Journalist oder Aktivist? Glenn Greenwald am 30c3-Kongress.

Foto: derStandard.at/Bürger

Hamburg - Erstmals hielt ein Journalist die Keynote am Kongress des deutschen Chaos Computer Clubs. "Wait, what?" Der Enthüllungsjournalist selbst wunderte sich, warum ausgerechnet er die Eröffnungsrede vor Hackern und Technik-affinem Publikum halten sollte. Vor sechs Monaten war Datenverschlüsselung für ihn noch Neuland. Greenwalds Zugang - und der seiner Kontakte - zu Sicherheits- und Privacytechnologie hat sich seither geändert. Er erklärt das am Beispiel der Inbox seines E-Mail-Programms. Waren im Juli noch drei bis fünf Prozent der E-Mails mit dem Softwareprogramm PGP verschlüsselt, so seien es heute 50 Prozent. Wer nicht verschlüsselt, fühle sich zumindest beschämt.

Heimspiel in Hamburg

Greenwald, der Anwalt und Blogger, der erst später in seiner Karriere Journalist wurde und mit den NSA-Enthüllungsstücken aus Edward Snowdens Datenfundus für den "Guardian" mitunter auch Subjekt der medialen Berichterstattung, hat sich der Technologie, ihren Schaffern und Nutzern angenähert. Er weiß, vor welchem Publikum er spricht, absolviert in Hamburg ein Heimspiel. In der per Skype übertragenen Eröffnungsrede (Video) ruft er Computerexperten und Hacker auf, sich für den Schutz der Privatsphäre einzusetzen, die die NSA weitestgehend beseitigen möchte. Die reißt es von den Sitzen. Standing Ovations.

"Freiheitskämpfer" Greenwald

"Wait, what?" Für zwei Journalisten von "Zeit Online" ist das zu viel Nähe. Greenwald hat eine "Grenze überschritten", "sich mit Aktivisten gemein gemacht", kommentieren Kai Biermann und Patrick Breuth. Greenwald sei nicht mehr Journalist, sondern Freiheitskämpfer, der trotzdem "beschreibend, sachlich und gründlich" journalistisch arbeite.

Die beiden Journalisten haben damit eine alte Debatte erneut angestoßen. Sie fragen: Dürfen Journalisten Aktivisten sein, oder sollten sie besser so neutral wie möglich sein?

"Hier spricht ein Mann auf einer Mission", resümiert Hakan Tanriverdi in der "Süddeutschen Zeitung" die Rede.

Journalist = Aktivist

Greenwald selbst steigt per Twitter in die Debatte ein. Seiner Meinung nach sind alle Journalisten Aktivisten, die trotzdem in ihren Nachrichtenartikeln beide Seiten zu Wort kommen lassen können. Keine Details nennt er, wie dieser "Aktivismus" beim journalistischen Medienprojekt des Ebay-Gründers Pierre Omidyar aussehen könnte.

Jochen Wegner, Chefredakteur von "Zeit Online", definiert schließlich Journalismus: Journalisten streben nach Wahrheit, lassen den Leser am "Erkenntnisprozess teilhaben", können also nicht Akteure ihrer Themen sein.

Für den "Spiegel" darf ein Journalist "eine Haltung haben" und sich in die öffentliche Debatte einmischen. Greenwald sage lediglich, schreibt Ole Reißmann, "was heute jeder Journalistenschüler lernt: Niemand ist völlig neutral, immer spielt der eigene Hintergrund und die eigenen Erfahrungen eine Rolle bei den Entscheidungen darüber, was in welcher Form berichtet wird. Greenwald geht damit offensiver um als viele seiner Kollegen: Nachdem er die Fakten geprüft hat, in aller Fairness, entwickelt er eine klare Haltung." 

Keine überraschende Haltung für das deutsche Nachrichtenmagazin. Der "Spiegel" arbeitet bei der NSA-Berichterstattung unter anderem mit Jacob Appelbaum und der Regisseurin und Snowden-Vertrauten Laura Poitras zusammen und nennt sie als Autoren. Beide waren übrigens auch auf dem Kongress. Appelbaum, Internetaktivist und Entwickler des Anonymisierungsnetzwerks Tor, war sogar auf dem Podium, als Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft in London zugeschaltet wurde und sich an die Hacker richtete: "Sysadmins of the world, unite!"

Open News

Nerds in den Nachrichtenorganisationen, das war übrigens auch Thema am Kongress des Chaos Computer Clubs. Wer Programmierer in die Redaktionen hole, Stichwort Open News, mache den Journalismus, die Nachrichten besser, erklärt Softwareentwickler Friedrich Lindenberg, der selbst zehn Monate im Newsroom von "Spiegel Online" verbrachte. Mit Datenjournalismus lasse sich auch analysieren, wie die Gesellschaft funktioniere. Stärke der Medien sei es dabei, Informationen zu prüfen und Fakten zu verifizieren. Ohne Journalisten und Medien könne die Internetgemeinde nur chaotische "Shitstorms" produzieren. (Sabine Bürger, derStandard.at, 30.12.2013)