20 und 2.500 Euro bezahlt man für eine JAMMA-Platine - inzwischen ist der gesamte Handel ausschließlich im Internet auf Plattformen wie eBay angekommen.

Die Aura des Originals

Nach kurzer Zeit begann sich Ghalustians auf seine private Lieblingsnische innerhalb der Nische zu konzentrieren: Japanische Shoot 'em ups, von Kennern kurz und liebevoll "Shmups" genannt. In den frühen 90er-Jahren hatten die farbenfrohen, hektischen Shooter mit großen Entwicklern wie Cave, Konami, Capcom und Seibu Kaihatsu ihr "Golden Age". Außerhalb Japans waren freilich selbst die großen Titel nur wenigen Spielefreunden bekannt - auch weil sie kaum für Heimsysteme umgesetzt wurden. Ehrensache, dass in Ghalustians Sammlung so gut wie jedes dieser Spiele auffindbar ist.

Erst mit dem Aufstieg der Software-Emulation, hier vor allem durch MAME, den "Multiple Arcade Machine Emulator", kamen viele dieser obskuren Titel auch außerhalb ihrer fernöstlichen Heimat zu Bekanntheit. Warum also eigentlich mühsam die Hardware kaufen und importieren, wenn man die Spiele - wenn auch meist maximal halb legal - auch auf jedem PC einfach nacherleben kann? "Die Erfahrung eines echten Spielautomaten, also des gesamten Cabs, ist auch mit der besten Emulation nicht zu 100 Prozent möglich", winkt der Sammler ab. "Wer zum Beispiel jemals den Klassiker 'Space Invaders' in seinem Originalautomaten gespielt hat, kennt den Unterschied. Durch eine geniale Konstruktion mit Spiegeln und indirekter Beleuchtung ergibt sich ein haptisches Gesamterlebnis, das eben viel mehr ausmacht als nur den Code. Aber auch bei den späteren Universal Cabs ist die Spielerfahrung eine ganz andere als per Emulation. Ein Arcadespiel im Automaten ist ein Gesamtkunstwerk."

Zusammenarbeit mit dem AEC

Schade, dass hierzulande noch zu wenig unternommen wird, um diese Gesamtkunstwerke und das ganze Medium an sich ausreichend zu würdigen, findet Ghalustians. "In ganz Europa entstehen gerade Museen für Videospielkunst, in Berlin gibt es sogar seit 1997 das Computerspielemuseum. Das MoMA in New York hat Spiele in seine Sammlung aufgenommen und auch die EU-Kommission hat schon 2008 Spiele ganz offiziell als Kulturgut anerkannt - leider hinkt Österreich hier hinterher."

Obwohl der Sammler selbst an dieser Front nicht untätig war: Zusammen mit dem Verein Subotron im Wiener Museumsquartier hat Ghalustians bereits mehrmals Teile seiner Sammlung im Rahmen der Veranstaltungsreihe Zockotron präsentiert, bei der Wiener GameCity war er als Ausstatter des Retrobereiches im Einsatz und erst heuer konnte er auch in Zusammenarbeit mit dem Linzer Ars Electronica Center im Rahmen des Ars Electronica Festivals und dessen Games-Schiene Gamestage seinen gewaltigen Spieleschatz der Öffentlichkeit zugänglich machen: 40 Geräte und über 200 Exponate aus Ghalustians Sammlung luden im September die Besucher in Linz zum Spielen ein.

LAN-Partys und Pläne für morgen

Eine Zusammenarbeit mit Zukunft: "2014 wird meine Kooperation mit dem AEC Linz hoffentlich noch weiter gehen. Im direkten Anschluss an das AEC Festival 2014 werden in der geräumigen Tabakfabrik ganze drei Stockwerke drei Tage lang mit Spielkultur bespielt. Geplant sind eine Spielhalle mit 20 Automaten sowie jede Menge historische Heimkonsolen und PCs. Außerdem wird es eine dreitägige LAN-Party, Barcraft-Events sowie an einem Tag wieder eine Retro-Börse  für klassische Computerspiele geben." Ghalustians zeichnet übrigens seit heuer als Mitorganisator letzterer Veranstaltungen in Linz und Wien verantwortlich - erst Anfang Dezember fand die fünfte Retro-Börse bei regem Besucherandrang in Wien statt.

Vielleicht ist das Engagement der Linzer Medienkunstinstitution AEC ein erster Schritt hin in Richtung österreichisches Spielemuseum? "Ob und wo es irgendwann auch eine Dauerausstellung von Teilen meiner Sammlung geben wird, steht leider noch in den Sternen", meint Andranik Ghalustians. Bis dahin bleiben seine 16.000 Schätze eben bei ihm - in seiner Wohnung. Halb so schlimm: "Ich sammle ja nicht nur, sondern ich spiele auch leidenschaftlich gern, und zwar alte wie neue Spiele. Und dabei habe ich es eben gerne so authentisch wie möglich." (Rainer Sigl, derStandard.at, 22.12.2013)

Video: Retroperspektiven 2013